Öffentlich-rechtliche Sender: Ein neuer Aufbruch?
Rundfunkreform: Digitale Freiheit und die Bedrohung der Privaten – Debatte um Online-Freiheiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spitzt sich zu.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter großem Reformdruck. Das zeigt sich auch in den hochsommerlichen Tagen vor dem Herbst. Im September stehen Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an. Auch die Deadline für den Reformstaatsvertrag rückt näher. Am 24. und 25. Oktober wollen die Regierungschefs der 16 Bundesländer über den Entwurf des Reformstaatsvertrages beraten.
Sechs Länder gibt es, die Nein zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 58 Cent pro Monat und Haushalt sagen, wie er von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) vorgeschlagen wurde. Die Nein-Länder hoffen, dass sie über den Reformstaatsvertrag der Erhöhung entgehen können. Sie halten eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags für politisch derzeit nicht durchsetzbar.
Plädoyer für mehr Online-Freiheiten
Die Zeit ist knapp, hieß es bei der Vorstellung von Reformvorschlägen durch den Zukunftsrat schon im Frühjahr. Die Hoffnung lautet, dass man den schweren Tanker der öffentlich-rechtlichen Anstalten so reformieren kann, dass man dem zahlenden Publikum veranschaulicht, wie wichtig der ÖRR ist und wie gut das Geld der Beiträge, zu denen die Zahler verpflichtet sind, angelegt ist.
Ein aktueller Impuls zur Reform kommt nun von Jan Christopher Kalbhenn, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes in Münster und Autor der Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung (OBS) ARD, ZDF und DLR im Wandel (Kurzfassung).
Kalbhenn macht einen ganzen Strauß an Reformvorschlägen auf. Der Medienrechtler plädiert für mehr Online-Freiheiten für ARD, ZDF und Deutschlandradio und schlägt vor, "sämtliche Restriktionen im Onlinebereich" abzuschaffen. Was unter anderem bedeuten könnte, dass die Inhalte in den Mediatheken demnach nicht mehr nach einer bestimmten Zeit verschwinden sollen.
Die Umsetzung des Auftrags im Falle eines Wegfalls der Online-Restriktionen solle weitestgehend Aufgabe der Rundfunkanstalten sein. Sie würden dann selbst entscheiden, wie die Inhalte am besten die Nutzerinnen und Nutzer erreichen.
Abschaffung des Verbots von presseähnlichen Online-Angeboten
Insbesondere fordert Kalbhenn die Abschaffung der Regelung, dass die Online-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen nicht presseähnlich sein dürfen.
Dieses Verbot sei im Zeitalter nahezu vollständig konvergierter Medienangebote nicht mehr zeit- und sachgemäß und widerspreche dem Ziel der Barrierefreiheit. Stattdessen sollte der Fokus "gesetzgeberisch auf Kooperationen zwischen Presse und Rundfunk" gelegt werden. Ziel sei die "Sicherstellung der Grundversorgung mit lokaler und regionaler Berichterstattung".
Die ARD solle sich stärker regional fokussieren und sich damit deutlicher vom ZDF unterscheiden, gleichzeitig ist aber auch die Rede von der Schaffung einer gemeinsamen Mediathek.
Zudem plädiert Kalbhenn für die Einführung einheitlicher, überprüfbarer Qualitätsstandards. Der Gesetzgeber solle prüfen, einen "technologieneutralen Auftrag für alle öffentlich-rechtlichen Angebote zu formulieren", sodass die Sender selbst bestimmen können, ob sie ihren Auftrag über lineare oder non-lineare Kanäle erfüllen.
Abschaffung des Drei-Stufen-Tests
Als hinderlich betrachtet Kalbhenn auch den Drei-Stufen-Test, in dem die Aufsichtsgremien der Sender prüfen, ob neue oder wesentlich veränderte Online-Angebote "den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft" entsprechen.
Dieser "völlig überfrachtete und ausufernde Drei-Stufen-Test" sollte nach Auffassung des Medienrechtlers abgeschafft werden. Gerade im digitalen Bereich seien Flexibilität und Beweglichkeit wichtig, die durch langwierige und bürokratische Genehmigungsverfahren gehemmt würden.
Kritik
Kritik an den beiden Vorschlägen kommt von Helmut Hartung, der auch für die FAZ schreibt, auf medienpolitik.net:
Wenn "sämtliche Restriktionen im Onlinebereich abgeschafft werden" wie es der Medienrechtler aus Münster fordert, würden, private Veranstalter, Produktionsunternehmen aber auch Verlage geschädigt. Denn das heißt auch: Unbegrenzt Podcasts, Platzierung von Online-Inhalten auf allen möglichen Plattformen, neue Online-Formate, finanziert aus dem Rundfunkbeitrag ohne Begrenzung. Die Abschaffung "sämtlicher Online-Restriktionen" würde freie Hand der Sender als Konkurrenten der Printverlage bedeuten. Das aber genau schlägt Kalbhenn vor. (…)
Helmut Hartung
Private Medienhäuser kritisieren seit Langem, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen Telemedienangeboten die Presse gefährdet. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) hat der EU-Kommission vorgeworfen, dass mangelnde Kontrolle und ein unklarer Auftrag gegen den Brüsseler Beihilfekompromiss von 2007 verstoßen.
Eine Abschaffung des Drei-Stufen-Tests, der die Telemedienangebote der öffentlich-rechtlichen Sender überprüft, würde laut Hartung diese Probleme verschärfen und eine weitere Zweckentfremdung von Rundfunkbeiträgen ermöglichen.
Von nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, die Kalbhenn sich hier wünscht, schreibt auch die SZ. Aus "einer korrekten Analyse einer veränderten, digitalen Mediennutzung" werde eine hier umfassende Empfehlung abgeleitet, den Öffentlich-Rechtlichen "sämtliche Restriktionen im Onlinebereich" zu erlassen.
Bündelung aller Angebote auf einer Online-Plattform
Ein weiterer Vorschlag von Kalbhenn besteht darin, die Bündelung aller öffentlich-rechtlichen Angebote auf einer gemeinsamen Online-Plattform zu prüfen.
Dies wäre ein "echtes Gemeinschaftsangebot unter Einbeziehung aller Rundfunkanstalten" und zukunftsentscheidend, um ein wirksames Gegengewicht zu den profitorientierten privaten Online-Plattformen zu bilden.
Schaffung eines "Beitragszahlerrats"
Kalbhenn betont auch die Notwendigkeit, die Beitragszahler stärker einzubeziehen. Er schlägt die Schaffung eines "Beitragszahlerrats" vor, der "als ständiges Gremium Impulse zu Programm und Technik" liefern könnte.
Auch für die Beschäftigten der Rundfunkanstalten, dem Maschinenraum, soll es nach den Vorschlägen des Medienrechtlers künftig mehr Unterstützung geben.