Österreich exportiert Kunst des Widerstands
Austrian Cultural Forum in London really rocks: Alexander Brener und Barbara Schurz mit "Bukaka - Anti-Technologien des Widerstands"
Das Österreichische Kulturforum (vormals Österreichisches Kulturinstitut) in London befindet sich in einer der teuersten und exklusivsten Gegenden der Stadt. Zwischen dem Luxuskaufhaus Harrods und dem Hyde Park gelegen, erwartet man in diesen ruhigen Seitenstraßen das Schnurren von Luxuslimousinen saudiarabischer Ölprinzen und das Absatzklappern englischer Maßlederschuhe, nicht jedoch laute Post-Punk-Gitarrenmusik, am Bürgersteig zerschellende Bierflaschen und mit blutendem Gesicht umherlaufende Aktionskünstler.
Doch an einem Donnerstag vor wenigen Wochen gerieten die Dinge rund um das Austrian Cultural Forum in London ein wenig außer Kontrolle. Das Künstlerpaar Alexander Brener und Barbara Schurz hatte zur Eröffnung einer Ausstellung und mehrtätigen Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Bukaka - Anti-Technologien des Widerstands" geladen. Schon die Anwesenheit einer größeren Anzahl nicht ganz so korrekt gekleideter Menschen im und vor dem Kulturinstitut veranlasste Anwohner, die Holzbalken zuzuziehen und ängstlich mit einer Hand am Telefon der weiteren Ereignisse zu harren.
Was sich im Verlauf des Abends in den Räumen des ansonsten äußerst respektablen Auslandskulturinstituts, in dem normalerweise gepflegte Kunstgenießer feine österreichische Weißweine bei wenig besuchten Vernissagen schlürfen, ereignete, verdient vor allem deshalb Erwähnung, weil sich an diesem überraschungsreichen Abend kulturelle und soziale Konflikte in einem Mikrokosmos entluden, die stellvertretend für die gesellschaftlichen Konflikte unserer Zeit gesehen werden können.
Man braucht kaum extra darauf hinzuweisen, dass seit dem Amtsantritt der ÖVP-FPÖ-Regierung in Österreich eine Art Kulturkampf tobt. Künstler stehen, neben anderen, an vorderster Front eines als "Widerstand" bezeichneten, hauptsächlich in symbolischen Formen (und nicht gewalttätig) ausgetragenen Kampfes gegen ein Regime, das die schlimmsten Erinnerungen an die weltgeschichtlichen Ereignisse in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auslöst und Befürchtungen über die weitere Entwicklung Österreichs wachwerden lässt. Aber halt. Stopp. Keinesfalls sollte die ÖVP-FPÖ-Regierung mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt werden, wie es die unsägliche Socialist Workers Party zum Amtsantritt dieser Regierung tat, als sie vor der österreichischen Botschaft in London mit Plakaten antrat, auf denen Haider=Hitler zu lesen stand. Eine solche Gleichsetzung wäre eine Verharmlosung nationalsozialistischer Greueltaten und eine ungebührliche Dämonisierung des Rechtspopulisten Haider, denn schließlich hat dieser noch keine vergleichbaren Verbrechen begangen und wäre machtpolitisch auch gar nicht in der Lage dazu.
Worum es geht, ist die Kritik an Haltungen, Einstellungen, potenziellen Entwicklungen, von deren fürchterlicher Konsequenz wir glücklicherweise noch weit entfernt sind. Doch: Wehret den Anfängen. Mit diesem Gedankengang im Hinterkopf haben Teile der österreichischen Kunstszene, nicht alle, aber vor allem die Jüngeren, weniger Etablierten, Technologieinspirierten - die "Internetgeneration" wie Wendekanzler "Mascherl" Schüssel sie nannte - eine unvergleichliche Politisierung erlebt. Widerstand mit künstlerischen, kreativen, technologischen Mitteln wurde die Losung der Stunde zwischen Eisenstadt und Bregenz.
Doch nicht nur innerhalb der engen Grenzen des kleinen, weltpolitisch insignifikanten Alpenlandes, auch in der Welt insgesamt hat der "Widerstand" eine Renaissance erlebt. Zwischen den Demonstrationen von Seattle und Genua nahm die medieninformierte Weltöffentlichkeit das Wachstum einer uneinheitlichen Bewegung wahr, die unpassenderweise manchmal als "Anti-Globalisierungsbewegung" bezeichnet wird, sich im Prinzip aber gegen die Auswüchse eines weltweit triumphierenden und von keinen Kontrollmechanismen gebremsten Kapitalismus wendet. In diesem Kontext kommt es zu unwahrscheinlichen und temporären Allianzen zwischen ansonsten so weit auseinanderliegenden gesellschaftlichen Gruppen wie kritischen Künstlern, kirchlich inspirierten wohltätigen Gruppen und hartgesottenen, unreformierten Marxisten und Anarchisten.
Trotz dieser unleugbaren Widersprüche ist es inzwischen zu einer Art Binsenwahrheit geworden, dass es zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder eine Art politisierter Bewegung gibt, die nicht aufgegeben hat, die sich nicht zu einem reformistischem Marsch durch die Instanzen anschickt, die keinem eindeutig zuordenbarem politischem Spektrum angehört, sondern die einfach alles verändert haben möchte. Vor diesem Hintergrund erscheint es zwar nicht unbedingt zwingend aber doch irgendwie einleuchtend, dass ausgerechnet das Österreichische Kulturforum eine Veranstaltung abhält, die Teilnehmer in "Anti-Technologien des Widerstands" auszubilden verspricht.
Zurückzuführen ist das auf eine Konstellation, in der ein junger englischer Künstler namens Anthony Auerbach seit einigen Jahren das Programm der Bildenden Künste des Österreichischen Kulturinstituts, Verzeihung, Forums, gestaltet. Seine Intention war es laut eigenen Angaben von Anfang an, den kleinen Galerieraum im Erdgeschoss des ehrwürdigen Gebäudes nicht wie eine Galerie, sondern eher wie einen Künstlerprojektraum zu betreiben. Dem Workshop für Technologien des Widerstands vorangegangen sind unter anderem ein Event der Kunst-Schockierertruppe Gelatin, ein Symposium der Londoner Gruppe Necronautic Society und ein als work-in-progress sich entwickelndes Projekt der Film- und Videokünstlerinnen Klub Zwei.
Dazu muss eingefügt werden, dass die genannten Künstler, auch wenn sie sonst nichts gemeinsam haben, genau das repräsentieren, was die ÖVP-FPÖ-Koalition nicht mag: aufsäßige, agitative, Fragen stellende, nicht in Schablonen passende, politisch aktive zeitgenössische Kultur. Und noch etwas sollten die geneigten Leser wissen: In Österreich gab es früher (vor der FPÖ-Regierungsbeteiligung) eine Art Aufgabenteilung der Kulturpolitik im Rahmen des Proporzsystems zwischen SPÖ und ÖVP. Während das vormalige Bundesministerium, nun Kunststaatssekretariat, in den letzten 20 Jahren von Sozialdemokraten beherrscht war, die kein Problem damit hatten, Künstler zu fördern, welche die Autoritäten scharf angriffen (oder was auch sonst immer an zeitgenössischem Unfug anstellten), "gehörte" die Auslandskulturpolitik in Gestalt der Kulturinstitute u.a. in London, Paris und New York und der den Botschaften zugeordneten Kulturattaches traditionell mehr oder weniger den "Schwarzen", also der ÖVP, genau jener Partei, welche sich den Kanzlerposten sicherte, indem sie die Koalition mit der Haider-Partei FPÖ einging. Damit sollte eigentlich garantiert sein, dass die österreichische Auslandskultur, die ohnehin schon immer eher auf Mozart und Lippizaner zwecks Fremdenverkehrswerbung eingestimmt war, nun noch vehementer kulturkonservative Werte vertreten würde. Nicht ganz, nicht immer.
"Gewalt in einer Kunstgalerie ist immer Kunst-Gewalt"
Ob es im Sinne der österreichischen kulturellen Außenpolitik lag, was das Künstlerpaar Brener/Schurz mit dem Bukaka-Widerstands-Wochenende inszenierte, lässt sich bezweifeln, insbesondere was die Eröffnung betrifft. Denn dabei flogen nicht nur Eier, Wassermelonenhälften, Gläser, Flaschen, sondern bald auch Fäuste und am Ende sah das ehrenwerte Institut wie der Partyraum im Keller eines besetzten Hauses aus. Die Künstler hatten die Wände der Galerie komplett mit Filzstiftzeichnungen auf A4-Papier beklebt. Darauf wurden wahlweise Gallionsfiguren der "Young British Artists" wie Damien Hirst oder Tracey Emin beschimpft oder das kapitalistische militaristische Hegemonialsystem beschimpft und "Anti-Technologien des Widerstands" vorgeschlagen, schwankend zwischen phantasievoll, witzig, beißend und relativ platter Anti-Kunst- und Anti-Kapitalismus-Propaganda. (als Beispiel für die Zeichnungen siehe dieses recht große GIF) Neben der ausgestellten Kunst sollte noch eine Präsentation der Londoner Gruppe Crash! sowie ein Konzert der Hardcore-Band Earl Brutus stattfinden (Hardcore=gitarrenlastiger Post-punk-rock). Doch dazu kam es nicht.
Vor dem Auftritt der Band betraten Brener/Schurz das Podium und hielten eine kurze Rede. Am Ende derselben erklärten sie das gesamte Ereignis für beendet und begannen die eigenen Arbeiten von den Wänden zu reißen. Als Brener dann auch noch einen Tisch voller Gläser und Flaschen umstürzte, kam der Backlash. Mitglieder der angesagten Punkband und der Aktionstruppe Crash! weigerten sich, den "symbolischen" Charakter der Aggression von Brener/Schurz nur als solchen zu verstehen und begannen vor allem auf ihn einzuschlagen. Insbesondere ein Engländer, dessen äußere Erscheinung dem sogenannter Hooligans oder Skinheads ähnelte, extrem stämmig, kurzgeschorene Haare, gab einige treffsichere Fausthiebe auf Brener ab und forderte ihn zu einem Faustkampf heraus. Obwohl bereits aus mehreren Wunden im Gesicht blutend, hielt sich der Künstler tapfer, teils ausweichend, beruhigend, teils zurückschlagend. Doch in dem engem Galerieraum voller Menschen, Equipment, zersplitterter Gläser, gab all das kein wirklich erquickliches Ereignis ab. Am Ende, seinem Verfolger mit knapper Not entkommen, rastete etwas in Brener aus und er schleuderte eine volle Bierflasche knapp über die Köpfe der im Korridor versammelten Menge ins Freie. Es war mehr Glück als Können, dass dabei niemand verletzt wurde. Danach zogen sich Brener/Schurz in die oberen Stockwerke des Kulturinstituts zurück.
"Gewalt in einer Kunstgalerie ist immer Kunst-Gewalt", schrieb Kurator Anthony Auerbach in einer E-Mail wenige Tage später an mich. Ich bin gerne bereit das zu akzeptieren, doch vor allem der letzte Akt hatte etwas zutiefst Symbolisches an sich. Die Künstler, die gerade diese Institution angegriffen hatten, zogen sich unter akuter physischer Bedrohung ins Innere ebendieser Institution zurück. Dieser Widerspruch sprach irgendwie gegen die ganze Performance, auch wenn man akzeptiert, dass eine solche Eskalation keineswegs geplant oder voraussagbar war. Nicht ganz eine Woche später traf ich die beiden in einem Pub in East London, um sie mit meinen Fragen zu konfrontieren.
Ruhig und artikuliert sprechend, wenn auch mit gewissen Einschränkungen in der Beherrschung der englischen Sprache, gaben die beiden Auskunft über ihre Intentionen. Um es kurz zu machen: Brener gab zu, dass er das mit der Flaschenwerferei bedauerte, dass das nicht in seiner Absicht gelegen sei und dass er die Kontrolle über die Situation verloren hatte. Nach längeren Verästelungen des Gesprächs gab er auch zu, dass er auch schon früher in seiner Künstlerkarriere bei Interventionen in öffentlichen Situationen diesen Moment des Ausschnappens erlebt hatte, wobei er nicht mehr ganz Herr seiner Handlungen gewesen war und Dinge jenseits seiner rationalen Kontrolle getan hatte. Doch zugleich bemühte sich das Duo, den Aspekt der Gewalt zu relativieren, verwiesen auf das Gewaltmonopol des Staates und die Definitionsmacht dessen, der bestimmt, was als "gewalttätig" bezeichnet wird. Obwohl Pazifist durch und durch, gegen jede Gewalt und für die Suche nach anderen Mitteln des Ausdrucks und Widerstands auch gegen oppressive Situationen, war ich im Verlauf des Gesprächs zunehmend bereit, mich mit diesen Erklärungen zufrieden zu geben.
Man kann das Künstlerpaar Brener/Schurz im Alltag, wenn sie nicht gerade eine Galerie in Aufruhr versetzen, als durchaus sympathische Leute bezeichnen. Hervorstechend ist ihr Idealismus, mit dem sie gegen die ihnen korrupt erscheinenden Ordnungssysteme kämpfen - das Kunstsystem ebenso wie die ökonomisch politische Weltordnung ankämpfen. Es ist beinahe schon ein Klischee, dass eine lautstark vorgetragene Anti-Kunst-Haltung vor allem dazu dient, möglichst schnell in das Kunstsystem ko-optiert zu werden. Doch ich gewann die Überzeugung, dass dem bei Brener/Schurz nicht so ist, dass ihr Unbehagen über die Umstände genuin ist und dass sie etwas dagegen tun wollen, was zugleich über ein reines Dagegensein hinausgeht. Wenn man sie etwas beschuldigen kann, dann ist es nicht berechnendes, kunststrategisches Denken, sondern eine gewisse Naivität, ja, fast Unschuld. Sie vermuten, wahrscheinlich richtig, dass sie mit ihren Einstellungen und Haltungen in der Kunstwelt wenig Freunde haben. Dennoch wollen sie sich nicht zum Verstummen zwingen lassen und sind unglaublich produktiv, mit Zeichnungen, Texten und Büchern. Bukaka, der Titel des Workshops, ist der Name einer afrikanischen Revolutionärin in einem Roman, an dem sie gerade arbeiten. Zuvor haben sie ein Buch namens "Tattoos auf Gefängnissen (Notizen zweier GraffitistInnen)" veröffentlicht.
Doch wenn eine Art Restmenge an Bedenken zurück bleibt, dann nicht, weil ich denke, dass sie schlechte Menschen oder schlechte Künstler seien, sondern gerade wegen dieser wohlmeinenden, das Gute wollenden, aber vielleicht manchmal das Falsche treffenden Einstellung. Diese Welt ist zu komplex, zu hochorganisiert in verschiedenen Schichten der Machtausübung und gegenseitigen Interferenz, um noch an einfachen Formeln des Widerstands und des Protests Handlungsmaximen ausrichten zu können. Aus vollem Herzen Gutes tun zu wollen, ist nicht immer genug.
Der brasilianische, derzeit in London lebende Medien- und Filmkünstler Lucas Bambozzi, der bei den geschilderten Ereignissen anwesend war und alle hier gezeigten Bilder von einer Videoaufnahme zur Verfügung stellte, und mit dem ich diese Überlegungen teilte, erinnerte aber auch noch an einen anderen Aspekt. Sein Vater war in Brasilien militanter kommunistischer Regimegegner, in wesentlich gefährlicheren Umständen unter aufeinanderfolgenden Militärdiktaturen. Er bewunderte diese Haltung seines Vaters, entschied sich aber zunächst für eine unpolitische Künstlerlaufbahn. Erst später fand er zu einer re-politisierten Haltung, die Kunst mit Politik verband. Jetzt, da wieder so etwas wie eine globale politische Bewegung sichtbar wird, begrüßt er jeden Beitrag von Künstlern, die sich diesen Tendenzen anschließen. Der Aspekt, dass möglicherweise plötzlich zu viele Künstler an ähnlichen Themen arbeiten, der Aspekt der künstlerischen Exklusivität der Sujetwahl wird damit hinfällig, meinte er, weil es grundsätzlich gut sei, wenn mehr und mehr Leute in diese Richtung arbeiteten.
Auch Brener/Schurz betonen, dass sie nicht nur innerhalb des Kunstsystems dieses kritisieren, sondern mit Aktionsgruppen wie den Wombles oder NoBorder/NoNation aktiv zusammenarbeiten. Sie kritisieren, dass es auch bei derartigen Gruppen eine Tendenz gibt, dass weniger darauf geachtet werde, was getan und in welchem Kontext erreicht wird, als vielmehr wie es in den Medien repräsentiert wird. Künstler, als Spezialisten in der Frage der Repräsentation, haben in diesem Kampf etwas beizutragen, wovon politische Gruppen lernen und profitieren können.
Dennoch bleibt die Gewaltfrage, welche Demonstrationen von Seattle bis Genua überschattet hat und nach dem Tod von Carlo Giuliano noch stärker in den Vordergrund getreten ist, weiterhin ungelöst. Welches Ausmaß von Gewalt oder Militanz ist man bereit in welchem Kontext zu akzeptieren und wie wird Gewalt überhaupt von wem definiert, das sind Fragen, die sich auch Brener/Schurz selbst stellen und die derzeit ungelöst im Raum stehen. Ein wenig ist das alles wie "Denn sie wissen nicht was sie tun", wozu auch die ungemein offene und tolerante, aber nicht sehr informierte oder theoretisch reflektierte Art zu rechnen ist, wie Anthony Auerbach solche Events an das Österreichische Kulturforum in London bringt. Dass er sie aber überhaupt zustande bringt, ist der beste Beitrag zur österreichischen Imagebildung im Ausland seit langem, wofür ihm das Außenministerium der Republik zutiefst dankbar sein und was es weiterhin unterstützen sollte.