On Air: US-Propaganda für Afghanistan
Flugblätter und Radioprogramme
Nicht nur Bomben und Lebensmittel werfen die amerikanischen Luftstreitkräfte in Afghanistan ab. Auch Radios und Flugblätter mit Frequenzen sollen die Bevölkerung zum Lauschen westlicher Aufklärungssendungen animieren. Überdies gibt es Flugblätter, die den Taliban-Anhängern zeigen, wie sich ergeben müssen: "You have only one choice ... Surrender now." Dafür heißt es dann auch, dass "The Partnership of Nations is here to help". Ein Sender des US-Militärs berichtet aus Flugzeugen in den afghanischen Landessprachen.
Vergangenen Sonntag wurden BBC-Reporter auf einen neuen Radiosender aufmerksam, der sein Programm in den gebräuchlichsten Landessprachen Afghanistans, Dari und Pashto, ausstrahlt. Am Montag gab dann das Verteidigungsministerium den Einsatz dieses Senders zusammen mit den Flugblättern bekannt, die seit Sonntag im Rahmen der psychologischen Kriegsführung (PsyOps - Psychological Operations) über Afghanistan abgeworfen werden.
Die USA hatten bereits kurz nach den Terrorangriffen in New York und Washington DC angekündigt, parallel zu möglichen Militärschlägen auch die Auslandspropaganda verstärken zu wollen. Das altgediente Westpropaganda-Radio aus Zeiten des Kalten Krieges, Voice of America, erlebte unvermittelt eine Renaissance. Am 25. September erklärte der Sender eine Ausweitung der Nachrichtensendungen im Mittleren Osten, Süd- sowie Zentralasien - Afghanistan miteingeschlossen. Ausführliche News-Leisten gibt es seitdem in Arabisch, Dari, Farsi, Pashto und Urdu (Pakistan).
Zudem wurden acht Millionen Dollar für die Gründung eines Aufklärungssenders für Afghanistan (Projekt "Radio Free Afghanistan") nach dem Muster der Stationen "Radio Free Europe" und "Radio Liberty", die während des Kalten Krieges in Europa zum Einsatz kamen, im US-Kongress beantragt. Legitimiert werden derartige Vorhaben unter anderem mit Erfolgsberichten von ähnlichen Psychological Operations-Projekten im Golfkrieg.
Hochzeitsmusik und US-Propaganda
Was den neuen US-Militärsender betrifft, so haben BBC-Journalisten die Programmgestaltung genau unter die Lupe genommen. Die Radiostation geht täglich morgens und abends für insgesamt etwa fünf Stunden on air. Berichtet wird über aktuelle Militäraktionen und den Abwurf von Nahrungsmittelpaketen unter Hinweis auf eine Koalition von "friedliebenden Ländern", denen es um die Bekämpfung des Terrors gehen würde. Die Nachrichtensprecher verweisen außerdem immer wieder darauf, dass sich die Angriffe nicht gegen die unschuldige Zivilbevölkerung richten würde. Neben Nachrichten strahlt der Sender auch typisch afghanische Volksmusik aus. Allerdings würde solche Musik landesüblich anlässlich von Hochzeiten und anderen Feiern gespielt, kritisieren die BBC-Reporter. Ebenso hätten sich die Programmgestalter etwas im Ton vergreifen. Die Nachrichten wären zu propagandistisch, von oben herab vorgebracht, resümiert BBC. Um die Propaganda der Taliban auszuschalten, wurde deren Sender schon am zweiten Tag der Luftangriffe bombardiert.
"Attention Taliban! You are condemned. Did you know that? The instant the terrorists you support took over our planes, you sentenced yourselves to death. The Armed Forces of the United States are here to seek justice for our dead. Highly trained soldiers are coming to shut down once and for all Osama bin Laden's ring of terrorism, and the Taliban that supports them and their actions."
Auszug aus einem US-Flugblatt aus der Serie The Partnership of Nations is here to help
Dass der britische Sender derart kritisch über diese Radiostation berichtet, hat möglicherweise aber auch etwas mit dem neuerdings ausgebrochenen Kampf um Frequenzen in diesen Landstrichen zu tun. So besetzte der BBC World Service erst jüngst zu seiner angestammten Frequenz in Südasien eine neue Mittelwellenfrequenz, die sowohl Afghanistan als auch die gesamte zentralasiatische Region abdecken soll. In verschiedenen BBC-Artikel wird immer wieder auf die hohe Verbreitung der eigenen Programme in dem Gebiet hingewiesen. Nach Unternehmensangaben hören 60 Prozent der Afghanen die BBC Sendungen in Pashto und Persisch. Neben den Briten dehnte "Radio France International" sein Programm aus und produziert seit kurzem zusätzliche 30 Minuten Nachrichten in persischer Sprache.
"Our forces are armed with state of the art military equipment. What are you using, obsolete and ineffective weaponry? Our helicopters will rain fire down upon your camps before you detect them on your radar. Our bombs are so accurate we can drop them right through your windows. Our infantry is trained for any climate and terrain on earth. United States soldiers fire with superior marksmanship and are armed with superior weapons."
Auszug aus einem US-Flugblatt aus der Serie The Partnership of Nations is here to help
Taliban Radio off air
Der westlichen Propagandaschlacht steht die restriktive Medienpolitik der Taliban gegenüber. Seit der Machtergreifung 1996 wurden Fernseher verboten. Im Juli untersagten die Taliban dann auch noch die Internetnutzung (Taliban bauen weiter an der Abschließung des Landes). Dabei richtete die Fundamentalistenregierung selbst eine Propagandasite ein, die eine internationale Öffentlichkeit über das "wirkliche" Afghanistan unter den Taliban aufklären wollte. Die Website ist allerdings nicht mehr aufrufbar.
Dass von ausländischen Reportern nur mehr der Korrespondent des arabischen Senders Al Jazeera geduldet wird, ist hinlänglich bekannt seit CNN laufend Berichte der TV-Anstalt übernimmt. Für die breite Bevölkerung in Afghanistan allerdings überlebte nur das Radio, zumal selbst die reaktionären Taliban erkannten, dass sich das "Teufelszeug" vorzüglich zur Verbreitung von Koransprüchen eignet. Radio Afghanistan mutierte zu Radio Sharia. Diese Station sendete bis vor kurzem. Reden von Taliban-Führern und andere einschlägige Sendungen. Nick Grace von Clandestine Radio Watch (CRW) konzentrierte sich insbesondere auf die 15 Minuten englischsprachiger Nachrichten, die Radio Sharia täglich ausstrahlte. CRW archivierte diese Berichte, bis der Sender von US-Bomben zerstört wurde und machte sie für die internationale Öffentlichkeit auf der CRW-Homepage zugänglich. Clandestine Radio Watch ist insgesamt eine empfehlenswerte Webpage für all diejenigen ist, die sich ausführlicher mit den im Geheimen operierenden Radiostationen - vor allem in Ländern, in denen es mit der Pressefreiheit nicht soweit her ist - vertraut machen wollen.
Für viele afghanische Bürger sind Ätherwellen die letzte Verbindung zum Rest der Welt. Kein Wunder, dass die amerikanischen Streitkräfte dieses Medium strategisch nutzen wollen. Propagiert wird vom Pentagon auf den abgeworfenen Flugblätter das "Information Radio", also jener Sender, den BBC beschrieb. Die Flugblätter veröffentlichte das Verteidigungsministerium am 15. Oktober selbst. Der Sender befindet sich in den "fliegenden" Radiostationen, die sechs speziell ausgerüstete EC-130 Maschinen bilden. Sie waren bereits in Panama, Bosnien und Haiti als fliegende Sender zum Einsatz gekommen. BBC berichtet, dass zudem Hunderte Wind-up-Radios abgeworfen wurden. Diese sind auf eine fixe Frequenz eingestellt, die automatisch auf US-Militärnachrichten einschwenken. Diese Erfindung eines Briten wird als Schlüsselwaffe im News-War gewertet.
Medien des Widerstands
Doch nicht nur der Westen versucht mittels Medien im Kampf gegen Terror und Taliban zu operieren. Die afghanische Opposition, die Nordallianz, betreibt eigene Radiostationen. Über Lautsprecher wird die Bevölkerung in Städten wie Charikar und Colbahor mit Nachrichten versorgt. Im Internet ist die Nordallianz dreimal täglich mit dem Online-Radio "Voice of Mojahed" on air. Selbst eine Fernsehstation wird von der Opposition betrieben. Wie CRW berichtet allerdings mit unregelmäßiger Präsenz und wahrscheinlich geringer Verbreitung. Das tägliche Newsprogramm bringt auch BBC-TV-Berichte oder wie Fernsehbeiträge vom Iranian TV.
"Do you enjoy being ruled by the Taliban? Are you proud to live a life of fear? Are you happy to see the place your family has owned for generations a terrorist training site? Do you want a regime that is turning Afghanistan into the Stone Age and giving Islam a bad name? Are you proud to live under a government that harbors terrorists? Are you proud to live in a nation ruled by extreme fundamentalists?"
Auszug aus einem US-Flugblatt für die Afghanen aus der Serie Taliban actions are Non-Islamic
Seit langem medial und technisch hochprofessionell agiert die 1997 gegründete afghanische Frauenorganisation RAWA, die vom Exil in Pakistan aus operiert und primär die internationale Öffentlichkeit im Kampf gegen die Taliban mittels Internetberichterstattung mobilisieren wollte. Unter Einsatz ihres Lebens filmten RAWA-Frauen mit Minikameras, die sie versteckt unter der bodenlangen Verschleierung trugen, die Greuel der Taliban. Auf ihrer Webpage, mit Nachrichten in vier Sprachen inklusive Deutsch, veröffentlichten die RAWA-Aktivistinnen Bilder von Exekutionen, Misshandlungen von Frauen und Kindern. Eine breitere Öffentlichkeit registrierte die RAWA erst jüngst, als westliche Fernsehstationen über die Taliban und deren Widersacher vermehrt berichteten.