Organspende und der Sinn des Lebens
Seite 2: "Ich stelle mir häufiger die Frage, ob Dinge die Mühe wert sind"
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Über die Entscheidung dafür brauchten Sie sicher nicht lange nachzudenken.
Godfried Beumers: Mir ging es damals unendlich schlecht. Selbst mit einem Spenderorgan betrug die Überlebenschance nur 25%. Es ging also um die Entscheidung, keine Transplantation zu versuchen und mit Sicherheit zu sterben oder es zu probieren und wahrscheinlich zu sterben.
Ich dachte damals: Du hast keine Wahl. Doch ein befreundetes Paar, beide Hausärzte, korrigierten mich: Natürlich hätte ich eine Wahl. Die Frage sei, ob ich mit meinem Leben schon fertig sei oder es noch etwas für mich zu tun gäbe.
Und Sie waren noch nicht fertig?
Godfried Beumers: Da war natürlich das große Projekt, eines von mehreren, an denen ich damals arbeitete. Ohne mich würde es scheitern und die Stadt die Förderung einstellen. Davon waren 50-60 Menschen direkt betroffen. So ist es dann leider auch gekommen.
Ich hatte aber das große persönliche Bedürfnis, nicht so aus dem Leben zu scheiden. Die Monate vor der Operation war ich nicht mehr ich selbst gewesen. Wahrscheinlich spielte eine Ammoniakvergiftung im Gehirn hierbei eine Rolle. Jedenfalls hatte ich zu meinem Partner und zu guten Freunden Dinge gesagt, die ich so nicht stehenlassen wollte; ich wollte nicht mit so einem verkehrten Bild von mir gehen.
Und die Gelegenheit, das zu korrigieren, haben Sie ja zum Glück bekommen. Leben Sie heute anders als vor der Transplantation?
Godfried Beumers: Ja. Ich stelle mir häufiger die Frage, ob Dinge die Mühe wert sind. Will ich etwas wirklich? Wenn nicht, dann tue ich es auch nicht mehr. Ich lebe bewusster, bin aber auch körperlich und emotional weniger belastbar. Dass mein Partner nach der Erkrankung zu mir sagte: "Du brauchst kein Geld mehr zu verdienen", war natürlich eine große Erleichterung.
Aber wenn Sie Ihr Leben vor und nach der Transplantation vergleichen - hätten Sie mit der Erfahrung von heute etwas anders gemacht?
Godfried Beumers: Wie gesagt, ich hätte es schlimm gefunden, ein paar große und für mich wirklich sehr wichtige Dinge mit solch losen Enden hinter mir zu lassen. Meine Empfehlung ist, es nicht auf so einen dramatischen Moment der Erkrankung oder vielleicht eines schweren Unfalls ankommen zu lassen, um sich zu fragen, wie steht es mit meinen Beziehungen, was will und was kann ich in meinem Leben noch erreichen?
Spielen die unterschiedlichen Lebensphasen hierfür vielleicht auch eine Rolle?
Godfried Beumers: Ich teile das Leben in zwei Phasen, die Jugend und das Älterwerden. In der Jugend scheinen die Möglichkeiten unbegrenzt, "the sky is the limit". Wenn wir älter werden, ändert sich das: Wir müssen zunehmend mit Rückschlägen zurechtkommen, leiden vielleicht an körperlichen Gebrechen. Es ist nicht mehr so selbstverständlich, nach einer Kündigung eine neue Arbeit zu finden, wenn man erst einmal über vierzig oder fünfzig ist. Und wie ist das nach einer Trennung? Findet man dann noch einmal eine neue Partnerschaft?
Das heißt, man muss Grenzen akzeptieren und damit umgehen lernen, dass man vielleicht nicht mehr alle Träume aus der Jugendzeit in seinem Leben verwirklichen wird. Es ist wichtig, sich in regelmäßigen Abständen zu fragen: Wo stehe ich? Wie geht es mir und wie ist es um meine Freundschaften und andere Beziehungen bestellt?
Viele stellen sich solche Fragen erst, wenn sie alt oder sehr krank sind. Oder vielleicht erst nach einer existenziellen Krise. Dann sind die Möglichkeiten, noch einmal etwas zu ändern, aber sehr begrenzt. Lassen Sie es nicht auf so einen Moment ankommen und schauen Sie sich gelegentlich auch Ihre Schattenseiten an. Das ist vielleicht unangenehm und die Hektik des Tages lenkt uns schnell ab. Es lohnt sich aber, nicht zu lange damit zu warten.
Vielen Dank für die Anregungen zum Nachdenken. Kommen wir am Ende noch auf Ihre Dozententätigkeit zu sprechen. Sie sagten, dass Sie Seminare über Organspenden halten. Wie gehen Sie dabei vor?
Godfried Beumers: Ich stelle zwei Fragen: Erstens, stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Tages auf und es heißt, Sie seien so schwer erkrankt, dass Sie nur mit einer Organtransplantation überleben können. Würden Sie dann ein Spenderorgan wollen? 90% sagen dann "ja". Bei Menschen über 60 sind es übrigens nur 60-80%. Eine kleine Gruppe sagt dann, schon ein erfülltes Leben gehabt zu haben.
Darauf folgt die zweite Frage: Würden Sie selbst ein Organ spenden? Rund 15% sagen dann "ja", ein großer Teil weiß es nicht und 10% lehnen es ab. Die sagen zum Beispiel: "Bleibt mir vom Leib, sonst liege ich beschädigt im Sarg."
Ich würde mich vor allem freuen, wenn die Menschen sich registrieren lassen, ob sie nun "ja" oder "nein" sagen. Denn andernfalls werden die Hinterbliebenen gefragt. Die sind dann aber meistens schon mit der Botschaft überfordert, dass gerade ein geliebter Mensch stirbt. Rund 80% lehnen dann ab; drei Jahre später gibt aber die Hälfte von ihnen an, dass sie lieber eine andere Entscheidung getroffen hätte.
Es scheint, dass Entscheidungen zur Organspende nicht immer rational getroffen werden.
Godfried Beumers: Ja. Wenn jemand auf die erste Frage mit "ja" antwortet, warum reagiert er oder sie dann auf die zweite mit "nein"?
Es lohnt sich, selbst darüber nachzudenken und die Entscheidung nicht einfach so den Hinterbliebenen zu überlassen.
Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.