Online, um zu leben
Social-Networking
Nun hat auch das Wissenschaftsmagazin NewScientist das aktuelle „Big Thing“ des Internet als Thema entdeckt, die sozialen Netzwerke online, und stellt sich angesichts der Dimensionen von Friendster, MySpace, Bebo et al. die Frage, weclhe blütenweiß behemdete Working Lunch-Teilnehmer in Medienkonzernen seit einiger Zeit schon umtreibt: Wie revolutionieren diese Netzwerke Leben, Sozialkontakte und die Arbeit?
Um gleich zu Anfang einen „Spoiler“ zu setzen: die Autorin des Artikels „This is your space“, Amanda Gefter, kein Neuling, was komplexe Sachverhalte anbelangt, weiß darauf auch keine konkrete Anwort. Sie wagt einige Voraussagen und beschreibt das Phänomen der Social-networking-Webseiten mit recht eingängigen Sätzen, die so ähnlich auch im Gespräch mit Medien-Marketing-Spezialisten auftauchen:
Jeder kann partizipieren..Während ältere Erwachsene online gehen, um sich zu informieren, gehen die Jüngeren online, um zu leben. Die Grenzen zwischen der privaten Sphäre und der öffentlichen verschwimmen; es gibt eine Kluft zwischen den Generationen, die sich ausweitet – zwischen den Heranwachsenden, die mit der sozialen Technologie aufwachsen und Erwachsenen, die sich dort nicht zuhause fühlen, fremd und unbehaglich. Willkommen zur MySpace-Generation.
Und Gefter hat beeindruckende Zahlen für das noch schwer fassbare große Ding: 30 Millionen Mitglieder beim Pionierportal Friendster; bei Bebo, das eben erst ein Jahr alt geworden und die Nummer 1 der Social-networking-Seiten in Großbritannien ist , zählt man 25 Millionen Mitglieder. Die „Mutter“ all dieser Seiten, MySpace, wo sich Rupert Murdoch letztes Jahr für 580 Millionen Dollar eingekauft hat, soll gerade das 100 Millionste Mitglied registriert haben. MySpace soll nach Gefters Angaben in der Woche mehr Zugriffe bekommen als Google.
Auch die Blogger erwähnt Gefter im Zusammenhang mit der Entwicklung des Netzes zum wirklich interaktiven Medium. Auch hier beachtliche Zahlen: 51,3 Millionen Blogs weltweit, nach Angaben von Technorati, jeden Tag sollen 75.000 neue Blogs hinzukommen. Die Blogosphäre sei jetzt 100mal größer als vor drei Jahren.
Angesichts dieser gigantischen Zahlen und der Feststellung, dass Social-Networking im Netz anscheinend alle Lebensbereiche und Altersgruppen – wenn auch mit der Einschränkung, dass Unter-25-Jährige dominieren – betrifft, und viel Zeit dafür verwendet wird, stellt die NewScientist-Autorin die Frage, wie sich dies auf auf das soziale Verhalten im echten Leben auswirke.
Nach ihren Ermittlungen sind kürzliche Studien zu weitgehend widersprüchlichen Ergebnissen gelangt. Manche behaupten, dass die Individuen durch social networking extrovertierter, sozialer und glücklicher seien. Andere erkennen das Gegenteil: Die Sozial-Netz-Werker würden sich von ihren Familien und Freunden zurückziehen, soziale Bindungen im echten Leben abreißen lassen, sich isolieren und depressiv werden.
Die Autorin zieht daraus den Schluss, dass die Unterscheidungslinie zwischen echtem Leben und online nicht mehr deutlich gezogen werden kann. Es handle sich beim neuen Phänomen nicht mehr um einen Eskapismus, den man aus älteren online-Kulturen kennt. Während man früher beispielsweise in Chatrooms und bei Online-Games meist einen Fantasienamen angegeben hätte, um anonym zu bleiben oder die Freiheit einer anderen Identität zu genießen, sei es auffallend, dass die Jungen auf den social-network-Seiten meist mit dem richtigen Namen agieren. Zudem soll der Großteil ihrer Online-Interaktions-Partner meist deckungsgleich mit dem Freundes-und Bekanntschaftskreis aus dem wirklichen Leben sein. Soziale Kontakte via Web sind demnach nur eine Ausweitung der Kontakte, die man sonst auch pflegt – etwa über Telefon oder E-mail.
Künftig werden sich die beiden Sphären nach Ansicht von Gefter noch mehr vermischen, wenn der Kontakt zu MySpace übers Handy („mobile MySpace“) - läuft, sich Wi-Fi-Hotspots in den Städten ausbreiten – und das Ganze auch das berufliche Leben stärker einschließt: Als Vorboten dieser Entwicklung nennt Gefter wissenschaftliche Communityseiten wie etwa Siphs.
Anhand von Facebook, einer social-network-Seite, die Studenten von amerikanischen Universitäten miteinander verbindet, zeigt die Autorin die generelle Richtung an für die Zukunft solcher Netzwerke: Sie werden mehr und größer, man wird Mitglied mehrer solcher Netze, je nach Beruf, Interessen und Freunden. Unvermeidlich scheint es Gefter, dass irgendwann ein Meta-Netzwerk entsteht, das alle die unterschiedlichen sozialen Netzwerke miteinander verlinkt - „und die vollständige Identität eines Individuums, wird, in allen Seiten gezeigt, online leben....Wir werden autonomer sein und mobiler als je zuvor und eine blsinag unentdeckte Form der Kollektivität entdecken“.
Geteilt wird der optimistische Grundton, den Gefter in ihrem Artikel anschlägt, freilich nicht von allen. Zwar vergeht kaum ein Tag, an dem keine Business-News über MySpace und andere auf Webseiten, die Neuigkeiten aus der Medienwelt bringen, zu lesen ist, die Branche scheint von der Idee des social-networking begeistert, und keiner will den Zug verpassen. So sucht jetzt auch BBC nach einem Pendant zu Murdochs MySpace, aber gerade jüngste Aufregungen in Zusammenhang mit Facebook offenbaren auch unangenehmere Seiten des Netzwerkens: die Preisgabe privater Informationen in einem öffentlichen Raum, was u.a. zum Stalking einladen kann. Dass Mitglieder von Facebook sich dagegen gewehrt haben und einen Massenprotest eingelegt haben, spricht andererseits aber auch dafür, dass bestimmte Sensibilitäten nicht so leicht überrollt werden können.
In Gesprächskreisen der offline-Welt ist öfter eine Kritik an bestimmten Community-Portalen zu hören, die in ähnlicher Argumentation online hier zu lesen ist:
Generell hält man die Annahme aufrecht, dass MySpace eine social networking-Seite ist: „ein Platz für Freunde“, wie es der Slogan formuliert. In Wirklichkeit ist MySpace die nächste Generation von Marketing, Werbung und Promotion in der exquisiten Verkleidung als soziales Netzwerk. Einfach gesagt: MySpace.com ist Spam 2.0