"Ohne Hausarbeit keine Lohnarbeit"

Philip Kovce zum bedingungslosen Grundeinkommen

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Philip Kovce ist einer der Herausgeber des Sammelbandes Bedingungsloses Grundeinkommen, der Grundlagentexte zum Thema von Thomas Morus bis Philippe Van Parijs beinhaltet.

Herr Kovce, was beinhaltet das bedingungslose Grundeinkommen?

Philip Kovce: Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein neues Grundrecht. Es gewährleistet ein menschwürdiges Existenzminimum aller Bürger jederzeit. Das hat weitreichende Konsequenzen: Wo heutzutage noch Arbeitszwang und Ausbeutung herrschen, da kann mit einem Grundeinkommen tatsächlich von Sicherheit und Freiheit die Rede sein.

Das Hartz-IV-Regime, das Bürger wie Bettler und Betrüger behandelt und die verfassungsgemäß garantierten Freiheits- und Gleichheitsrechte empfindlich verletzt, ließe sich damit endlich überwinden. Ein Schritt, der gerade in Anbetracht des jüngsten Hartz-IV-Urteils des Bundesverfassungsgerichts überfällig erscheint.

"Recht auf Faulheit"

Wer hat diese Idee zum ersten Mal aufgegriffen und von welchen Denkern wurde das Konzept weiterentwickelt?

Philip Kovce: Seinen ersten Auftritt auf der historischen Bühne hat das bedingungslose Grundeinkommen im Zuge des neuzeitlichen Humanismus. So fordert der britische Staatsmann Thomas Morus bereits 1516 in seinem Roman "Utopia", dass Mundraub nicht länger mit dem Tod bestraft, sondern mit einer Einkommensgarantie obsolet werden sollte.

Morus ist überzeugt, dass Mittellose, die von Hunger und Durst in die Kriminalität getrieben werden, sich moralisch meistens nichts zuschulden kommen lassen. Vielmehr handele eine Gesellschaft moralisch verwerflich, die solche widrigen Verhältnisse dulde und nicht dafür sorge, Not und Elend zu beseitigen.

Angesichts der Amerikanischen und Französischen Revolution werden diese Überlegungen im Geiste der Aufklärung wieder aufgegriffen - beispielsweise von Thomas Paine, einem Gründervater der Vereinigten Staaten. Paine betont, dass jeder Mensch, unabhängig von Alter und Geschlecht, Leistung und Bedarf, das gleiche Anrecht auf einen Anteil der Früchte der Erde besitzt.

Aspekte eines Grundeinkommens spielen von da an immer wieder eine Rolle: Paul Lafargue mit seinem "Recht auf Faulheit" und Bertrand Russell mit seinem "Lob des Müßiggangs" kommen darauf ebenso zu sprechen wie John Maynard Keynes, Milton Friedman, Erich Fromm oder Ralf Dahrendorf.

"Überholte Bismarck'sche Sozialbürokratie"

Wie hat sich das Konzept im geschichtlichen Verlauf modifiziert?

Philip Kovce: Wenn heute über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert wird, dann ist damit eine Leistung gemeint, die in existenzsichernder Höhe, als individueller Rechtsanspruch, ohne Zwang zur Gegenleistung und ohne Bedarfsprüfung gewährt wird. Diese Forderung ist natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern hat - wie bereits angedeutet - vor allem in zunehmend arbeitsteiligen und geldwirtschaftlichen Verhältnissen ab dem 18. Jahrhundert eine bewegte Geschichte. Doch gehen wir noch einen Schritt zurück:

Solange keine arbeitsteiligen und geldwirtschaftlichen Verhältnisse vorherrschen, entspricht die Forderung nach Grundeigentum für jedermann der modernen Forderung eines Grundeinkommens. Das vormoderne Pendant zum Grundeinkommen ist ein Grundstück, das agrarische Selbstversorgung frei von feudalen Frondiensten ermöglicht. Ansätze dazu finden sich bereits in der griechischen und römischen Antike.

Bei aller Geschichtlichkeit der Idee sollte man jedoch die Tatsache nicht vergessen, dass das Grundeinkommen bis heute Zukunftsmusik geblieben ist. Während es jahrhundertelang größtenteils als utopische Spinnerei einiger Weniger galt, wird das Grundeinkommen erst seit einigen Jahren als durchaus realistische Alternative zur überholten Bismarck’schen Sozialbürokratie angesehen.

"Herdprämie für Hausfrauen"

Aus welchem Lager stammen heutzutage die Befürworter und Kritiker?

Philip Kovce: Die derzeitige Gemengelage in Sachen Grundeinkommen ist einigermaßen unübersichtlich. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Grundeinkommen in sämtlichen politischen Parteien sowohl befürwortet als auch kritisiert wird. Es gibt Liberale, die es gutheißen, weil sie sich vom Grundeinkommen einen schlanken Staat und mehr unternehmerische Initiative erhoffen; ebenso gibt es Liberale, die es verteufeln, weil sie einen aufgeblähten Staat und flächendeckende Faulheit befürchten.

Nicht anders ist es bei den Linken: Die einen begrüßen das Grundeinkommen als fortschrittliches Instrument sozialer Sicherung und individueller Emanzipation, während es den anderen als Bankrotterklärung des Sozialstaats, Verweigerung des Klassenkampfes und Herdprämie für Hausfrauen gilt.

Will man diese so unterschiedlichen Gesichtspunkte auf einen gemeinsamen Nenner bringen, ließe sich vielleicht sagen: Wer andere - aus welchen Gründen auch immer - zur Arbeit oder zu ihrem Glück zwingen will, der lehnt ein bedingungsloses Grundeinkommen eher ab. Wer hingegen der - wie auch immer begründeten - Ansicht ist, dass wir auf Zwangsarbeit und Zwangsbeglückung künftig lieber verzichten sollten, der ist eher ein Befürworter des Grundeinkommens.

"1000 Euro pro Monat"

In welcher Größenordnung sollte sich das bedingungslose Grundeinkommen bewegen und wie sollte es finanziert werden?

Philip Kovce: Ein bedingungsloses Grundeinkommen muss so hoch sein, dass man davon bescheiden, aber menschenwürdig leben kann. Wer das Grundeinkommen zu tief ansetzt, der konterkariert damit die Bedingungslosigkeit und führt es ad absurdum. Um dies zu verhindern, sollte ein Grundeinkommen in Deutschland derzeit 1000 EUR pro Monat nicht unterschreiten. Damit läge es im Bereich des steuerlichen Grundfreibetrags beziehungsweise der Armutsgrenze und entspräche dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

Was die Finanzierung des Grundeinkommens betrifft, so gilt es zu bedenken, dass das Grundeinkommen volkswirtschaftlich gesehen ein Nullsummenspiel ist. Es ist kein zusätzliches, sondern ein grundsätzliches Einkommen, das den existenzsichernden Bestandteil heutiger Einkommen bedingungslos werden lässt. Prinzipiell sinken also die heutigen Einkommen in Höhe des Grundeinkommens - individuell steigt die Handlungsfreiheit dank der Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens.

Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens lässt sich auf unterschiedlichsten Wegen erreichen, weshalb es dafür auch zahllose Finanzierungsmodelle gibt. Ich selber befürworte zunehmende Konsumsteuern, da mir in arbeitsteiligen Gesellschaften nicht die Erbringung von Leistungen, sondern die Inanspruchnahme von Leistungen als sinnvoller Moment der Besteuerung erscheint.

Doch das alles ist bloß die technische Seite der Finanzierung. Ob uns die Bedingungslosigkeit letztlich fleißiger oder fauler werden lässt, darin besteht die eigentliche Finanzierungsfrage des Grundeinkommens. Sie ist nicht losgelöst von Kulturfragen zu beantworten.

"Das Grundeinkommen ändert nichts an Fluchtursachen und Asylgründen"

Ein Argument gegen die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens ist, dass es die Migration nach Europa neu befeuern würde. Müsste also das Grundeinkommen, um wirksam zu werden, nicht in allen Ländern gleichzeitig eingeführt werden?

Philip Kovce: Die Sorge, aufgrund der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von einer gierigen Horde sozialschmarotzender Ausländer überrannt zu werden, ist völlig unbegründet. Sie resultiert in der irrigen Annahme, dass Menschen ihre Heimat schon allein deshalb verlassen, weil es in der Fremde anscheinend bessere soziale Infrastruktur gibt.

Würde dieses Argument stimmen, müssten noch heute alle Deutschen nach Schweden oder in die Schweiz auswandern und alle Briten längst in Deutschland leben! Anders gesagt: Das Grundeinkommen ist migrationsneutral. Es ändert nichts an bestehenden Ein- und Ausreisebestimmungen, Fluchtursachen und Asylgründen.

Es ist keine migrationspolitische Maßnahme, sondern eine grundrechtliche Forderung. Als solche muss das Grundeinkommen gerade nicht überall gleichzeitig eingeführt werden, sondern nur wenn und nur wo demokratisch verfasste Gemeinwesen es mehrheitlich befürworten.

Das bedingungslose Grundeinkommen stellt ein Grundkonzept kapitalistischer Gesellschaftlichkeit infrage, nämlich, dass jeder von seiner Lohnarbeit leben müsse. Dem Grundeinkommen stehen also mächtige Interessen entgegen. Wäre es da nicht praktikabler, gleich den Sozialismus einzuführen?

Philip Kovce: Der Kapitalismus hat ein echtes Problem: Er ist auf dem sozialen Auge weitgehend blind. Deshalb verkennt er seine eigenen antikapitalistischen Wurzeln: Ohne Hausarbeit keine Lohnarbeit, ohne Reproduktion keine Innovation. Weil der Kapitalismus dies übersieht, bedroht er andauernd seine eigene Grundlage.

Doch anstatt dem Kapitalismus auch noch das liberale Auge auszureißen, indem man sozialistische Planwirtschaft einführt, sorgt das Grundeinkommen lieber dafür, dass der Kapitalismus sozial werden kann. Das Grundeinkommen garantiert, dass der freie Markt nicht länger unfrei macht, und es ermöglicht, dass das soziale Leben nicht länger asozial behandelt wird. Wer also will, dass der Kapitalismus sowohl eine liberale als auch eine soziale Zukunft hat, der steht sich selbst im Weg, wenn er das bedingungslose Grundeinkommen bekämpft.

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