Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Wie verfassungskonform ist er?
Streit um die Rundfunkbeiträge: Vielfalt vs. Einseitigkeit. Zweifel an der Aufsicht über den öffentlichen Rundfunk wachsen. Bundesverwaltungsgericht prüft.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) steht möglicherweise vor einer rechtlichen Herausforderung: Das Bundesverwaltungsgericht prüft, ob das Programm den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Vielfalt genügt.
In einer aktuellen Pressemitteilung macht Gerhart Baum, FDP, Bundesinnenminister von 1978 bis 1982, und stellvertretendes Mitglied des WDR-Rundfunkrats, auf einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2024 aufmerksam, der Anfang dieses Monats bekannt wurde, aber in der breiten Medienöffentlichkeit bislang nur spärlich zur Kenntnis genommen wurde.
"Erhebliche Auswirkung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk"
Der Beschluss (BVerwG 6 B 70.23) hat es allerdings in sich, wie der sozial-liberale FDP-Politiker in seiner Presseerklärung betont. Die im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts gefasste Entscheidung für eine Revision eines Verfahrens könnte "erhebliche Auswirkung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben".
Das Gericht prüft, ob das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Vielfalt entspricht und ob Gebührenzahler das Recht haben, dies feststellen zu lassen.
Gerhart Baum, Presseerklärung
Baum betont, dass diese Prüfung ein Warnsignal für eine ernsthafte Beachtung der rechtlichen Vorgaben bei der Strukturreform des Rundfunks ist.
Gewachsene Zweifel
Ein Satz sticht hervor:
Schon die Vorinstanz hat Zweifel erkennen lassen, ob die Aufsicht über den öffentlichen Rundfunk, wie sie heute mit Aufsichtsgremien organisiert ist, ausreicht. Diese Zweifel sind jetzt durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht deutlich gewachsen. Die Richter hätten die Revision nicht zugelassen, wenn sie sich nicht mit der Sache befassen wollten.
Gerhart Baum, Presseerklärung
Das Bundesverwaltungsgericht reagiert mit seiner Entscheidung auf eine Klage einer Frau aus Bayern, die sich weigerte, den Rundfunkbeitrag zu zahlen, weil das öffentlich-rechtliche Programm ihrer Meinung nach in seiner Einseitigkeit nicht mehr zumutbar sei.
Vorwurf: "Strukturelles Versagen"
Die Klägerin kritisierte die "mangelnde Meinungsvielfalt" bei den öffentlich-rechtlichen Sendern und warf ihnen ein "strukturelles Versagen" vor.
Der Bayerische Verwaltungsgerichthof hatte am 17.Juli 2023 gegen die Frau entschieden. Subjektive Kritik an der Meinungsvielfalt und der Qualität von ARD und ZDF enthebe nicht von der Pflicht zur Beitragszahlung, so die damalige Entscheidung.
Der Rundfunkbeitrag werde nach Auffassung der Richter in München ausschließlich als Gegenleistung erhoben: "für die Möglichkeit des Rundfunkempfangs".
In der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts für eine Revision dieser Entscheidung wird eine andere Position sichtbar: Dass man sich die Sache wegen ihrer weitreichenden Bedeutung noch einmal genauer anschauen müsse.
Die Revision der Klägerin ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat. Das Revisionsverfahren kann Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen gegen die Beitragserhebung geltend gemacht werden kann, der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ein der Vielfaltssicherung dienendes Programm anzubieten, werde strukturell verfehlt, so dass es an einem individuellen Vorteil fehle.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.05.2024 - 6 B 70.23
Kritik an der mangelnden Vielfalt des Programms
Auf der Social-Media-Plattform X kommentierte der Jurist Udo Vetter Anfang dieses Monats:
Wenige Worte vom Gericht, große Sprengkraft für ARD und ZDF.
Er sieht in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine Möglichkeit, "die 'Narrenfreiheit' der öffentlich-rechtlichen Sender" zu beenden. Das sind drastische Worte, die sicher Anklang bei Kritikern des Angebots der öffentlich-rechtlichen Sender finden.
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Um den Vielfaltsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender geht es aber nicht nur den lauten Gegnern der "Zwangsgebühren", die in öffentlichen Diskussionen als Streitfiguren herausgestellt werden – und dort oft politisch pauschal ins muffige Gehege der Demokratiegegner geräumt werden –, sondern auch parteipolitisch unabhängigen Gemeinschaften wie etwa der AG DOK, die Dokumentarfilmer vertritt.
Dort macht man schon seit Jahren darauf aufmerksam, dass die öffentlich-rechtlichen Sender den verfassungsrechtlichen Maßgaben für die Vielfalt des Programms nicht Genüge tun (siehe: Kein "Grundrecht auf Quotenorientierung").
Was kommt als Nächstes?
Die nächsten Schritte in diesem rechtlichen Streit sind noch nicht klar. Wahrscheinlich kommt es erst im Herbst zur Revisionsverhandlung. Rechtsanwalt Friedemann Willemer, der die Klägerin vertritt, hat eine Fristverlängerung für die Begründung der Revision bis zum 30. September 2024 beantragt.
Willemer, früher Mitglied der CDU, dann der SPD, jetzt Kritiker der "Demontage der Demokratie durch Systemparteien" und Autor des Buches "Vom Scheitern der repräsentativen Demokratie", plant nach Informationen des Mediums Epoch Times, weitere Anwälte hinzuzuziehen.
Er betont, dass er bereit sei, die Gerichtskosten bis zum Bundesverfassungsgericht zu tragen. Unterstützt wird die Klägerin darüber hinaus von der "Bürgerinitiative Leuchtturm ARD ORF SRG".