Online-Handbuch für die Familie
Jede Menge Text, wenig konkreter Rat, viel Zweitverwertung und kaum Interaktion bietet eine gemeinsame, vom Familienministerium finanzierte Initiative von Bayern, Bremen und Nordrhein-Westfalen
Beratung durch Bildung, so könnte man das Projekt Familienhandbuch im Internet beschreiben. Mit den Themen der Familienbildung, Kindererziehung und Partnerschaft wenden sich die Anbieter der Bundesländer Bayern, Bremen und Nordrhein-Westfalen an Eltern, Familien und Erziehungswissenschaftler. Jedoch bleibt das ursprünglich als Beratungsangebot gedachte Portal in der Theorie stecken.
In einer gemeinsamen Initiative stellen Bayern, Bremen und Nordrhein-Westfalen ein Online-Beratungsangebot für Familien ins Internet. Finanziert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ratsuchende werden Beiträge zu Erziehung, Psychologie, Soziologie, Medizin und Politik finden, so zumindest lautet die offizielle Beschreibung. Zu Projektbeginn konnte man hochtrabende Worte vernehmen, wie Geld allein könne nicht die Geburtenrate um einen Prozentpunkt anheben. Deshalb habe man sich zu einem umfassenden Onlineberatungsprojekt entschlossen. So sei es unter anderem wichtig, in eine kinderfreundliche Infrastruktur zu investieren und ein flächendeckendes Beratungsnetz für Eltern einzurichten. Wie man auf diese Weise zu einer höheren Geburtenrate kommen will, wird allerdings nicht weiter thematisiert. In regelmäßigen Abständen stehen Experten online für eine umfangreiche Beratung zur Verfügung und auch die User sind zur Mitgestaltung des Portals aufgerufen.
Das Familienhandbuch entpuppt sich beim näheren Betrachten als Loseblattsammlung, die nach und nach ergänzt werden soll. Für die Textauswahl ist das Staatsinstitut für Frühpädagogik in München verantwortlich. Der interessierte Erziehende findet inzwischen auch jede Menge Text-Informationen vor. Die Qualität der Texte zeigt die Zielgruppe des Online-Familienhandbuch auf: Ratsuchende mit Internetzugang, die bereit sind, sich online fortzubilden. Dabei müssen sie die Bereitschaft mitbringen, ziemlich lange Fachtexte am Computer zu lesen oder auszudrucken. In der Regel handelt es sich um Menschen mit einem höheren Bildungsgrad, die sich auf diese Weise derartige Inhalte aneignen. Die beschaffen sich die gezeigten Information aber auch eigenständig.
Das Online-Angebot geht daher möglicherweise an der eigentlichen Gruppe von Ratsuchenden vorbei, denn eine schnelle und unbürokratische Hilfe bieten die angebotenen Texte nicht. Vielmehr werden allgemeine Erziehungsprobleme in sehr theoretischen Beiträgen von unterschiedlichen Autoren abgehandelt. Die hilfreichen Texte zur Sozialhilfe oder Wohngeld, die existenzsichernd sein sollten, bieten kaum mehr Informationen als die schriftlichen Informationen der Webseite des Familienministeriums.
Beispiele der Themenvielfalt aus dem Familienhandbuch:
Zur Bedeutung von Bildschirmspielen in der Freizeit- und Alltagskultur von Kindern wird auf 12 DIN-A4-Seiten abgehandelt und zeigt in der Tendenz eher einen theoretischen Aufsatz als eine Beratungshilfe.
"Vielmehr bleibt es die Aufgabe der Erwachsenen, den Prozess des Aufwachsens - auch mit den neuen Medien - aktiv zu begleiten und dafür Sorge zu tragen, dass vielfältige Ressourcen und Anregungen für die Entwicklung von Handlungskompetenz - auch im Sinne von Freizeit- und Medienkompetenz - bereitgestellt werden."
Wenn Eltern aber die häufige Spielzeit der Kinder als Problem empfindet, werden sie aus diesem Text keine Handlungsanleitung ziehen können. Fachleute dagegen finden im leicht aktualisierten Text keine neuen Informationen finden, zumal der Aufsatz bereits 1999 veröffentlicht wurde. (Spektrum Freizeit. Forum für Wissenschaft, Politik und Praxis, 21. Jg. (1999), Heft 1, S. 56-76.)
Im Beitrag Konsequenz: Regeln und Grenzen befasst sich die Sozialpädagogin Beate Weymann-Reichardt sehr intensiv mit einer in letzter Zeit immer wieder kontrovers diskutierten Erziehungsfrage. Doch auf das eigentliche Kernproblem geht sie erst gar nicht ein: Warum verhalten sich Kinder in welchem Alter so, dass Eltern verstärkt über Regeln und Grenzen in der Erziehung nachdenken? Zumindest gibt sie in klaren Aussagen wie: "Dem gleichen Verhalten des Kindes muss die gleiche Reaktion der Eltern folgen, damit sie wissen, woran sie sind" zwar eine gewisse Orientierung. Doch mit solchen oder ähnlichen idealtypischen Allgemeinplätzen können Eltern in der Regel nichts anfangen. Von Beratung in der Erziehungsrealität ist auch dieser Beitrag meilenweit entfernt.
Im Bereich "Hilfen/Programme" finden sich nette Vorschläge wie Freizeitangebote mit Kindern, Familienwandern oder Entspannungspädagogik. Wo bleibt nur der Beitrag zum richtigen Umgang mit Freizeitparks? Für gestresste Eltern finden sich lediglich zwei Bildungsangebote, die ganz bestimmt nicht die aktuelle Familienbildung darstellen. In jeder Volkshochschule oder Familienbildungsstätte finden sich weit vielfältigere Angebote. Dafür wird bei dem Finanzier (BmFSFJ) die Familienpolitik über den Klee hinaus gelobt. Kritische Stimmen aus Verbänden wie dem Deutschen Kinderschutzbund kommen nicht zu Wort.
Insgesamt präsentiert sich das vorgelegte Familienhandbuch als sehr altbacken und erreicht die eigentliche Zielgruppe wohl eher nicht. Wichtige interaktive Bereiche sind längst noch nicht mit Inhalten gefüllt. So gibt es noch keine Beiträge zu Eltern, die Antworten suchen und auch das Familienforum ist nicht einmal eingerichtet. Der Dialog mit Familienpolitikern ist angedacht, hat aber auch noch nicht stattgefunden. Irgendwie wird man hier den Eindruck nicht los, dass die Autoren eine gute Zweitvermarktungsmöglichkeit gefunden haben und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nur den Geldgeber spielt. Ansonsten geht das Onlineangebot an akuten Erziehungsproblemen und -fragen vorbei und wird somit eher Eigenzweck als Beratungshilfe sein. Ratsuchende Eltern erwarten keine Online-Bleiwüste, sondern konkrete Vorschläge oder ein beratendes Gespräch. Durch das nicht vorhandene Forum wird ihnen selbst diese Interaktionsmöglichkeit vorenthalten.