Ölmacht USA: Klimapolitik gegen Konkurrenz aus dem globalen Süden

"Öko-Imperialismus" und Neuordnung der politischen Kraftverhältnisse. Ölkrisen und neue Allianzen für den Klimaschutz (Teil 2).

50 Jahre nach der Ölpreiskrise haben sich die Kräfteverhältnisse auf dem Erdölmarkt deutlich verschoben. Obwohl sie nicht mehr den Großteil des schwarzen Golds fördern, gehören die Nachfolgekonzerne der "alten" Seven Sisters (Exxon Mobil, Chevron, Shell, BP) noch zu den umsatzstärksten weltweit – weil sie nicht nur am Öl-, sondern auch am Kraftstoff-Markt verdienen. Doch die Musik spielt schon lange nicht mehr nur im Westen.

Die 2007 von der Financial Times (FT) gekürten "neuen" Seven Sisters sind neben Saudi Aramco (Saudi-Arabien), NIOC (Iran) und PDVSA (Venezuela) die Staatskonzerne aus China (CNPC, inzwischen auch: Sinopec), Russland (Gazprom, inzwischen auch: Lukoil), Brasilien (Petrobras) und Malaysia (Petronas).

2007 berichtet die FT außerdem über die Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA), wonach in den folgenden 30 Jahren 90 Prozent der neuen Erdöl-Förderungen aus sogenannten Entwicklungsländern stammen werden.

Dort sehen Kritiker im Klimaschutz-Programm des globalen Nordens zunehmend einen Vorwand, ihnen in (post-)kolonialer Manier den Zugriff auf die eigenen Ressourcen zu erschweren (siehe Telepolis-Artikel "Schuldenfalle in grün"). Der Guardian schrieb in diesem Zusammenhang schon 2010 von "Eco-Imperialism".

Der Öl-Welthunger ist weiterhin groß, und durch die aufstrebenden Entwicklungs- und Schwellenländer wird er definitiv nicht kleiner. Staaten wie Guyana, Uganda oder Suriname wollen ihren Teil vom Kuchen, und ihre Ressourcen genau so für den Aufbau einer stabilen Volkswirtschaft einsetzen, wie es seinerzeit der Westen getan hat – bei dem sie folglich auch die Bringschuld beim Klimaschutz sehen.

Die USA sind nicht nur der größte Ölproduzent weltweit, sondern werden 2023 laut US-Energiebehörde EIA sogar historische Rekord(!)-Fördermengen zu verzeichnen haben. Dazu kommt der neue Exportschlager: das äußerst umweltschädliche Fracking-Gas.

Die Ölmacht USA hat mehrere Gründe, andere Nationen zu Klima-Abkommen zu bewegen oder gar – wie im Fall Kopenhagen 2009 – zu "erpressen".

Konkurrierende Ölstaaten stellen für die USA ein Sicherheitsrisiko dar. In einem Beitrag für den (1973 gegründeten) sicherheitspolitischen Thinktank Belfer Center führt Politikwissenschaftler Jeff Colgan 2013 aus1:

Anstatt die Energieautarkie [durch Fracking] als Allheilmittel zu betrachten, sollten die Vereinigten Staaten einen Beitrag zur internationalen Sicherheit leisten, indem sie langfristige Investitionen in Forschung und Entwicklung tätigen, um den Ölverbrauch zu senken und alternative Kraftstoffquellen für den Transportsektor bereitzustellen.

Neben den wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen einer Senkung des Ölverbrauchs gibt es zahlreiche Belege dafür, dass solche Investitionen auch militärische und sicherheitspolitische Vorteile mit sich bringen.

Jeff D. Colgan

In Bezug auf Russland und China hat Peter Wahl auf Telepolis über Klimapolitik als geopolitische Waffe geschrieben.

Ressourcenreichtum als "Fluch"

Wie es die Special Interests aus den USA schaffen, den Entwicklungsländern ihren Ressourcenreichtum als "Fluch" zu verkaufen, hat Stewart M. Patrick vom berüchtigten Rockefeller-geförderten Council on Foreign Relations (CFR) 2012 im Atlantic eindrucksvoll demonstriert.

Abgesehen von der "holländischen Krankheit" einer Devisenansammlung, die zu einer exportschädigenden Währungsaufwertung führe, bringt Ölreichtum laut Patrick vor allem die demokratischen Verhältnisse des betreffenden Landes in Gefahr.

Nein, nicht durch Regime-Change-Versuche ausländischer Interessengruppen, sondern aufgrund einer ihm innewohnenden Logik der Korruption. Glücklicherweise hat der CFR hierfür eine Lösung2:

Das Geheimnis zur Verbesserung der Regierungsführung in rohstoffreichen Ländern, so [CFR-Kollegin Terra] Lawson-Remer, liegt in der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen drei Gruppen: "Kapitalexportierende Länder, internationale Finanzinstitutionen und Unternehmen des Privatsektors".

Stewart M. Patrick

Eine Dreifaltigkeit, die Entwicklungshelfern, Schuldenschnitt-Advokaten und Globalisierungskritikern nur allzu bekannt sein dürfte.

Mission: Global Governance

Auch wenn viele Wege nach Nordamerika führen, tritt der globale Norden gegenüber den Ländern der südlichen Hemisphäre nicht in Gestalt der nationalen Weltmacht USA auf, sondern zunehmend in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften mit den Vereinten Nationen.

So etwa beim angeschlagenen Klima-Finanzialisierungs-Projekt Glasgow Alliance for Net Zero (GFANZ), wo sich US-Finanzmogule aus USA, Kanada und UK unter anderem mit dem vom Kriegsfalken-Saulus zum Klimawandel-Paulus geläuterten Ex-Außenminister John Kerry tummeln.

Oder bei der von Visa und Mastercard gestützten Better Than Cash Alliance. Oder – aus aktuellem Anlass besonders relevant – im Falle der 2019 geschlossenen strategischen Partnerschaft mit dem Weltwirtschaftsforum (WEF).

Bemerkenswert ist, dass manche Vertreter der Global-Player-Finanz-Allianzen einem Machterhalt der USA skeptisch gegenüberstehen oder sogar fast mit Freude dessen Zerfall erwarten (Telepolis hatte sich im vergangenen Jahr auch diesem Thema gewidmet).

Das gilt auch für (vermeintlich) kritische Beobachter wie den G-Zero-Advokaten Ian Brenner und den Nord-Stream-II-Querdenker Jeffrey Sachs. Beide sind Finanz-Profis, beide streben eine Weltordnung nach den Prinzipien der Vereinten Nationen an. Beide entsprechen damit übrigens auch den Forderungen der US-Staats- und Systemfeinde Vladimir Putin und Xi Jinping.

Wie viele andere beschreibt Politologe Bremmer jene internationale Ordnung mit dem Begriff der "Global Governance", der zuletzt immer wieder im politischen Diskurs aufgetaucht ist, wenn es um ein weltweit abgestimmtes Vorgehen in Bezug auf die Corona-Krise oder den Klimawandel ging.

Der noch immer im Entwurfstadium befindliche globale Pandemiepakt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde nicht umsonst auf dem Pariser Friedensforum erdacht, welches in Ergänzung zum verteidigungspolitischen Feld der Münchner Sicherheitskonferenz und dem ökonomischen Feld des WEF jenes der Global Governance beackert.

Der Begriff der Global Governance ist vieldeutig. Zum einen wird er herangezogen, um internationale Zusammenarbeit im Sinne völkerrechtlicher Vereinbarungen zu bezeichnen, andererseits gebraucht man ihn im Gespräch über supranationale Institutionen sowie im Hinblick auf die politische Kooperation mit multinationalen Konzernen und anderen Nicht-Regierungungsorganisationen.

So ist etwa das oben zitierte CFR-Mitglied Patrick "James H. Binger senior fellow in global governance" und "director of the International Institutions and Global Governance program" des CFR. Außerdem betreibt Patrick den CFR-Blog The Internationalist, wo er sich mit der "Zukunft der Weltordnung, der staatlichen Souveränität und der multilateralen Zusammenarbeit" befasst. Daneben erklärt er auch gerne einmal in Podcasts, wie die WHO funktioniert.

Die Organisation Global Policy Forum (GPF) setzt sich kritisch mit dem Thema der Global Governance auseinander. Elena Marmo vom GPF-Ableger Global Policy Watch hat in Bezug auf das WEF-Jahrestreffen in Davos 2023 zuletzt in einem lesenswerten Beitrag für die Rosa-Luxemburg-Stiftung vom Phänomen des "Corporate Capture" geschrieben, einer Vereinnahmung durch die Konzerne. Ihr Fazit3:

Auch wenn Regierungen nicht in der Lage sind, die Herausforderungen der heutigen Welt allein zu bewältigen, so tragen Institutionen wie das Weltwirtschaftsforum doch nur dazu bei, Machtsysteme zu festigen, in denen Unternehmen sowie die Reichen und Eliten der Welt als "Partner" und "Stakeholder" angesehen werden und nicht als Kräfte, die einer stärkeren Regulierung und Besteuerung bedürfen, um Staaten den finanziellen Spielraum für systemische Veränderungen zu geben.

Elena Marmo

Marmos letzter Satz ist dabei natürlich entscheidend. Denn er verdeutlicht, dass das "Multistakeholder-Modell" nicht nur das Prinzip einer gesetzesbasierten (sozialen) Marktwirtschaft, sondern in letzter Konsequenz auch das demokratischer Staaten allgemein unterläuft. John Perkins, Autor des kritischen Erfahrungsberichts zur Entwicklungszusammenarbeit Confessions of an Economic Hitman (2004), hat in diesem Kontext den Begriff der "Korporatokratie" geprägt, der Herrschaft der Konzerne.

Und natürlich stellt sich unweigerlich die Frage, wer sich hier in wessen Dienst stellt: Dienen die Konzerne den multilateralen Organisationen oder dienen diese Organisationen den Konzernen? Das bereits 2015 von GPF benannte chronische Haushaltsdefizit der UN jedenfalls trägt nicht dazu bei, Zweifel an deren unbedingter Integrität auszuräumen.

Gleichzeitig häufen sich die Ausnahmezustände, in denen der Bevölkerung die Unterstützung durch privatwirtschaftliche Akteure, undurchsichtig finanzierte Stiftungen oder (vermeintlich) gemeinnützige Organisationen als unverzichtbar verkauft werden. Manche Vorgänge sind dabei – wie im Falle des Pfizer-Deals von Ursula von der Leyen – für Parlament und Wähler völlig intransparent.

Aber sollte es in diesem Text nicht um die Ölpreiskrise gehen? Das wird es wieder. In Teil drei kehren wir zurück zum schwarzen Gold, dem nach wie vor gefragten "Treibstoff der Moderne".