Null Bock ja, aber bitte vor dem Eingang einer Bank

Interview mit Leo Fischer über Papst-Satire, seine Generation und die Piraten-Partei

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Anstatt dem im Grunde zur Entspannung veranlagten Volk der Hellenen nachzueifern, haben die Deutschen den Plan, sich bis zur Hartz-IV-Rente als griesgrämige Hedonisten und ekstatische Askese-Fritzen durchzuschleppen. Asketismus und Vulgärmaterialismus sind die zwei Seiten derselben Existenzverarmungsmedaille. Und nachdem die große gesellschaftliche Vision nach vorne nicht geklappt hat, sollen wir uns mit unserem eigenen privaten Glücklein begnügen, was mitunter zu erheblichen Komplikationen führt, weil das Kleine eher vom Großen abhängt als umgekehrt. Wir sind zu den Rikschafahrern unserer Kinder geworden. Zeit, Leo Fischer, den Chefsatiriker von "Titanic" und Buchautoren zu fragen, was die jüngere "Generation Gefällt mir" so treibt.

Herr Fischer, Sie sind ja selbst katholisch, deshalb gestatten Sie mir die Eingangsfrage: Was hat Sie mehr bewegt, die Freude auf die Post des Pontifex Maximus oder die Verwunderung darüber, dass man sich dort an satirischen Coverbilder stößt, während man selber Holocaust-Leugner rehabilitiert?

Leo Fischer: Natürlich freut es mich als Katholiken, dass der Heilige Vater das Titelbild persönlich zur Kenntnis genommen hat, schließlich haben wir auch eine gemeinsame Geschichte: Wir hatten eine Zeit lang in Penntling/Ziegelsdorf bei Regensburg dieselbe Heimatgemeinde, dort war er lange Zeit Theologieprofessor, auch war unser Gemeindepfarrer derselbe, der beispielsweise seine Schwester beigesetzt hat. Auch vor diesem Hintergrund ist das eine schöne Würdigung unserer Arbeit.

Sie sind also nicht böse auf den Papst? Er hätte ja auch ein weniger souveräner reagieren können...

Leo Fischer: Ich führe das auf schlechte Medienberater zurück. Der Papst hat ja seit kurzem Medienberater, die unter anderem für den rechtskonservativen Sender "Fox-News" in den USA gearbeitet haben. Ich vermute, ihm wurde einfach ein Floh ins Ohr gesetzt.

Haben Sie schon eine maßregelnde Postkarte von Martin Mosebach erhalten?

Leo Fischer: Nein. Herr Mosebach ist zwar auch Frankfurter, aber wir stehen nicht in einem regelmäßigen Kontakt.

Was halten Sie generell von einem Blasphemie-Verbot, wie es zur Zeit in rechts-christlichen Kreisen diskutiert wird, das würde doch mehr oder indirekt Ihr eigenes Geschäftsfeld tangieren....

Leo Fischer: Natürlich ist Satire interessanter, wenn sie juristisch verfolgt wird. In jedem Fall genießt sie dann sehr große Aufmerksamkeit. "Pussy Riot" ist ebenfalls ein sehr gutes Beispiel dafür: Sollten die jungen Damen jemals wieder aus dem Gefängnis kommen, werden sich ihre Platten sehr gut verkaufen. Auch wir haben bei Titanic gesehen, dass sich aufgrund des Verbots das letzte Heft um siebzig Prozent besser verkauft hat als die vorhergehenden. Ich persönliche begrüße Verbote, was Satire angeht, und Kunst-Verbote im Allgemeinen.

Nun zu Ihrem Buch: Wir für unseren Teil verstehen schön langsam die jungen Leute unter 40 nicht mehr ganz. Können Sie uns verraten, wie die ticken?

Leo Fischer: Wie die jungen Leute unter vierzig ticken, weiß ich selber nicht. Ich bin nämlich neulich erst 31 geworden. Außerdem ist mein Buch kein Ratgeber oder eine soziologische Studie, sondern eine Art Schadensbericht, welcher insbesondere aus Selbstbeobachtung gewonnen wurde: Die schleichende Paralysierung meines gesellschaftlichen Lebens durch soziale Netzwerke und die allmähliche Technisierung der Zwischenmenschlichkeit habe ich darzustellen und in stimmungsvolle Artikel zu fassen versucht.

Sehr verletzlich, sehr sensibel und sehr ängstlich

Trotzdem: Was unterscheidet diese Youngsters von den vorhergehenden Generationen?

Leo Fischer: Natürlich ist dies die Generation, die erstmals komplett im Internet aufgewachsen ist, ähnlich wie die Menschen in der "Matrix", die dort in irgendwelchen Schleimkugeln hocken und ihre Gedankenströme durch Computer erhalten. Diese Generation ist sehr verletzlich, sehr sensibel und sehr ängstlich: Fast jeder Sinneseindruck, jeder Gedanke überfordert sie und deswegen braucht sie unsere Sympathie und Steuerungsbereitschaft.

Ist ein Ben Tewaag exemplarisch für diese Generation?

Leo Fischer: Mit Sicherheit. Ben Tewaag ist ein Autist, der niemanden die Hand schütteln kann, ohne ihn dabei anzuzünden, und trotzdem ein gefeierter Film- und Fernseh-Fratz: Das ist schon ziemlich exemplarisch.

Wie und wo kann man die "Generation Gefällt mir" verstehen lernen und lohnt sich das überhaupt?

Leo Fischer: Das ist eine Generation, die exhibitionistisch bis zum Anschlag ist, die, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, alles von sich preisgibt und dennoch in ihrer Individualität total konformistisch und vorhersehbar. Ich glaube, dass sich die Auseinandersetzung mit ihr nicht lohnt und ich werde auch kein zweites Buch über sie schreiben.

Piraten: offen zur Schau gestellte Inkompetenz

Wie affirmativ und wie kritisch sind diese jungen Leute? Lassen Sie sich diese eventuell schon jetzt mit der Generation vor ihnen vergleichen, die als Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/34/34795/1.html und Friedensbewegte angefangen haben, um heutzutage als hartzvierbefürwortende ZEIT-Leser am Kopf der Schlange vor der Käsetheke am Bio-Laden im nächstgelegenen Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/36/36714/1.html als konsumbewußter und souverän plaudernder Bonvivant zu brillieren?

Leo Fischer: Es ist durchaus so, dass sich jetzt junge Leute politisch engagieren, zum Beispiel hier in Frankfurt vor den Banken campen und ohne jede politische Aussage einfach nur präsent sind. Keine Parteien oder Gewerkschaften sind dort akzeptiert, man lässt sich nicht vom politischen Betrieb einspannen und das finde ich durchaus in Ordnung. Wenn diese Generation eine Chance hat, dann dadurch, ihre Lethargie nach vorne zu tragen und zur Blockade von gesellschaftlichen Strukturen einzusetzen: Also "Null Bock" ja, aber bitte vor dem Eingang einer Bank, um den Zugang zu den Geldautomaten zu versperren.

Vielleicht ist das auch die Stärke der Piratenpartei, weniger ihre Aktivität als ihre Lethargie, dergestalt als sie sich auf das von dem sie eine Ahnung hat, nämlich die ganze IT-Scheiße konzentrieren und alle anderen politischen Felder wie Außenpolitik blockieren sollten?

Leo Fischer: Die Piraten sind sicherlich sehr effektive Blockierer, Verweigerer und Chaotiseure des Betriebs. Durch offen zur Schau gestellte Inkompetenz blockieren sie den politischen Prozess und machen alles ein wenig komplizierter, zum Ärgernis der etablierten Parteien. Das jedenfalls finde ich an dieser Partei sehr sympathisch.

Sklaven der Selbsterhaltung und Selbstzurichtung

Ein beliebtes Hobby der jungen Leute scheint die Selbstverstümmelung zu sein. Warum pickt man sich am Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/35/35133/1.html denn immer nur die uninteressantesten Aspekte und niederziehenden Seiten heraus?

Leo Fischer: Sie stellen Fragen! Was meinen Sie denn mit den uninteressanten Seiten?

Den ganzen Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/33/33835/1.html. Es gibt doch auch im Katholizismus das Sinnliche, die Freude am Schönen, den Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/18/18583/1.html...

Leo Fischer: Also, ich bin in einer katholischen Hochburg aufgewachsen und besonders viel Lebensfreude konnte ich dort abseits säkular geprägter Wirtschaften nicht entdecken. Wenn es einen Oscar Wilde-Katholizismus geben sollte, ist er mir bislang noch nicht begegnet.

Können Sie eine Einschätzung abgeben: Wird man in Zukunft noch gesundheitsbewusster und fröhlicher leben müssen?

Leo Fischer: Ich hoffe nicht. Die Gesundheitsindustrie und die Versicherungen sind natürlich drauf und dran uns zu Sklaven der Selbsterhaltung und Selbstzurichtung umzuwandeln und ich befürchte, da man jetzt schon schief angesehen wird, wenn man ein Bier in der U-Bahn trinkt, dass dies alles noch viel schlimmer wird.

Werden buddhistische und esoterische Lebensentwürfe auch weiterhin en vogue bleiben oder erhebt der Katholizismus dereinst doch wieder sein stolzes Haupt?

Leo Fischer: Ich glaube, dass die katholische Kirche in den nächsten Jahren große Probleme hat und man eher ein Auseinanderfallen der Institution wird beobachten können. Viele Kirchenvertreter, mit denen ich in den letzten Wochen gesprochen habe, zeigen das Bild einer zerrütteten und in sich widersprüchlichen Organisation. Ob da der Buddhismus nachziehen kann oder gar will - sehr viel wollen kann man ja im Buddhismus gar nicht, ich glaube sogar, dass dort eher das Gegenteil gefordert wird - halte ich für unwahrscheinlich.