Oberschicht und Modernisierungsverlierer sollen für Trump sein
Neue Wähleranalyse von YouGov und Sinus, wo man verspricht zu sagen, "welche Milieus immun sind gegen postfaktische Propaganda"
Kurz vor der Amtsvereidigung des neuen US-Präsidenten Donald Trump veröffentlicht das Meinungsforschungsinstitut YouGov noch einmal eine Wähleranalyse zur Präsidentschaftswahl. Nach Abschluss der Wahl wurden 1503 wahlberechtigte Amerikaner zwischen dem 9.11.2016 und dem 13.1.2017 dafür befragt und die Ergebnisse mit der Hilfe des Gesellschaftsmodells der Sinus-Meta-Milieus analysiert. Deutlich wird damit, wie zerrissen das Land ist und dass der Riss zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten verläuft.
Nach den Milieus hat Donald Trump vor allem und wenig überraschend bei den Konservativen bzw. Traditionellen gepunktet, Dreiviertel der Menschen aus diesem Milieu der "kleinen Leute", die auf Sicherheit und Erhalt des Status quo ausgerichtet sind, aber das Gefühl hätten, abgehängt worden zu sein, hätten ihn gewählt. Die Parole, Amerika und damit ihre Schicht wieder groß zu machen, könnte daher hier gut verfangen haben.
Hillary Clinton wurde dagegen von den Fortschrittsgewinnern am stärksten gewählt. Nach YouGov sind das die zwei "Zukunftsmilieus". Aus der "jungen anpassungs- und leistungsbereiten Mitte" (Adaptive Navigators) hätten 72 Prozent für Clinton gestimmt, von den "jungen ambitionierten urbanen Kosmopoliten" (Digital Avantgarde) seien es 69 Prozent gewesen.
Bei den Intellektuellen erreichte Clinton 64 Prozent, so wird die "aufgeklärte Bildungselite mit liberaler Grundhaltung und postmateriellen Wurzeln" bezeichnet. Vermutlich kann man alle drei Lager, die für Clinton wohl nicht unbedingt aus Überzeugung, sondern oft wohl auch aus Ablehnung gegen den Traditionalisten und Immobilienmakler der vordigitalen Zeit gestimmt haben, als Milieus ansehen, die Trump als Elite bezeichnet und verachtet - und dabei Zustimmung von denjenigen erntet, die Angst vor dem Niedergang haben oder die von der digitalen Gesellschaft schon ausgeschlossen wurden.
In der breiten Mittelschicht, die als Modern Mainstream bezeichnet wird und in der Familie und gesicherte Verhältnisse - beides zerbröckelnde Orientierungen - geschätzt werden, ist Trump mit 58 Prozent daher auch noch stärker als Clinton mit 35 Prozent. Aber es gibt auch noch die traditionelle Oberschicht der "Established", die den Republikanern zuneigt, wo angeblich Leistung und Führungsqualitäten, der soziale Status und eine das alles sichernde traditionelle Moral vorherrschen soll.
Dagegen sind die spaß- und erlebnisorientierten Angehörigen des Milieus der "Sensation-Oriented" überwiegend für Clinton. Das mag ein wenig verwundern, da Trump ja nicht gerade als Moralapostel daherkommt und sein Lebenswandel nicht sonderlich puritanisch wirkt. Da dürfte Clinton als Vertreterin der Liberalen besser ankommen, während Trump als Vertreter der Rechtskonservativen möglicherweise zum Spaßverderber werden könnte. Das Milieu gilt ebenso als Teil der bildungsfernen Unterschicht wie das der "American Poor". Die sind angeblich nicht auf Spaß aus, sondern sollen "prekär, vernachlässigt und verbittert" sein. Aus dieser Schicht hätten 60 Prozent für Trump gestimmt, der dann wahrscheinlich der Wut gegen die Liberalen mit ihrer politischen Korrektheit, die die Armen nicht einschließt, Ausdruck gegeben hat.
Die Lager spalten also die Gesellschaften nicht quer zwischen oben und unten, sondern auf der Landkarte der Sinus_Milieus, die als "Kartoffelgrafik" bezeichnet wird, zwischen den von oben nach unten reichenden Schichten, so dass Trump eben von konservativen Reichen und Teilen der Unterschicht gewählt wird.
Manfred Tautscher, Geschäftsführer bei SINUS, meint auch aus Geschäftsinteresse werbend, dass man mit den SINUS-Milieus besser als nur mit soziodemografischen Daten sehen könne, "bei welchen Milieus populistische Argumente auf fruchtbaren Boden stoßen und welche Milieus immun sind gegen postfaktische Propaganda". Das erschließt sich aus den Angaben zu dieser Umfrage freilich nicht wirklich, macht aber deutlich, dass man hofft, auch zu den Wahlen in Europa Aufträge zu erhalten: "Ähnliche Entwicklungen beobachten wir in Europa und speziell auch in Deutschland. Die entscheidende Frage im jetzt anstehenden Wahljahr wird sein, wem es gelingt, die verunsicherten Milieus der Mitte zu erreichen. Dabei gilt es, rechtzeitig die sogenannten 'Brücken- oder Scharnier-Milieus' zu identifizieren und diese dann mit den richtigen Argumenten anzusprechen. Das wird am Wahltag über Erfolg oder Misserfolg entscheiden."
Jetzt wäre nur die Frage, ob die um ihre Vorherrschaft bangenden etablierten Parteien die richtigen Argumente bestellen können oder ob die "populistischen" Politiker auf "Argumente" - die müssten bei dieser Verteilung dann wohl postfaktisch sein - stoßen, mit denen sie die Mitte zu ihren Gunsten mobilisieren können. Anders als in den USA ist die Partei, die am meisten fürchten muss, die Union, auch die Partei der älteren und konservativen Menschen, die in den USA für Trump gestimmt haben. Die SPD steht auch nicht gerade für die fortschrittlichen, digitalen Milieus. Allerdings ist auch die Frage, inwieweit Meinungsforschungsinstitute mit Umfragen tatsächlich verlässliche Vorhersagen machen können, hier gab es beim Brexit und bei der US-Wahl Zweifel. Und die Frage ist natürlich auch, ob "Argumente" wirklich wahlentscheidend sind und jemals waren.