"Nur über das zu sprechen, worüber Spanien sprechen will, ist kein Dialog"

Blanca Bragulat. Foto: Ralf Streck

Inhaftierter katalanischer Regierungssprecher Turull: "Entschlossener als je zuvor". Interview mit Blanca Bragulat

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

20 Tage haben sich der ehemalige katalanische Regierungssprecher Jordi Turull und der Aktivist Jordi Sànchez im Hungerstreik befunden. Kurz darauf schlossen sich auch der ehemalige Innenminister Quim Forn und der frühere Infrastrukturminister Josep Rull an. Über die Hintergründe und Forderungen sprach Telepolis mit der Frau des ehemaligen Regierungssprechers, der zuletzt wegen der Verschlimmerung seines Gesundheitszustands in ein Gefängnishospital verlegt werden musste.

Wie man hört, gab es gute Nachrichten, die Gefangenen haben am Donnerstag beschlossen, den Hungerstreik abzubrechen?

Blanca Bragulat: Ja. Das ist eine Erleichterung und ich hatte ja darauf gehofft, dass dies vor den Massenprotesten am Freitag geschieht, damit es zu keiner Zuspitzung kommt. Wir als Angehörige sind natürlich alle erleichtert und inzwischen ist die zentrale Forderung erfüllt, dass sich das spanische Verfassungsgericht endlich mit den Fällen beschäftigt.

Viel mehr Informationen habe ich allerdings noch nicht, da ich mit meinem Mann noch nicht sprechen konnte. Besonders wichtig war aber, dass die ehemaligen katalanischen Präsidenten, des Parlamentspräsidenten und anderen gestern in einer gemeinsamen Erklärung die Gefangenen gebeten haben, den Hungerstreik abzubrechen. Und zwei dieser Präsidenten sind Sozialdemokraten und das geschah, bevor der sozialdemokratische Präsident Sánchez nun nach Katalonien kommt.

Wie war die Situation ihres Mannes zuvor?

Blanca Bragulat: Sein körperlicher Zustand hatte sich nach drei Wochen ohne Nahrungsaufnahme zuletzt verschlechtert. Nach diversen Analysen war er auf die Krankenstation verlegt worden und ihm wurde empfohlen, sich auszuruhen. Deshalb hat er sich auch nicht mehr an der Arbeit beteiligt und auch die Besuche waren etwas reduziert worden. Sein Geisteszustand ist aber sehr gut und er ist entschlossener als je zuvor.

Hatten Sie einen solchen drastischen Schritt wie den Hungerstreik erwartet?

Blanca Bragulat: Er, wie die übrigen politischen Gefangenen, hatten versprochen, keine Verrücktheiten zu begehen. Bei einem der Besuche erklärte er mir dann, dass er mir etwas mitzuteilen habe. Er sagte: "Wir haben beschlossen, in den Hungerstreik zu treten."

Man schluckt erstmals, aber nach einigen Sekunden ist alles klar. Die Gefangenen entscheiden, welche Schritte sie drinnen gehen. Uns bleibt nur, sie darin zu unterstützen. Klar, mir gefiel der Hungerstreik nicht. Ich war besorgt, dass ihm oder den anderen etwas passieren könnte, jeder Körper reagiert auf einen Nahrungsverzicht unterschiedlich (...) Jetzt ist die Frage, wie sie auf die erneute Nahrung reagieren, das soll auch nicht einfach sein.

Die Justiz zum Handeln bringen

Was waren denn die zentralen Forderungen?

Blanca Bragulat: Der Hungerstreik wurde begonnen, um die Justiz zum Handeln zu bringen. Gegen alle Gewohnheiten nimmt das Verfassungsgericht nämlich alle Beschwerden der politischen Gefangenen an, entscheidet sie aber nicht. Über die Untersuchungshaft müsste innerhalb von 30 Tagen entschieden werden. Doch die Beschwerden liegen zum Teil schon mehr als ein Jahr in einer Schublade.

Damit wird natürlich auch verzögert, dass sie nach einer Ablehnung den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen können. Das Gericht hatte wegen der Proteste nun aber mit der Behandlung begonnen. Nun werden wir sehen müssen, was dabei herauskommt.

Eigentlich sollte auch der Prozess schon begonnen haben, aber wir haben noch immer keinen Termin. In den nächsten Tagen fällt die Entscheidung über den Antrag der Anwälte, ob das Verfahren in Katalonien durchgeführt wird, weil die Vorgänge ausschließlich hier stattgefunden haben. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass das abgelehnt wird. Dann müssen die Anwälte argumentieren. Also vor Ende Januar wird das Verfahren nicht beginnen.

Hatten Sie sich vor zwei Jahren vorgestellt, in solch einer Situation zu sein, die Frau eines politischen Gefangenen, der angeblich eine Rebellion angezettelt hat, weil er ein Referendum über die katalanische Unabhängigkeit mitorganisierte?

Blanca Bragulat: Nein, im Leben nicht. Klar, Jordi ist ein aufrechter Mensch, der stets treu und passioniert für sein Katalonien gearbeitet hat und dann kann so etwas wie eine Inhaftierung passieren. Aber erwartet habe ich das nie.

Wie erleben Sie die Tatsache, dass er wegen einer Rebellion, also eines gewaltsamen Aufstands, zu einer Haftstrafe von 30 Jahren verurteilt werden soll?

Blanca Bragulat: Das ist gravierend, zumal es weder eine Rebellion, einen Aufstand und schon gar keine Unterschlagung von Geldern gab. Sie haben sich gemeinsam auf einer Liste zur Wahl gestellt und ein Wahlprogramm vorgelegt, dass ein Referendum über die Unabhängigkeit durchgeführt werden würde. Dafür wurden sie gewählt. Sie haben das umgesetzt, was sie versprochen haben. Und die Durchführung eines Referendums ist auch in Spanien kein Delikt. Zudem wurde die gesamten Vorgänge vom Parlament mehrheitlich verabschiedet.

Die Situation ihres Mannes ist sehr speziell, denn er wurde zwischenzeitlich sogar wieder freigelassen...

Blanca Bragulat: Ja, aber er wusste genau, dass er wieder inhaftiert werden würde. Damit sollte vor den Wahlen am 21. Dezember, die von Spanien über die Zwangsverwaltung erzwungen wurden, so etwas wie eine Normalität dargestellt werden.

"Dialog, Dialog, Dialog!"

Aber es wurden ja nicht alle zwischenzeitlich freigelassen. Oder?

Blanca Bragulat: Nein. Jordi Cuixart und Jordi Sànchez, die nicht einmal Politiker waren, sondern Sprecher von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die haben nie etwas entschieden und sind stets für die absolute Friedfertigkeit eingetreten, wie Filmaufnahmen beweisen. Doch sie waren die ersten Gefangenen und wurden nie freigelassen. Und, das war auch bemerkenswert, bekam einer von jeder Partei niemals Haftverschonung, wie der Präsident der Republikanischen Linken Oriol Junqueras oder Quim Forn der Ex-Innenminister von PdeCAT. Das ist alles dramatisch.

Der Fall von meinem Mann ist zudem ein besonderer, da er ja zum Regierungschef gewählt werden sollte. Als er aufgestellt wurde, bekam er eine erneute Vorladung. Er bekam im ersten Wahlgang keine Mehrheit und versuchte mit seiner Rede noch einmal für einen Dialog, Dialog, Dialog einzutreten. Stattdessen wurde er aber vor dem zweiten Wahlgang inhaftiert, bevor er gewählt worden wäre.

Die Rede vor dem Parlament hat er praktisch auf gepackten Koffern geschrieben. Er wusste, dass er wieder inhaftiert werden würde. Um die Regierungsbildung zu verhindern, hat die spanische Regierung alle wieder inhaftieren lassen, die zuvor Haftverschonung erhalten hatten.

Hat sich die Tatsache, dass die CUP im ersten Wahlgang seine Investitur nicht zugelassen hat, auf die Beziehungen zu der linksradikalen Partei ausgewirkt?

Blanca Bragulat: Die CUP hat sich geirrt, denn es hätte einiges geändert, wenn Spanien einen gewählten Präsidenten inhaftieren hätte müssen. Aber Jordi ist jemand, der immer vermittelt und diverse Vertreter der CUP haben ihn auch im Gefängnis besucht.

Es geht längst um die Verteidigung von Grundrechten

Gibt es nun eine Zuspitzung? Ist die Bevölkerung immer tiefer gespalten?

Blanca Bragulat: Nein, ich nehme einen umgekehrten Effekt wahr. Die gesamten Vorgänge machen auch denen klar, dass es längst nicht mehr um die Frage Unabhängigkeit ja oder Nein geht. Da gibt es auch in unserer Familie verschiedene Meinungen. Aber es geht längst um die Verteidigung von Grundrechten, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Parlamentsautonomie... Das lässt uns immer stärker zusammenrücken.

Was wird nun weiter passieren?

Das ist schwer zu sagen. Wir hoffen natürlich auf verstärkte Unterstützung und dass sich Regierungen aus der gesamten Welt einmischen, da Spanien ein ernsthaftes Problem mit der Demokratie und einer fehlenden Gewaltenteilung hat. Die Gefangenen haben deshalb Briefe an die politischen Verantwortlichen in ganz Europa geschickt und wir hoffen, dass es endlich Bewegung gibt.

Von den Menschen erhalten wir schon viel Unterstützung. Es ist unglaublich, wie viele Briefe die Gefangene aus aller Welt erhalten. Es gibt überall Demonstrationen und Proteste, aber die Verantwortlichen schauen zu.

Sehen Sie in den letzten Tagen Entspannungsgesten von Seiten Spaniens?

Blanca Bragulat: Ich sehe auf katalanischer Ebene Bewegungen. Ich gehe davon aus, dass die ehemaligen sozialdemokratischen katalanischen Präsidenten Sánchez über ihr Vorgehen und die gemeinsame Bitte an die Hungerstreikenden informiert haben, aber aus Spanien sehe ich bisher nichts. Wir werden sehen, was bei dem Treffen am Freitag herauskommt.

Von Sánchez kennen wir bisher nur nette Worte, dass ein Dialog geführt werden müsse. Das bedeutet aber, dass auch über alles und alle Probleme ohne rote Linien gesprochen werden kann. Wenn man aber erklärt, über Selbstbestimmungsrecht, Referendum.... dürfe nicht gesprochen werden, was soll das für ein Dialog sein. Nur über das zu sprechen, worüber Spanien sprechen will, ist kein Dialog.