Operation Harakiri: Wer wird gegen Trump antreten?

Seite 2: Die Stunde der Krisenmanager

"Er weiß, dass wir uns in einer anderen Situation befinden, wenn er noch zwei weitere Veranstaltungen dieser Art hat", sagte der Biden-Vertraute der Times. Zwei bevorstehende Veranstaltungen – ein Interview mit ABC, das am Freitag ausgestrahlt wird und zwei Wahlkampfauftritte in Pennsylvania und Wisconsin am Wochenende – seien entscheidend dafür, ob er im Rennen bleiben will, sagte die anonyme Quelle der Zeitung.

Ein CNN-Bericht aus dem Biden-Umfeld bestätigt derartige Überlegungen des amtierenden US-Präsidenten, nicht mehr anzutreten, falls die Umfragen abstürzen, die Spendenaktionen versiegen und die Interviews schlecht laufen.

Das Biden-Team versucht derweil jedoch in der Öffentlichkeit, den Spekulationen entgegenzutreten. Der Sprecher des Weißen Hauses, Andrew Bates, sagte, dass der NYT-Bericht falsch sei und Biden nicht aus dem Rennen ausscheide.

Biden hat laut Politico derartige Aussagen in einem Video-Call mit Mitarbeiter des Democratic National Committee (DNC) ebenfalls dementiert, was im oben zitierten E-Mail-Spendenaufruf bestätigt wird:

Lassen Sie mich das so klar und deutlich sagen, wie ich es kann, so einfach und geradeheraus, wie ich es kann: Ich kandidiere ... niemand drängt mich raus. Ich gehe nicht.

Abrutschen in den Umfragen

Doch hinter den Kulissen gibt es Anzeichen, dass die Biden-Kandidatur wackelt – darunter ein Treffen Bidens mit der Vizepräsidentin Kamala Harris, ein großes Stabstreffen im Weißen Haus sowie die fehlende Anordnung der Demokraten-Spitze im Kongress an die Parteimitglieder, sich wie in anderen, ähnlichen Fällen (siehe den Fall der demokratischen Senatorin Dianne Feinstein) hinter Biden zu versammeln.

Am Ende wird es eine Risikoabwägung sein, mit einem deutlich geschwächten und immer wieder verwirrt wirkenden Kandidaten weiter im Rennen zu bleiben oder kurz vor dem offiziellen Nominierungstreffen umzusatteln auf eine andere Kandidatur.

Dabei spricht immer mehr gegen Biden. Eine Reihe von Beobachtern stellt infrage, ob Biden nach dem Debakel und der daran anschließenden Debatte überhaupt noch eine Chance haben kann, Trump im November bei den Wahlen zu schlagen.

Diese Einschätzung wird von neuen Umfragen gestützt, in denen Trump Biden weiter abhängt. Eine am Mittwoch veröffentlichte Untersuchung der New York Times/Siena College ergab, dass Trump bei den registrierten Wählern mit 49 zu 41 Prozent vor Biden liegt. Das ist der größte Vorsprung für Trump, den die Times seit 2015 verzeichnen konnte. Andere Befragungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Kein Vertrauen mehr

Auch in den wahlentscheidenden "Swing States" – also den Bundesstaaten, die letztlich über Sieg und Niederlage entscheiden – hat die TV-Debatte Biden geschädigt.

So berichtet das US-Medium Puck über eine durchgesickerte Umfrage der Demokraten, wonach Biden in Bundesstaaten wie New Hampshire, Virginia und New Mexico, die bislang als nicht umkämpft galten, an Boden verliert und diese möglicherweise auf Donald Trump zusteuern.

Zudem ist eine steigende Anzahl von Demokraten der Meinung, dass ein anderer Kandidat besser abschneiden würde. Eine CNN-Umfrage ergab, dass 56 Prozent der Demokraten der Ansicht sind, dass die Siegchancen der Demokraten höher sind, wenn Biden ersetzt würde. Eine Erhebung von CBS News am Sonntag kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass 72 Prozent der Wähler überzeugt sind, dass Biden nicht über die "mentale und kognitive Gesundheit" verfügt, um als Präsident zu dienen.

Kamala Harris könnte Trump schlagen

Mehrere Namen werden genannt, wenn es um die Frage geht, wer Biden ersetzen könnte, darunter die demokratischen Gouverneure von Kalifornien, Illinois, Michigan und Pennsylvania. Nach Rückfragen von Reuters bei sieben ungenannten Quellen rund um die Biden-Kampagne, dem Democratic National Committee und dem Weißen Haus, stimmten alle darin überein, dass die Vizepräsidentin Kamala Harris die Top-Alternative ist.

In einer aktuellen CNN-Umfrage zeigt sich, dass Harris zum ersten Mal gegen Trump besser abschneidet als Biden. Danach liegt Trump zwar mit 49 Prozent gegenüber 43 Prozent vor Biden, aber nur zwei Punkte vor Harris, nämlich 47 Prozent gegenüber 45 Prozent.

Schon vor der TV-Debatte Biden-Trump war Harris bei Befragungen auf dem aufsteigenden Ast, Biden jedoch bei entscheidenden Wählerschichten auf dem absteigenden. Zudem hat Harris, anders als Biden, mehr Entwicklungspotenzial, noch unsichere Wähler:innen an sich zu binden.

Denn in vielen politischen Fragen ist sie näher an den Interessen und Bedürfnissen derjenigen Demokraten-Wählerschichten, die den Unterschied machen könnten, von den Afroamerikaner:innen und Hispanier:innen bis zu den Araber:innen, Frauen und jungen Wählergruppen. Das zeigen vor allem ihre Äußerungen bezüglich des Gaza-Kriegs oder Frauen- und Minderheitenrechten.

Harakiri könnte im Neo-Faschismus enden

In den nächsten Wochen, vielleicht schon nächste Woche nach den Auftritten von Biden in den kommenden Tagen, wird sich zeigen, wer am 8. August bei dem Nominierungstreffen des DNC als Kandidat offiziell gegen Trump antreten wird.

Biden gegen Trump ins Rennen zu schicken, war immer mit großen Risiken behaftet. Jetzt, nach der TV-Debatte und dem "Fallout" danach, wäre es eine Harakiri-Operation.

Dabei haben Biden und sein Team immer wieder klargemacht, wie viel auf dem Spiel steht. Es sei letztlich eine Entscheidungswahl Demokratie vs. drohenden Faschismus.

Das ist durchaus berechtigt: Trump, der von ihm mit ultra-konservativen Richtern besetzte Oberste Gerichtshof und die extremistische Republikaner-Partei, die von politischen Analysten als Aufstandsbewegung bezeichnet wird und sich bis heute nicht vom versuchten Staatscoup am 6. Januar 2021 distanziert hat, sondern ihn als legitim einstuft, haben in Wort und Tat wieder und wieder deutlich gemacht, was sie von Demokratie und elementaren Bürgerrechten halten.

Es wäre eine Ironie des Schicksals, wenn der amtierende Präsident und mit ihm das Partei-Establishment der Demokraten der autoritären Herrschaft durch fehlende Selbsteinschätzung den Einzug erleichtern, wenn nicht den roten Teppich ausrollen würden.