Optipessimismus für das 21. Jahrhundert
Europa ist, wie wir alle wissen, ziemlich alt. Die Frage aber ist, ob sich Europa auch alt fühlt. Haben wir die Fähigkeit verloren, weitere Erfindungen zu machen? Werden die neuen Technologien und besonders die Technologien der Informationsgesellschaft zurückgewiesen oder können sie in unsere Kultur integriert werden?
Man kann, um diese Fragen zu beantworten, zwei gegensätzliche Einstellungen haben: die optimistische und die pessimistische. Journalisten sprechen gerne über die Euro-Skeptiker und die Euro-Optimisten. Ich schlage für das 21. Jahrhundert den "Optipessismus" vor.
Warum "Optipessismus"? Ich bin der Fragen der Journalisten müde, die wissen wollen, ob ich Optimist oder Pessimist bin. Die Logik des Ausschlusses ist überholt und gehört einem anderen Paradigma an. Wir brauchen, um Europa zu bauen und Technologien in unsere Kultur zu integrieren, eine neue komplementäre Logik, deren Grundlage die Assoziation ist. Das ist die Logik des "Und" und nicht die ausschließende Logik des "Oder". Deswegen will ich gegenüber dem neuen Jahrhundert ein Optimist und ein Pessimist sein. Kennzeichnen würde ich mich als besorgten Optimisten und als glücklichen Pessimisten. Das ist kein dialektischer Trick, sondern es ist eine Möglichkeit, das Problem ein für alle Mal zu vermeiden.
Angesichts der Zukunft sollten wir dreierlei sein. Wir müssen sehr gut informiert sein, wozu wir auch die Mittel besitzen. Wir müssen verantwortlich sein und nicht von allen, angefangen von den Politikern bis hin zu den Journalisten, hören wollen, was wir denken sollten. Wir müssen verantwortlich sein, um unsere Zukunft gestalten zu können. Und wir müssen konstruktiv sein. Schließlich will ich eine Welt für meine Kinder und Enkelkinder gestalten. Deswegen kann ich nicht sagen, daß es nichts zu tun gäbe. Ich bin weder Optimist noch Pessimist, ich will informiert, verantwortlich und konstruktiv sein.
Die Informationsgesellschaft ist ein Superorganismus
Lassen Sie mich für diese neue Logik ein Beispiel geben. Ich könnte viele unterschiedliche Trends aufgreifen. Ich könnte das Modell Amerika nehmen, durch das man sich für Arbeit, aber auch für Armut entschieden hat. Ich könnte das Modell Europa nehmen, das zur Arbeitslosigkeit führt, aber versucht, Ressourcen zu vergemeinschaften und Unterschiede zwischen den Menschen zu verringern. Aber ich habe mich für die neue Informationsgesellschaft oder für die vernetzte Gesellschaft entschieden. Warum ist es für Europa so wichtig zu verstehen, was "Informationsgesellschaft" bedeutet? Weil die Informationsgesellschaft kein neuer Markt und nicht nur eine neue Technik ist, deren Grundlage das Internet, der PC oder Multimedia ist. Es handelt sich vielmehr um einen sehr grundlegenden Trend, dessen Bestandteil wird sind, der schon sehr lange vorhanden ist und der sich jetzt beschleunigt.
Wir erleben eine fundamentale Veränderung, die unsere gesamte Lebens-, Handlungs- und Schaffensweise beeinflussen wird. Materie, Leben und Gesellschaft sind einen Entwicklungsweg gegangen, den jetzt viele Wissenschaftler erforschen: die Zunahme der Komplexität durch Information, Netzwerke und Integration. Wenn man die fünf Milliarden Jahre bis zum Beginn des Lebens zurückschaut, sieht man, daß Moleküle in eine Umwelt gebracht wurden, die wir eine Zelle nennen. Dadurch entstand das Eigentümliche des Lebens. Während der gesamten darwinistischen Evolution verbanden sich dann Zellen und entstanden Organismen, die in sich Kommunikationsnetze enthalten. Am Ende bildete sich in Menschen das Bewußtsein durch die Evolution des Gehirns heraus. Menschen verbanden sich durch Sprache, Drucktechnik, Netze und Kommunikationssysteme. Städte und Gesellschaften entstanden. Materie und Energie wurden auf einer höheren Stufe integriert. All das ist bekannt, aber meine Frage lautet: "An was bauen wir zusammen?"
Natürlich sind Städte komplexe Organisationen, die allerdings nicht sehr gut funktionieren. Wir können Nationen, internationale Organisationen, Wirtschaftsabkommen wie das GATT, weltweite Informations- und Geldströme sehen. Daraus entsteht ein neuer Meta- oder Superorganismus, ein hybrides System aus Menschen, Städten, Kommunikationsnetzen, mechanischen Mitteln, Computern und internationalen Organisationen. Wir schaffen einen solchen Superorganismus, ohne zu wissen, was wir tun. Wir schaffen ihn aus ideologischen Antrieben, wirtschaftlichem Druck oder religiöser Vision, aber wir stellen ihn nicht auf wissenschaftlichen und rationalen Grundlagen her. Jetzt aber stehen wir in der Pflicht zu verstehen, was wir machen. Deswegen glaube ich, daß der Übergang zur Informationsgesellschaft nichts anderes ist als die Schaffung eines Nervensystems für den Superorganismus. Die Vorstellung ist sehr beunruhigend, daß die Menschen ihre Individualität in etwas verlieren könnten, was ganz anders als wir ist. Wir wissen, daß wir unsere Identität in Städten verlieren können, wenn in ihnen Gewalt aufkommt. Wir wissen, daß wir auf den Märkten nur Nummern sein können. Aber was machen wir, um ein Bestandteil, um eine Zelle oder ein Neuron im hybriden System des Superorganismus zu werden, das aus Lebewesen, Computernetzen und mechanischen Mitteln besteht? Dieser Übergang ist noch problematischer als der von den landwirtschaftlichen zu den industriellen Systemen, als Maschinen erfunden wurden und viele Menschen vom Land in die Städte zogen. Wir ziehen jetzt in einen neuen Raum, den manche Cyberspace nennen. Wir stellen eine neue Beziehung zwischen Menschen, zwischen Organisationen, zwischen uns selbst her. Dieser Übergang stellt einen grundlegenden Trend für die Menschheit dar, die sich selbst in komplexeren Systemen, sogenannten Gesellschaften, organisiert.
Die dritte Revolution
Wir treten in eine dritte Revolution ein, was den Zugang zu Informationen betrifft. Die erste Revolution, der Zugang zu diesem Informationsuniversum, das entstand, als Worte durch das Schreiben fixiert wurden, ist vom Buch geprägt. Im 15. Jahrhundert konnte man durch Lesen und Schreiben an diesem Informationsuniversum teilhaben. Doch wenn man von vielen Menschen über das gedruckte Medium gelesen werden wollte, mußte zunächst das Manuskript angenommen werden. Auch jetzt noch brauchen wir Verlage, um etwas zu veröffentlichen. Man muß bis an die Spitze der Pyramide gehen, damit die Information verteilt wird.
Die zweite Revolution besteht im Zugang zu einem riesigen Informationsuniversum durch das Fernsehen. Das Fernsehgerät ist ein kleiner Kasten. Man bezahlt die Gebühren, um es zu benutzen, und empfängt eine riesige Menge an audiovisuellen Informationen. Aber man muß noch immer, wenn man gesehen oder gehört werden will, bis an die Spitze der Pyramide gehen. Einige Menschen in Firmen werden darüber entscheiden, ob das, was ich sage, gut ist und ob sie mich senden werden oder nicht.
Die dritte Revolution entsteht durch den Zugang zum Informationsuniversum mittels eines persönlichen multimedialen Kommunikationsmittels, als mittels eines Computers, der gegenwärtig noch mit dem Telefonnetz verbunden ist. Über den vernetzten Computer kommt das Informationsmeer bis zu jedem einzelnen. Man kann in ihm ertrinken, wenn man nicht gelernt hat, in ihm zu schwimmen. Aber man kann damit Informationen schaffen, nicht nur passiv audiovisuelle Informationen lesen oder empfangen. Zum ersten Mal kann man wirklich einen Zugang zu diesem Informationsuniversum haben, weil man Informationen zurück senden kann. Darin besteht der große Unterschied.
Ein weiteres wichtiges Phänomen in der Unterschied zwischen der substitutiven und der integrativen Technologie. Substitutive Technologien ersetzen einander in der linearen Zeit. Das Fax ersetzt das Telex, Laserdisks ersetzen solche aus Vinyl. Das ist für uns kein Problem, weil unsere des linearen Denkens eine kausale Veränderung sehr gut akzeptiert. Eine Ursache, eine Wirkung. das eine ersetzt das andere. Das summiert sich. All das bedeutet substitutiv. Viel komplizierter wird es mit integrierten Technologien wie dem Multimedia PC, der mit einem Netz verbunden ist. Eine solche Technologie integriert einen Computer, Multimedia, ein Modem, ein Telefonnetz, Server, Hosts, Browsers, Datenbanken und Suchmaschinen, wodurch eine neue Dimension geschaffen wird. Uns fällt es viel schwerer, diese Systeme zu verstehen, als sie zu benutzen, weil es jedes ältere System noch immer gibt. Man kann das mit einer Zwiebel vergleichen. Nennen wir den Kern einer Zwiebel "Sprechen", d.h. die Logosphäre. Wenn wir etwas schreiben, versenden oder veröffentlichen, handelt es sich um die Graphosphäre. Das Fernsehen macht die Mediensphäre aus. Schließlich gibt es die Cybersphäre, die die drei anderen Sphären einhüllt.
Wegen unseres linearen sequentiellen Denkens ist es für uns schwierig, globale Veränderungen zu verstehen. Die Menschen denken weiterhin in diesen Begriffen, wenn sie über neue Kommunikationstechnologien sprechen. Sie glauben noch immer, das Internet sei eine Technologie. Noch schlimmer: sie denken, es sei ein Netzwerk. Das Internet ist kein Netzwerk, es ist ein Protokoll, durch das Computer unterschiedlicher Art über Telefonnetze miteinander kommunizieren können. Dazu können koaxiale Kabel, Satelliten, Glasfibernetze oder was auch immer benutzt werden. Das Internet ist ein Kommunikationssystem, das gerade die Spitze eines Eisberges darstellt. Dahinter befindet sich ein riesiges und noch wachsendes System des interaktiven multimedialen und weltweiten Netzwerks zur persönlichen Kommunikation.
Aus der Perspektive der kausalen Veränderung betrachtet man eine Technik und fragt, wie diese sich auf die Welt auswirken wird. Doch die wirkliche Frage ist: Was ist eigentlich ein soziales System, das in seinem Inneren ein Kommunikationssystem besitzt, von kleinen Veränderungen beeinflußt und von anderen erweitert wird, die einen Einfluß auf das ganze System ausüben? Das gleicht eher einer Welle, die sich im ganzen System fortpflanzt und auf es zurückwirkt, was sich sehr von der traditionellen Sicht unterscheidet. Jetzt nähert sich der Trend der Informationsgesellschaft Europa als riesige Welle. Er begann in den sechziger Jahren und hat ein kleines Loch eröffnet, von dem aus sich ein großer Anschub entfaltet hat und durch das ein großer Möglichkeitsraum eröffnet wurde. Das jetzige System ist für die traditionellen Strukturen der Gesellschaft und besonders in Europa eine Herausforderung, weil die traditionelle Struktur vertikal ist und einer Pyramide mit der Macht an der Spitze und uns an ihrem Grund gleicht. Die Geburt der vernetzten Gesellschaft stellt eine ganz andere Beziehung mit der Macht her, weil sie ein transversales Netzwerk schafft, bei dem es an den Knoten Menschen geben kann, die verantwortlich und kreativ sind. Deswegen können wir einen so großen Widerstand gegen die Informationsgesellschaft in Europa und in vielen anderen Ländern bemerken, weil sie Menschen wie uns als miteinander verbundene Knoten des Netzwerks und als Neuronen der Erde mehr Macht verleiht.
Die Probleme Europas beim Eintritt in die Informationsgesellschaft
Es gibt fünf Gründe, warum Europa so große Schwierigkeiten hat, diese so große Veränderung zu verstehen und mit ihr umzugehen. Ich werde als Beispiel wieder die Informationsgesellschaft nehmen.
Der erste Grund, warum eine solche Veränderung nahezu unsichtbar bleibt, liegt in der Struktur der Gesellschaft, die besonders in Frankreich, Italien oder Spanien auf der langen Tradition basiert, daß der König sich an der Spitze der Macht befindet. Man kann dasselbe in großen Unternehmen, Kirchen, Familien, unterschiedlichen Gruppen und Organisationen finden. Der Führer steht einsam an der Spitze, und die Verstärkungsmaschine arbeitet sich von oben nach unten durch die Hierarchie. Diese Struktur hat die Top-down-Befehlskette geschaffen. Das ist und war an eine bestimmte Machtverstärkung durch Spezialisierung, Taylorisierung und Zentralisierung angepaßt, die die Grundlage der vertikalen Struktur in Unternehmen, Schulen und Regierungen bilden. Wir sind so daran gewöhnt, in solchen Strukturen zu leben, daß wir fast nichts anderes entwickeln können.
Je höher man an die Spitze kommt, desto mächtiger und weniger werden die Menschen. Da oben ist es sehr einsam. Die pyramidale Struktur hat eine Form des Management geschaffen, das funktioniert, weil es die Aufgaben der Menschen programmiert und kontrolliert, was sie machen und machen sollten. Aber Komplexität läßt sich nicht mit einer Top-down-Organisation managen, sie muß gesteuert werden. In einem Flugzeug kann man alle Befehle geben. Es gibt eine Instrumentenanzeige, auf der man Geschwindigkeit, Höhe und anderes sehen kann. Ein modernes Unternehmen steuert man durch ein einfaches Verfahren: "Als Manager wünsche ich, daß Sie und Ihr Team in diese Richtung gehen. Hier sind die Mittel, und jetzt steuern Sie die Organisation zu diesem Ziel. Mir ist es egal, wie Sie vorgehen, aber ich wünsche, daß Sie das Ziel rechtzeitig und mit den Mitteln erreichen, die ich Ihnen gegeben habe." Das ist eine andere Form des Managements.
Aber es gibt noch eine dritte und faszinierende Form. Sie basiert auf Katalyse, die die Struktur für eine schnell erfolgende Reaktion bereitstellt, welche nicht eintreten würde, wenn der Katalysator nicht vorhanden wäre. Alles, was man tun muß, um in der Gesellschaft oder in einem Unternehmen Komplexität zu managen, besteht einfach darin, die Emergenz einer kollektiven Intelligenz auszulösen. Wenn wir uns in Europa als Individuen vereinigen, müssen wir eine solche katalytische Struktur schaffen, um die Intelligenz zur Lösung unseres Problems zu erhalten, anstatten belehrt, kontrolliert und gesteuert zu werden. Unsere Strukturen machen es sehr schwer, nicht gemäß dem Ansatz "von oben nach unten", sondern nach dem "von unten nach oben" vorzugehen.
Ein zweiter Grund liegt in einer falschen Beziehung zur Zeit. Für uns ist sie linear und sequentiell. Weil Europa alt ist, sind für uns Geschichte, Ökonomie und Gesellschaftswissenschaften wichtig. Wir richten uns nach linearen Extrapolationen von der Vergangenheit in die Zukunft. Die sogenannte darwinistische Evolution ist jedem vertraut. Es waren Millionen von Jahren erforderlich, um viele verschiedene Arten entstehen zu lassen, weil die Evolution jeder Erfindung in Echtzeit und in der wirklichen Natur testen muß. Dann begann eine andere Evolutionsform, die in Jahrhunderten vor sich geht. Warum geschieht die technische Evolution so schnell? Im Bewußtsein der Menschen gibt es noch eine weitere Welt, die imaginäre Welt. Hier kann man einen Platz, einen Stift, eine Lokomotive, ein Telefon erfinden, die Erfindung niederschreiben und sie dann verwirklichen. Die Kompression und Beschleunigung der Zeit, die wir wahrnehmen, ist der darwinistischen Evolution - Selektion, Mutation, Markt und Verstärkung - ähnlich, aber sie ereignet sich nicht mehr in Millionen von Jahren, sondern in Jahrhunderten.
Auf der Grundlage dieser Evolution kann sich eine dritte Evolution, die digitale Evolution, realisieren, deren Bausteine Elektronen und Bits sind. Diese dritte Welt, die auf die Natur und die imaginäre Welt folgt, nennt man virtuelle Welt. Durch sie kann man sich nicht nur eine Maschine ausdenken, sondern sie auch virtuell bauen. Man kann ein Haus begehen, das es niemals gegeben hat. Wieder gibt es eine enorme Beschleunigung beim Übergang von der technischen und zur digitalen Evolution. Wird sie sich verlangsamen? Nein, das kann man vergessen. Es handelt sich um eine andere Beziehung zur Zeit. Information und Zeit sind verbunden. Während die Information und das Netzwerk wachsen, wird sie immer dichter. Wir werden in dieser Dichte der Zeit leben. In meinen Buch Homo symbioticus beschreibe ich die Symbiose, die zum Nutzen der menschlichen Person mit solchen Organismen möglich sind, ohne zu einem Roboter zu werden und zu versuchen, die zu schnellen Informationsströme zu verarbeiten. Ich habe den Wunsch, mich diesem riesigen Netzwerk anzuschließen, das Informationen viel schneller als ich verarbeiten kann, um mein menschliches Leben zu leben. Beschleunigung ist ein grundlegender Prozeß, der sich fortsetzen wird.
Beispielsweise wächst das Internet in großer Geschwindigkeit. Gegenwärtig haben 30 Millionen Menschen Zugang zum Internet. In drei Jahren werden es 400 Millionen sein. Gegenwärtig gibt es 16 Millionen Hosts. In drei Jahren werden es wahrscheinlich 110 Millionen sein. Gegenwärtig gibt es 150 Millionen Homepages. In drei Jahren wird es eine Milliarde geben. Das ist eine Explosion.
Und was ist mit Europa? Ich spreche nicht von Menschen, die noch keine 30 oder 35 Jahre alt sind, sondern von Politikern, führenden Menschen in Unternehmen oder Professoren. Es ist nicht wirklich eine Frage des Alters, sondern des Weltbildes. Was sagt das Europa des alten Weltbildes angesichts einer solchen Beschleunigung? Es sagt, daß es sich um eine Mode handelt, daß sie aufleben und dann wieder verschwinden wird. Am Ende der siebziger Jahre kam der PC mit dem Apple auf. Manche meinten dazu: "Das ist eine Mode. Wer braucht schon einen PC? Wir benötigen nur Mainframecamputer." der nächste Schritt war der persönliche tragbare Computer, der Laptop. Die gleichen Menschen meinten: "Das ist nicht für uns, sondern nur für Menschen, die reisen. Aber das ist nur ein kleiner Markt. Vergessen wir es." In den 80er Jahren erfolgte mit dem multimedialen tragbaren Computer der dritte Schritt und dieselben Menschen meinten: "Multimedia? Wozu? Für Farben? Das ist nicht ernst zu nehmen. Wir brauchen Schwarz und Weiß. Das ist doch nur für Jugendliche und Spiele. Ein kleiner Markt. Vergessen wir es." Sie haben gehofft, daß es sich lediglich um eine Mode handelte, weil sie damit noch nicht verbunden waren. Und schließlich kam kürzlich der persönliche multimediale tragbare Computer, der mit dem Netz verbunden ist. Wieder meinten sie, daß das nur eine Mode sei und vorübergehen würde. Das ist die typische Haltung der alten Weltsicht.
Die Denkweise ist das dritte Hindernis für Europa. Ich bezeichne sie als die kausale, traditionelle, sequentielle, lineare, cartesianische Logik und setze sie in Gegensatz zu einer systemischen Logik, die die Dynamik der Veränderung, den globalen Wandel, die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Faktoren berücksichtigt. Unsere Schulen und Universitäten haben uns und unsere Politiker trainiert, Komplexität durch die Rückführung auf ihre einfachen Teile zu verstehen. In Frankreich haben wir zwei wunderbare Schulen: Polytechnique und die Ecole Nationale d'Administration (ENA). Aus ihnen stammt die "créme de la crème", also diejenigen, die ganz oben sind. Die meisten unserer Politiker haben hier studiert. Die meisten großen Manager kommen von der Polytechnique. Sie wurden dazu ausgebildet, alle Dinge mit mathematischen Begriffen und die Menschen mit juristischen Begriffen zu analysieren. Aber heute reichen die Mathematik und die Rechtswissenschaft nicht mehr aus, um Komplexität zu verstehen und mit ihr umzugehen. Dazu ist eine andere Kultur nötig, die aus dem Systemansatz, aus der Umweltforschung, aus der Biologie, aus der Wirtschaftswissenschaft kommt. Aus diesem Grund glaube ich, daß mein Land von einem alten Weltbild beherrscht wird und daß es Schwierigkeiten gibt, Komplexität zu verstehen und mit ihr umzugehen.
Ein viertes Hindernis ist die Vorgehensweise. Die meisten unserer Politiker reagieren auf einen Grund, um eine meßbare quantitative Wirkung zu erzielen. Aber von der Kybernetik und besonders von der Biologie wissen wir alle, daß man, wenn man alles auf eine einzige Wirkung ausrichtet, unmittelbar eine Kaskade anderer Wirkungen erzeugt, die der Wirkung zuwiderlaufen, die man herbeizuführen versucht. Eine Veränderung wird unmittelbar durch eine andere ausbalanciert. Wenn man kausal vorgeht, handelt man völlig falsch. Man muß kombinatorisch vorgehen, um wirksdam zu sein. Man muß die Handlungen kombinieren und einige Zeit warten, um deren Ergebnis zu sehen. Das ist eine Art der Akupunktur. Man führt eine Nadel hier und eine andere dort ein. Man wartet und beobachtet die Veränderung. Dann reagiert man darauf. Das mögen die Politiker nicht, weil sie nur für eine kurze Zeitspanne gewählt wurden und sie Journalisten brauchen, um herauszustellen, daß sie etwas Wichtiges getan haben. Es ist keine Demonstration der Macht, wenn man beispielsweise sagt, daß man täglich einen Löffel Kleie zu sich nehmen sollte, um Dickdarmkrebs zu verhindern. Viel wichtiger ist, daß es eine sehr große und teure Maschine in einem Krankenhaus gibt, mit der man nur sehr wenige Patienten für viel Geld behandeln kann. Das ist spektakulär. Aber bescheiden die Knoten des Netzwerks zu beeinflussen, um eine Veränderung zu verstärken, ist keine Machtdemonstration. Daher ist die Vorgehensweise in einer vernetzten Gesellschaft vollständig von der der meisten Politiker unterschieden, die auf der Geschichte, auf sequentieller Evaluation und linearem Denken beruht.
Schließlich gibt es ein Hindernis durch unsere seltsame Beziehung zur Innovation. Natürlich sind wir innovativ, aber wir fürchten Innovationen, weil sie die Welt verändern, in der wir leben. Wir haben die Neigung, Innovationen zurückzuweisen und sehr vorsichtig mit ihnen umzugehen. In anderen Ländern, besonders in Amerika und hier besonders in Kalifornien, gilt Innovation als Katalysator zur Veränderung. Nicht alles ist dort schön und angenehm. Ich will Kalifornien nicht glorifizieren, sondern unsere Kultur in Europa der Innovation anpassen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Verhältnis eines Managers in Europa und das eines Managers in den USA zur Telekommunikation und zum Computer. Für uns in Europa stellen Computer und Telekommunikation eine Ausgabe dar. In den USA und in anderen Ländern werden sie als eine Investition verstanden. Das ist eine ganz andere Perspektive.
Innovationen lösen für eine gewisse Zeit ein Durcheinander und Veränderungen aus, aber wenn man sie katalytisch einsetzen und gebrauchen kann, werden sie die ganze Gesellschaft verändern. Unternehmen, die eine maßgebliche Rolle bei der Schaffung neuer Firmen, neuer Arbeitsplätze und neuer Aktivitäten sind, haben in Europa nicht dieselben Möglichkeiten wie im Silicon Valley oder in der Region um Boston. Die hier existierende katalytische Struktur, die Beziehung zwischen Risikokapital, Medien, Universitätsprofessoren, Studenten, Experimenten und kleinen Labors, diese kritische Masse an Wissen und Intelligenz, kann man in Europa nur schwer zusammenbringen. Wenn das gelingt, führt das zu einem großem Erfolg, aber traditionellerweise ist das nur schwer zustande zu bringen.
Die europäische Vielfalt als Chance
Das sind die fünf pessimistischen Gründe für die Schwierigkeiten, die Europa beim Gang in die neue Informationsgesellschaft hat. Was können wir machen? Was das anbelangt, bin ich nicht pessismistisch, weil ich an meiner Arbeitsstelle dauernd mit jungen Menschen in Kontakt bin. Wir hören dauernd der jungen Generation zu. In Europa gibt es ein großes Potential, eine außergewöhnliche Vielfalt, die einer unserer großen Vorteile darstellt. In aller Vielfalt gibt es kulturelle Gemeinschaften. In Europa haben wir gemeinsame Interessen. Natürlich haben wir wegen der unterschiedlichen Sprachen, Strukturen oder Vorgehensweisen Schwierigkeiten, uns zu verständigen, aber die Informationsgesellschaft erhält diese Vielfalt und bringt ein Potential des Austausches mit sich, das während der letzten Jahrhunderte niemals so groß gewesen ist.
Das Internet ist keine Homogenisierungsmaschine, es schafft Vielfalt. Viele sind der Ansicht, daß es eine große Maschine zur Vernichtung Europas ist, weil es aus Amerika kommt und in ihm Englisch dominiert. Aber das Internet besitzt das Potential der Diversifizierung. In der Vergangenheit mußten die Menschen in ihrem Land mit ihrer Kultur und Sprache bleiben. Jetzt können sie Englisch als das neue Esperanto lernen. Doch in der Zukunft wird es Übersetzungsmaschinen geben, die von uns lernen können und besser als jetzt funktionieren. Ich glaube, die Vielfalt ist einer der größten Vorteile Europas.