Ökosystem-Denken und Ökologismus

Seite 2: Nähe von ökologistischen Auffassungen zu einer Stimmung

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Immer wieder zu beobachten ist die Nähe von ökologistischen Auffassungen zu einer Stimmung, die "menschliches Eingreifen" insgesamt und überhaupt in einen Gegensatz zur Erhaltung von Ökosystemen bringt.

Diese Mentalität hat - wie auch der Organizismus - politische Folgen und zwar nicht nur solche, die Freunden von Natur recht sein können. Die These lautet, "dass das Eingreifen des Menschen grundsätzlich vorher geschlossene Kreisläufe aufbricht und damit solche inkonstanten Ökosysteme erzeugt, die sich selbst überlassene Natur dagegen zu vielfältigen, konstanten Ökosystemen hinstrebt".16

Diese weit verbreitete These sieht von einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung in Mitteleuropa ab. Es war ursprünglich fast vollständig von Wald bedeckt und wurde erst infolge jahrhundertelanger Arbeit von Menschen zu einer Landschaft, in der es neben Wald auch Wiesen, Weideland, Äcker, Hecken u. ä. gibt. "Das allermeiste, was einem gestandenen Naturschützer lieb und teuer ist, ist keineswegs 'Natur' im eigentlichen Sinne, ist vielmehr - beabsichtigt oder Nebeneffekt - Produkt menschlicher Arbeit, ist Teil unserer Kulturgeschichte".17

Sie hat die Differenzierung in verschiedene Landschaftselemente im Vergleich zur früheren "monotonen 'grünen Wüste'" (ebd.) beträchtlich erhöht. Im Unterschied zur genannten ökologistischen These haben wir es hier damit zu tun, dass Natur sich durch menschliche Arbeit "in Hinblick auf langfristige Bewohnbarkeit (als) verbesserbar'" erwies (Ebd.). Daraus ergibt sich der Schluss, "dass kein Sich-Einfügen in fertige Kreisläufe notwendig ist, sondern dass die tätige, produktive Auseinandersetzung mit der Natur weitergehen kann, wenn auch nicht so weitergehen kann".18

In der populären ökologistischen Redeweise ist es weit verbreitet, nicht den einzelnen Lebewesen, sondern der Natur ein eigenes Existenzrecht und einen eigenen Selbstwert19 zuzuschreiben. Und dann ist die Unterstellung, die Natur sei etwas wie ein Subjekt, nicht fern.

Ein Subjekt, das ein Recht auf seinen Selbstwert hat, wird Auskunft darüber geben können, was es will. Trepl fragt zu Recht: "Was 'will' denn die Natur? Will sie tatsächlich so sein, wie sie vor den Menschen war? Oder will sie an dieser Stelle vielleicht lieber eine Wiese sein und nicht ein Wald? Dazu bräuchte es aber Menschen, die sie mähen. Ein Wiesenbrüter hat dazu sicher eine ganz andere Meinung als ein Baumbrüter. Doch um die geht es gar nicht, sondern um die Natur".20

Trepl zufolge handele es sich bei der These vom Selbstwert der Natur "um ein religiöses Bekenntnis, das mit manchen anderen religiösen Bekenntnissen die Unverständlichkeit und Sinnlosigkeit gemeinsam hat, aber dem Bekennenden offenbar ein gutes Gefühl gibt".21 Wer die Natur explizit religiös auffasst, kommt mit der These vom Selbstwert der Natur (im Unterschied zum Menschen) in einen Widerspruch. In der christlichen Religion gilt "der Mensch", der ja auch Natur ist, "als freies Wesen gottgewollt …, von dem sich kaum behaupten lässt, er habe nicht den Auftrag, etwas aus sich zu machen. Und da wirkt die Antwort, er habe die Natur so sein zu lassen, wie er sie vorgefunden hat, wenig überzeugend".22

Problematischer Übergang zu einer normativen Position

Der problematische Übergang von der Aufmerksamkeit für die Schädigung bestimmter, für menschliches Leben relevanter Naturzustände zur normativen Position der Anpassung an die Natur tut so, als existiere ein Schöpfungsplan der Natur, der das gedeihliche Leben der Menschengattung vorsehe und auch für alle anderen Geschöpfte alles gut eingerichtet habe.

Menschliche Vernunft findet dann ihre höchste Bestimmung darin, sich an diese höhere Ordnung anzupassen. Ignoriert wird: Die Nichtexistenz der Menschheit ist nicht naturwidrig. Die Natur hat es ganz gut lange Zeit ohne Menschen ausgehalten und wird auch das Verschwinden der Menschheit überstehen.

Trepl macht aufmerksam auf den Unterschied zwischen einer Sorge um ökologische Systeme und der früher verbreiteten Parole "Wir kämpfen nicht gegen die Fehler des Systems, sondern gegen seine Vollkommenheit".23 Das Ökosystemdenken trägt dazu bei, in der Natur Eindimensionalität herzustellen, wenn z. B. der Wald als "Ökosystemdienstleister" betrachtet wird. Natur gilt dann nicht mehr als etwas, das einen grundlegenden Unterschied aufweist zu den (teilweise notwendigen) Erfordernissen instrumenteller Rationalität.

Der Zurückdrängung bzw. Eingrenzung ihres Imperialismus wird damit eine Quelle von Motiven entzogen.24 Landschaften sind nicht allein aus ökologischen Motiven für schützenswert zu erachten. Die vermeintlich schlaue Strategie, die eigene ästhetische und kulturelle Sympathie für bestimmte Landschaften in der Öffentlichkeit damit stärken zu wollen, dass man sie als ökologisch (wg. Diversität u. a.) wertvoll ausgibt, vermengt Disparates und ist ein Eigentor.25

Ökosystemdenken geht es um die Intaktheit von Systemen, um die Abstraktheit ihrer Definition geht es nicht. "Stabile Ökosysteme werden zur Definition für eine heile Welt. Mit einer unmerklichen Verkürzung von Leben auf Überleben werden florierende Ökosysteme als der Inbegriff des Lebens betrachtet".26 Ökosystemdenken lässt sich verstehen als Antwort auf eine Situation, in der die natürlichen Grundlagen einer gedeihlichen Existenz der menschlichen Erdbewohner bedroht ist.

Gutes Leben und Sicherung des Überlebens

In der Öko-Diskussion ist die Tendenz notorisch, dem Begreifen des guten Lebens und seiner gesellschaftlich notwendigen Bedingungen und Kontexte die Konzentration auf die vermeintlich vordringliche Sicherung des Überlebens vorzuziehen. Zur Fixierung auf ein wirkliches oder vermeintliches Hauptproblem passt notorisch, dass alle anderen Probleme dann meist als vergleichsweise "kleine" Sorgen gelten.27

Diese Horizonteinschränkung ist selbst für das Engagement gegen die ökologischen Großgefahren nicht günstig, sondern ihm gegenüber kontraproduktiv. Es ist so, als solle die gestaltende Auseinandersetzung mit der Welt verabschiedet werden zugunsten eines Verständnisses von ihr, das sie auf das Überleben der Gattung reduziert.

Bereits 1980 schrieben Situationisten: Es "soll eine neue ökonomische Ordnung geschaffen werden, die die Armut als neue Beziehung der Menschen zur Welt einführt. Wenn künftig diese Beziehung auf der Armut aufbauen soll, heißt das notwendig mehr Einfügung und Hinnahme und weniger Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit".28

Wir brauchen Wissen über die für uns abträglichen Veränderungen und über das, was nötig ist, um sie zu stoppen. Zugleich handelt man - frau auch - sich mit manchen ökologistischen Denkweisen problematische Voraussetzungen und Folgerungen ein.

Es gibt keinen Grund, den legitimen Kampf gegen die massive Verschlechterung ökologischer Bedingungen menschlicher Existenz infolge der skizzierten ökologistischen Fehlschlüssen abzuwerten. Wohl aber gilt es, beides voneinander zu unterscheiden.

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