"Optimismus ist Feigheit"
Oswald Spengler als Philosoph des Untergangs
Die Wendung vom "Untergang des Abendlandes" ist bis heute ein viel gebrauchtes Schlagwort. Der Kulturphilosoph Oswald Spengler, dessen kenntnisreich geschriebenes und originelles (aber auch sehr umstrittenes) Hauptwerk diesen Titel trägt, war der philosophische Shooting-Star der Weimarer Republik. Das Buch stand nach dem Ersten Weltkrieg im Bücherschrank fast jedes Gebildeten und erreichte unglaubliche Auflagen.
Spengler gehörte zu den wichtigsten Vertretern der reaktionären Denkrichtung der "Konservativen Revolution" und hat damit dazu beigetragen, die Demokratie von Weimar für den Nationalsozialismus geistig reifzuschießen. Dabei war er erklärter Hitler-Gegner. Heute, da die Welt dem ökonomischen und damit auch dem kulturellen Untergang immer näher zu kommen scheint, erfährt das Werk des pessimistischen Geschichtsdenkers eine Renaissance.
Kindliche Traumreiche "Großdeutschland" und "Afrikasien"
Oswald Arnold Gottfried Spengler wird am 29. Mai 1880 als Sohn des Postangestellten Bernhard und seiner Frau Pauline in Blankenburg/Harz geboren. Er ist das zweite von fünf Kindern. Die Atmosphäre im Elternhaus empfindet er als sehr bedrückend. Seine intellektuelle Entwicklung muss er gegen den bücherfeindlichen und geistfernen Vater erkämpfen.
Als Junge schwankt er zwischen einem starken Gefühl der Minderwertigkeit und einer fast pathologischen Selbstüberhöhung. "Ich habe schon als Kind immer die Idee in mir getragen, ich müsste eine Art Messias werden. Eine neue Sonnenreligion stiften, ein neues Weltreich, ein Zauberland, ein neues Deutschland, eine neue Weltanschauung - das war zu 9/10 der Inhalt meiner Träume.", schreibt er später. Der Schüler ersinnt die Traumreiche "Großdeutschland" und "Afrikasien" und füllt viele Schreibhefte mit Überlegungen zu ihrer Bevölkerungsentwicklung, Ökonomie, Kultur, politischen Struktur und ihren endlosen Kriegen.
1891 bis 1899 ist er Gymnasiast in Halle. 1899 schreibt sich Spengler als Student an der Universität in Halle ein. Auswärtssemester verbringt er in München und Berlin. Er hört Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie. 1904 stellt er seine Dissertation über Heraklit fertig und legt das Staatsexamen als Gymnasiallehrer ab. Nach Jahren als Referendar in verschiedenen Städten wird er 1908 Studienrat an einem Gymnasium in Hamburg.
Eine Erbschaft nach dem Tod der Mutter 1910 sorgt dafür, dass er sich ganz seinen literarischen Projekten widmen kann. 1911 lässt er sich vom Schuldienst beurlauben und gibt den Lehrerberuf 1912 endgültig auf. Nach München-Schwabing umgezogen, führt er ab jetzt ein ausschließlich geistiges Leben in großer sozialer Einsamkeit.
Ein Buch, das den Nerv der Zeit trifft
Im Ersten Weltkrieg wird Spengler nicht eingezogen, da er für den Wehrdienst untauglich ist. Fieberhaft arbeitet er an seinem Buch Der Untergang des Abendlandes. 1918 erscheint der erste Band des Werkes, das den Untertitel "Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte" erhält. Das Buch schlägt ein wie eine Bombe. Es trifft die blankliegenden Nerven einer deutschen Intelligenz, die größtenteils ihre Hoffnungen auf einen Sieg des Kaiserreiches im Weltkrieg gesetzt hatte und nach der Niederlage für Untergangsszenarien sehr offen ist.
1922 folgt der zweite Band des "Untergangs", der nicht mehr ganz so heftige (positive wie negative) Reaktionen hervorruft wie der erste. Der Kulturdenker ist aber inzwischen ein gemachter Mann und bis in höchste Gesellschaftskreise hinein jemand, dem man zuhört. Spengler wurde später mit einem gewissen Recht als "Philosoph der Schwerindustrie' bezeichnet. Er konspiriert mit Industriekapitänen, rechten Politikern, Adligen und hohen Militärs gegen den ungeliebten Staat von Weimar. Sich selbst sieht er in der Rolle eines Wissenschafts- oder Kulturministers in einem reaktionären "Nationalen Direktorium", das Deutschland statt Kanzler Stresemann führen soll.
Das Scheitern des Hitlerputsches am 8. und 9. November 1923 bedeutet jedoch ein vorläufiges Ende der Umsturzplanungen. Der Privatgelehrte besinnt sich wieder auf die Wissenschaft. Spengler arbeitet an einem "metaphysischen Buch", das im "Untergang" angekündigt wurde und an einer "Weltgeschichte von Anfang an".
"Wir wollten alle Parteien loswerden. Die schlimmste ist geblieben"
Das Verhältnis des elitär-konservativen Philosophen zur braunen Massenbewegung ist distanziert. Hitler wird er in den 30iger Jahren einmal als "Prolet-Arier", der vom "Untergang des Abendlandes" den "ganzen Titel gelesen hat", bezeichnen. Er trifft ihn aber trotzdem im Juli 1933 zu einem Gespräch.
Die Haltung vieler Konservativer zur NSDAP an der Macht, ihre früheren Hoffnungen und ihre Ernüchterung und Enttäuschung, fasst ein Aphorismus aus Spenglers Feder zusammen: "Wir wollten alle Parteien loswerden. Die schlimmste ist geblieben." Im August 1933 veröffentlicht er das Buch Jahre der Entscheidung. Obwohl sein Denken auch hier antiliberal und antidemokratisch ist, distanziert Spengler sich doch vom biologistischen Rassismus und Antisemitismus der Nazis. Er äußert scharfe Kritik an den neuen Herren Deutschlands: Die Nationalsozialisten setzten auf den vordergründigen Effekt. Spengler wirft ihnen Großsprecherei, ein fatale Fixierung auf den Augenblick und mangelnden Realitätssinn vor. Sie schießen über das Ziel der "nationalen" Erneuerung hinaus: "Richtige Gedanken werden von Fanatikern bis zur Selbstaufhebung übersteigert. Was als Anfang Großes versprach, endet in Tragödie oder Komödie."
Nicht zuletzt wohl wegen dieser deutlichen Worte wird das Buch ein riesiger Verkaufserfolg. Die Machthaber lassen ihn in der Presse angreifen, dann totschweigen. Sein Verhältnis zum Regime erkaltet noch mehr, als während des sogenannten Röhm-Putsches Ende Juni/Anfang Juli 1934 der "linke" NS-Politiker Gregor Strasser, den er für den fähigsten Führer der Rechten hielt, sowie enge Freunde ermordet werden.
In der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 1936 stirbt der geschichtspessimistische Untergangsprophet Oswald Spengler an Herzversagen. Nach zehn Jahren Arbeit bleiben sein "metaphysisches Buch" und seine "Weltgeschiche von Anfang an" Fragment.
Mehr Poesie als Wissenschaft
Spenglers Buch "Der Untergang des Abendlandes - Beiträge zu einer Morphologie der Weltgeschichte" zeichnet ein ernüchternd pessimistisches Bild von der Zukunft der westlichen Gesellschaft. Deren Untergang ist sicher. Sich diesem Ende entgegenzustellen ist absolut zwecklos, wer an eine dauerhafte Zukunft des Okzidents glaubt, ist nur zu ängstlich für die Wahrheit. Er formuliert einmal an anderer Stelle: "Nur Träumer glauben an Auswege. Optimismus ist Feigheit".
Der "Untergang" ist mit seiner Formenlehre der Kulturgeschichte ein mehr poetisches als wissenschaftliches Werk. Die angemessene Form, sich der Geschichte zu nähern, ist nicht das analytische Auffinden von Kausalitäten, sondern die intuitive Schau zur Entdeckung von beseelten historischen Formen und Analogien zwischen Phänomenen und Phasen verschiedener Hochkulturen.
Spenglers Werk streift bei seiner assoziativ-analogisierenden Reise durch die Weltgeschichte unzählige scheinbar weit auseinander liegende religiöse, künstlerische, historische, politische, wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Erscheinungen:
"Wer weiß es, dass zwischen der Differentialrechnung und dem dynastischen Staatsprinzip der Zeit Ludwigs XIV., zwischen der antiken Staatsform der Polis und der euklidischen Geometrie, zwischen der Raumperspektive der abendländischen Ölmalerei und der Überwindung des Raumes durch Bahnen, Fernsprecher und Fernwaffen, zwischen der kontrapunktischen Instrumentalmusik und dem wirtschaftlichen Kreditsystem ein tiefer Zusammenhang der Form besteht?"
Gleichzeitig kündet das Werk des nationalkonservativen Denkers, mit seinem oft grandios-überheblichen und apodiktischen Herrenton von einem tiefen Misstrauen dem Menschen gegenüber (vor allem als "Masse"), von einer skeptisch-verächtlichen Haltung gegenüber der Demokratie und einer starke Vorliebe für autoritäre Gesellschaftsordnungen.
Was ist Geschichte und wie geht sie vor sich? Auf diese Fragen haben unterschiedliche Menschen und Zeiten ganz unterschiedliche Antworten gefunden. Traditionelle Vorstellungen vom Geschichtsverlauf zeichnen ihn oft als zyklisch. Die heiligen Schriften der Inder berichten etwa von einem goldenen Zeitalter, nach dem ein zunehmender Verfall der Qualität von Welt und Mensch folgt. Es kommt schließlich zu einer Apokalypse, nach der ein neues goldenes Zeitalter anbricht. Vergleichbares findet sich in der Antike, etwa bei den Stoikern.
Mit dem Christentum beginnt im Abendland ein lineares Geschichtsverständnis hegemonial zu werden. Nach dem Fall des Menschen aus einem paradiesischen Urzustand bewegt sich dieser durch die Zeit auf das Reich Gottes zu. Mit dessen Anbrechen nach einer apokalyptischen Krise endet die Geschichte für die Gläubigen mit einem Happy End. An einen linearen Fortschritt, ewig oder wieder mit einem Happy End, glauben auch viele Philosophen der Aufklärung und Vertreter der Naturwissenschaften und des Liberalismus oder des Marxismus.
Untergangsprophet Spengler widerspricht diesem linearen Bild der Geschichte und jedem Fortschrittsoptimismus und erschaut einen zyklischen Geschichtsverlauf. Kulturen sind Organismen. Sie haben eine Seele, ein sie belebendes metaphysisches Prinzip und wie alle anderen Organismen unterliegen sie den Gesetzen von Werden, Wandel und Verfall. Sie durchlaufen Entwicklungsstufen analog der menschlichen Kindheit, Jugend, dem Erwachsenen- und Greisenalter. Der Tod ist ihnen wie allen Lebewesen vorherbestimmt.
Der ehrgeizige Anspruch von Spenglers Morphologie der Geschichte ist es, aus der Entwicklung und dem Tod inzwischen untergegangener Kulturen heraus die noch nicht abgelaufenen Entwicklungsstadien unserer abendländischen Kultur vorauszusagen - und ihren Untergang. Er hat dabei aber darauf hingewiesen, dass man sich den Untergang einer Kultur, beispielsweise der Antike, aber nicht wie den eines Ozeandampfers vorstellen sollte. Das Begriff einer Katastrophe sei in dem Wort nicht enthalten. Solche Prozesse des Vergehens können sich über Jahrhunderte hinziehen.
Acht große Kulturen
Spengler entdeckt in der Weltgeschichte acht große Kulturen: die ägyptische, babylonische, indische, chinesische, antike, arabische, mexikanische und abendländische. Jede währt etwa tausend Jahre. Seine Aufmerksamkeit widmet er vor allem der antiken Hochkultur, die er "apollinisch" nennt, der arabischen, "magischen" und der abendländischen, "faustischen". Die apollinische Kultur ist sinnlich-diesseitsbezogen und geschichtsvergessen. Ihr "Ursymbol" ist der begrenzte Körper. Die magische Hochkultur ist dualistisch und schicksalsergeben. Ihr Ursymbol ist die Höhle oder Welthöhle. Die westlich-faustische Kultur strebt nach Ausdehnung und Grenzüberschreitung. Sie ist dynamisch und denkt und fühlt eminent historisch. Ihr Ursymbol ist der unendliche Raum.
Zwischen Kulturen kann es fast keinen echten Austausch und fast kein echtes Verstehen geben. Sie sind isolierte Monaden, zwischen denen jede "Kontinuität" nur konstruiert, jedes "Verständnis" nur ein Missverständnis ist. Das magische Urchristentum hat mit dem faustischen Christentum des europäischen Mittelalters gar nichts gemein. Wir sehen antike Plastik an, lesen und lehren griechische Philosophie, aber wir begreifen sie seelisch nicht. Man redet von "der Mathematik". Dabei gibt es nur völlig unterschiedliche "Mathematiken", also zum Beispiel eben eine apollinische, magische oder faustische, die Ausdruck der jeweils verschiedenen Kulturseelen sind. Das gilt für jede kulturelle Äußerung von der Architektur bis zur Naturwissenschaft.
Dabei gibt es aber das Phänomen der Gleichzeitigkeit. Hier geht es um kausal nicht verbundene, aber von der Form und Funktion auf eine geheimnisvolle Art analoge Erscheinungen und Personen, die sich in unterschiedlichen Kulturen zu historisch unterschiedlichen, aber qualitativ gleichen Zeiten finden. So ist für Spengler Konfuzius der Immanuel Kant Chinas. "Gleichzeitige" Persönlichkeiten sind im antiken Griechenland Alexander der Große und im Okzident Napoleon. Die Antike hat wie das Abendland auch ihre "Aufklärung" mit dem Sophismus und Sokrates. Das ist wiederum formgleich zum Denken des Buddha und der Sankhya-Philosophen in Indien. In der Mathematik sind in der Antike Euklid, Appolonius und Archimedes das, was Gauß, Cauchy und Riemann in der abendländischen Kultur sind.
Gleichzeitig im Sinne des Dekadenzdenkers, wenn eben auch nicht zeitgleich, kommt es auch in allen Kulturkreisen zum Winter der gesellschaftlichen Entwicklung: Der Theoretiker des Verfalls nennt diese Phase "Zivilisation". Sie ist der Endpunkt jeder Kultur, ihr Greisenalter. Im Abendland beginnt sie mit Napoleon. In ihr hat eine Kultur ihr Potential ausgeschöpft. Ihre lebensvolle Form erstarrt. "Kultur und Zivilisation - das ist der lebendige Leib eines Seelentums und seine Mumie." Die Zivilisation ist technisch, unschöpferisch, unfruchtbar, rationalistisch, praktisch. An die Stelle von Zeugung tritt Konstruktion. Ideen werden durch Zwecke ersetzt, Symbole durch Programme. Die Weltstadt ersetzt das Land, der Kunsthandwerker den Künstler, der Bürger und Arbeiter den Bauern, Adligen und Priester. Alle Tätigkeit ist nach außen gerichtet. Imperialismus wird zum Ersatz für ein Innenleben.
"Amor fati"
In der Zivilisation ersetzt die große Führerpersönlichkeit die lebendige Tradition. Die Autokraten des "Cäsarismus" fegen die demokratischen Formen hinweg. Sie sind kalte Herrschaftstechniker im Zeitalter der Technikherrschaft. Spengler bedauert diese Entwicklung nicht nur. Da die Zivilisation das Schicksal jeder Kultur ist, kann man sich in ihre starren, stahlharten Formen nur bejahend einfügen. "Amor fati" ist das einzige, was uns bleibt. Oft wird die Spenglersche Prognose der Cäsarenherrschaft als Vorhersage des Dritten Reiches interpretiert. Der Philosoph hat aber in Hitler gerade keinen Cäsaren gesehen, sondern mehr in Benito Mussolini.
Spenglers Gedankengebäude, so reaktionär es insgesamt gesehen ist, unterscheidet sich von ideologischen Gebilden des Rassismus wie dem Werk des NS-Chefidelogen Alfred Rosenberg "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" deutlich. Im "Untergang" distanziert sich Spengler vor allem vom "heute üblichen Rassebegriff der darwinistischen Zeit". Rasse lässt sich für ihn nicht wissenschaftlich erfassen, etwa durch den Vergleich von Schädelformen. Als genealogischer Begriff ist sie mehr oder weniger eine Erfindung von Gelehrten. Im Abendland wurde aus der "ursprünglich rein wissenschaftlichen Phantasie von einem indogermanischen Urvolk" die Vorstellung der "Arischen Rasse".
Viel mehr als ein biologisches ist "Rasse" ein seelisches, metaphysisches Phänomen. Kein Volk hat sich je für das Ideal reinen Bluts begeistert, der Zusammenhalt ist geistig und kulturell. Rasse ist auch nicht eine statische, sondern eine extrem dynamische Form. Wandert ein Volk von einem Land zum anderen, so kann es etwa, wenn es Wurzeln in einem neuen Boden schlägt, seine Rasse auch ändern. So gibt es eine Rasse der Amerikaner, die aus den europäischen Einwanderern entstanden ist.
So wie vielen NS-Intellektuellen sein Rassenbegriff zu geistig war, so war ihnen auch seine Vision eines Untergangs ohne Ausweg, den man nur stoisch-heroisch ertragen kann, zu pessimistisch. Alfred Rosenberg kritisiert in "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" deutlich dessen Geschichtsfatalismus. Trotzdem haben Spengler viele Nazis als Vordenker und geistigen Wegbereiter geschätzt. Es zeichnet ihn vor einigen anderen Denkern der "Konservativen Revolution" aber aus, dass er sich explizit und erfolgreich gegen entsprechende Vereinnahmungsversuche gewehrt hat.
Adorno über Spengler
Der Sozialphilosoph Theodor W. Adorno widmet sich in seinem Essay Spengler Nach Dem Untergang dem konservativen Schwarzseher. Während Spengler vergessen sei, hätten sich seine Prognosen in einem erstaunlichen Maße bewahrheitet. Auch habe er kaum einen Gegner gefunden, der sich ihm gewachsen gezeigt hätte. Das Vergessen wirke als Ausflucht.
Spengler zählt nach Adorno zu jenen Theoretikern der extremen Reaktion, deren Kritik des Liberalismus der progressiven sich in vielen Stücken überlegen zeigte. Der Mitbegründer der Kritischen Theorie attestiert dem Rechtsdenker, dass er treffende Worte für die Entfremdung und Entgeistigung findet, die dem Massenmenschen in der Massenstadt widerfährt. Parteien und Presse in der bürgerlichen Gesellschaft entlarvt der Geschichtspessimist nach Adorno richtig als Werkzeuge des Willens zur Macht. Der Mitbegründer der Kritischen Theorie sieht bei Spengler gewisse Tendenzen der Demokratie, aus sich heraus in Diktatur und Barbarei umzuschlagen, klar diagnostiziert.
Adorno kritisiert aber die begeisterte Resignation, mit der der Dekadenzdenker auf den diktatorischen Cäsarismus fast hinfiebert. Er bejubelt damit, was man bedauern muss. Der Kritische Theoretiker besteht gegenüber dem Konservativen Revolutionär mit seinem dunklen "Schicksal" auf die Möglichkeit einer emanzipatorischen Subjektivität und die Überwindbarkeit der schlechten Geschichte. Er zitiert Georg Trakl: "Wie scheint doch alles Werdende so krank". Der Verfall der Kultur schafft Humus für das Neue, die Utopie.
Ganz vergessen ist Spengler nicht. Zum Beispiel hat ein ehemals weltpolitisch so wirkmächtiger Mann wie der frühere US-Außenminister Henry Kissinger ihn zu seinen Einflüssen gezählt und Präsident Nixon die Lektüre des "Untergangs" ans Herz gelegt. Möglicherweise inspiriert hat sein Werk auch das Denken des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Phillips Huntington und dessen intensiv diskutierte Schrift The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. Darauf deuten zumindest gewisse Ähnlichkeiten hin.
Einen indirekten Einfluss hat Spengler (allerdings sicher nicht in seinem Sinne) auf den "harten" Rechtsextremismus durch seinen selbsternannten Schüler Francis Parker Yockey und dessen Elaborat "Imperium: The Philosophy of History and Politics". Vor allem in Italien, wo der Zusammenbruch ein Dauerzustand ist, erfährt Spengler heute auch eine breite akademische Rezeption. So lange im Westen Finanzkrisen und ihre Folgen für Kultur und Demokratie immer wieder sehr handfest und schmerzhaft beweisen, dass ewiger Fortschritt und dauerhafte Stabilität eine Illusion sind, so lange wird wohl auch das pessimistische Zyklendenken des Oswald Spengler seine zyklische Wiederkehr erleben.
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