Orbán in Medien: Ungern gesehen - ein Ungar auf Reisen
Besuche des EU-Ratsvorsitzenden in Russland und China werden harsch kritisiert. Nicht nur in Kommentaren, sondern auch in Nachrichten. Wo bleibt die Trennung? Kommentar.
Sollte es Reisebeschränkungen geben für Ungarns rechtspopulistischen Premier?
Einen Tag, nachdem Viktor Orbán den EU-Ratsvorsitz rotationsgemäß übernommen hatte, war er am 2. Juli zu Besuch in der Ukraine. Die ARD-Tagesschau - das hierzulande meistgenutzte und bestbeleumdete Medium – schrieb in einem Bericht, Orbán sei in Kiew "ein schwieriger Gast".
Nun muss man kein Fan des nationalistisch-konservativen Viktor Orbán sein, um bei solcher Nachrichtensprache zu fragen: Könnte man nicht ebenso gut (oder eben schlecht) den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj markieren als "ein schwieriger Gastgeber"?
Das wäre zu wertend? Dann möge man es in einem Text, der informationsbetont sein soll, doch bitte einfach ganz lassen mit solchen (Ab-)Wertungen. Sofern es um Journalismus geht. Oder ginge.
Viktor Orbán ist als langjähriger Regierungschef Ungarns Ministerpräsident jenes Landes, das seit 1. Juli turnusgemäß den EU-Ratsvorsitz innehat, bis Ende dieses Jahres. Damit sitzt Orbán für ein halbes Jahr dem Europäischen Rat vor.
Wertende Formulierungen
Der Europäische Rat (als jener der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten) gilt das politische Leitorgan der Europäischen Union. Er soll der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse geben und die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür festlegen. Damit ist Orbán derzeit objektiv einer der wichtigsten EU-Politiker.
Dennoch – oder gerade deshalb – waren in Nachrichten deutscher Leitmedien immer wieder abwertende Formulierungen mit Blick auf diese derzeitige EU-Rolle Orbáns zu lesen. Ein Beispiel wiederum aus der ARD-Tagesschau, hier vom 5. Juli, bezüglich der Reise Orbáns nach Moskau:
Dort steht also: "Die EU hatte die Reise bereits vorab scharf kritisiert". Da darf das beitragszahlende Publikum schon fragen: Wie jetzt? Wer oder was sollte das denn bitteschön sein, "die EU"? Dieselbe EU, deren Ratsvorsitz derzeit eben jener Viktor Orbán innehat? Klar, es gibt ja nur diese eine EU.
Jene Formulierung "die EU kritisiert" vernebelt, welche Person sich so geäußert hätte. War es etwa der EU-Ratspräsident? Ein EU-Kommissar? Oder ein(e) EU-Sprecher(in)? Solche Sprache, wiederum in einem Bericht, hat wenig zu tun mit der nachrichtlich geforderten Exaktheit und Sachlichkeit.
Das Ganze darf zumindest als parteiische Über-Vereinfachung kritisiert werden. Und scheint kein Ausrutscher.
"Inszenierungen": Unterschiede zwischen Orbán und Biden
Am 6. Juli stand in einem weiteren ARD-Tagesschau-Bericht unter der Dachzeile "Besuch bei Putin in Moskau" bereits in der Überschrift "Orbán inszeniert sich als Vermittler".
Die Redaktion "inszeniert" damit Orbán schon in der Schlagzeile als zumindest fragwürdige Figur, wenn nicht gar als einen "Bösen". Warum nicht relativ sachlich schreiben, z.B. "Orbán gibt sich als Vermittler"? Warum auch hier dieser ab-wertende Unterton – oder treffender: Oberlehrer-Ton?
Man mache eine medienwissenschaftlich übliche Gegenprobe: Ist es auch nur im Entferntesten denkbar, dass diese Redaktion von ARD-aktuell in Hamburg mit Blick auf den Gaza-Krieg texten würde: "Biden inszeniert sich als Vermittler"? Selbstverständlich nicht.
Selbst wenn zwei buchstäblich dasselbe täten, würde es noch immer sehr unterschiedlich in einen interesse-geleiteten Interpretationsrahmen gesetzt, also auf bestimmte Weise perspektivenabhängig "geframt".
Die EU ist kein Monolith
Aller schlechten Dinge als Beispiele seien hier vier: Am 8. Juli lautete eine Überschrift der Tagesschau, die Reise Orbáns nach China sei die "dritte nicht mit EU abgestimmte Reise".
Hello again @tagesschau: Inwiefern hätte Orbán seine Reise nicht mit der EU abgestimmt? Als immerhin Ratsvorsitzender genau dieser Europäischen Union! Falls die Redaktion meint, nicht abgestimmt mit Ursula von der Leyen oder Annalena Baerbock oder Olaf Scholz – okay, dann schreibe man genau das doch bitte!
Und mache nicht (noch mehr als sonst schon) einen Popanz, einen Fetisch namens "die EU" aus jener Organisation. Als ob diese ein Monolith wäre, der immer nur nach der deutschen oder deutsch-französischen Pfeife zu tanzen hätte.
Auf der Plattform X fragte Nutzerin "Carola" in diesem Zusammenhang ironisch, ob man nicht besser die Reisefreiheit von Orban einschränken sollte. Dazu ließe sich vielleicht am ehesten sagen, und zwar ausdrücklich meinungsbetont: Niemand hat die Absicht, eine Reiseeinschränkung zu errichten. Es sei denn als antifaschistischen Schutzwall.