Ostsee: Perspektiven der Kontamination

Stettin, 22. Mai 1940. Im Hintergrund zu sehen das Lazarettschiff Stuttgart. Bild: Andreas Jonke (Fotograf vermutlich "Herr Zimmermann"). CC BY-SA 4.0

Das Meer könne durch den Kriegsmüll aus dem Zweiten Weltkrieg bald schwer verseucht sein

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Die Ostsee könne bald durch den Kriegsmüll aus dem Zweiten Weltkrieg auf über 100 Jahre hinaus schwer verseucht sein. Zu diesem Ergebnis kam die Oberste Kontrollkammer (NIK) in Polen Mitte Dezember.

Sollte nur ein Sechstel der chemischen Stoffe aus den Behältern der mitsamt Waffen versenkten Schiffe austreten, so würde dies jegliches Meeresleben in großen Teilen der Ostsee auf über 100 Jahre hinaus unmöglich machen. Als besonders problematisch für das polnische Hoheitsgebiet der Ostsee gelten der Tanker Franken sowie das Lazarettschiff Stuttgart.

Die 180 Meter lange Franken wurde am 8. April 1945 von sowjetischen Bombern dort versenkt. Vermutlich wurde ein großer Teil des Treibstoffs bei dem Angriff verbrannt. Das Schiff hat eine Ladekapazität von 10.000 Tonnen Treibstoff. Amerikanische Bomber trafen die Stuttgart 1943. Beide Schiffe liegen in der Danziger Bucht.

"Die Stuttgart ist ein Fall, der unsere Theorie bestätigt. Lange hatten wir darum gebeten, hier zu handeln. Innerhalb von 15 Jahren sind 300 Tonnen Treibstoff entwichen und man kann von einer lokalen ökologischen Katastrophe reden", so die Einschätzung von Olga Sarna von der Stiftung "Mare" auf Anfrage.

Die Organisation, die sich speziell um die ökologischen Belange der Ostsee kümmert, ist seit längerem um Öffentlichkeitsarbeit bemüht und befindet sich in der Auseinandersetzung mit polnischen Behörden, von denen ein Teil alles als nicht so schlimm ansieht.

So auch beim Tanker Franken, über dessen verbliebenen Treibstoff gerätselt wird. Es gibt Kalkulationen, wonach noch über 4.000 Tonnen Treibstoff unterschiedlicher Art in dem Schiffswrack in 70 Metern Tiefe verblieben sind.

Meeresamt in Gdingen will von einer Katastrophe nichts wissen

Das Meeresamt in Gdingen (Gdynia), das seit Jahren ein Monitoring des Wracks betreibt, will von Katastrophenalarm jedoch nichts wissen und geht von 700 bis 1.500 Tonnen Treibstoff aus, die nach seiner Auffassung keine akute Gefährdung darstellen sollen. Allerdings sperrte das Amt das Wrack für den Tauchgang.

"Das Meeresamt will Beweise. Die Kosten für solche Proben sind aber fast so teuer wie das Abpumpen", so Olga Sarna. Die Kosten fürs Abpumpen werden von einem Experten des Danziger Meeresinstituts auf 20 Millionen Euro geschätzt.

Nach einem Tauchgang der Umweltorganisation und des Danziger Meeresinstituts 2018 wurde festgestellt, dass durch die Korrosion mit dem Salzwasser die Tanks bald lecken könnten. Das ideale Szenario wäre laut Olga Sarna ein allgemeiner Plan für den Umgang mit dem Wrack auf polnischem Territorium. Ein Präventionsplan und damit verbunden eine Einschätzung des Risikofaktors der Wracks.

Olga Sarna von der Stiftung Mare. Foto: Jens Mattern

In Polen sind jedoch die Entscheidungswege lang. Erst im vergangenen Jahr hat sich das Ministerium für Meereswirtschaft zur Einberufung einer Expertenrunde für die Bergung durchgerungen. Allerdings ist unklar, wer die bis zu 20 Millionen Euro teure und langwierige Arbeit finanzieren sollte. Und nach polnischem Recht gibt es keine Verpflichtung dazu, Wracks abzusaugen. Es wurde zu dieser Frage vonseiten des Meereswirtschaftsministeriums im Jahre 2018 eine spezielle Kommission gegründet.

Als Vorbild für "Mare" gelten die Länder Finnland und Schweden, die über jahrelange Erfahrung mit dem Entsorgen, sprich Absaugen von Treibstoffen und anderen Chemikalien in der Ostsee, verfügen.

Dies kann lange dauern - das amerikanische Kriegsschiff SS Victory, das 1947 vor der finnischen Küste auf einem Felsen auflief, wurde von 1994 bis 2000 gesäubert, was 1.400 Tauchgänge erforderte, um 410 Kubikmeter Treibstoff abzusaugen.

Beträchtliche Risiken

Nach Ville Peltokorpi, einem Rechtsexperten aus Finnland, der von Mare interviewt wurde, müsste die internationale Stiftung zur Reinigung von Ölverschmutzung, der IOPC-Funds, aufgestockt werden. Zukünftig sollten die Ostseestaaten mehr zusammenarbeiten.

Nach Jurma Rytkönen vom finnischen Umweltinstitut SYKE gebe es 11.000 Wracks in der Ostsee, davon bedeuten 100 von ihnen ein beträchtliches Risiko wegen ihres hohen Anteils an Treibstoff. Das finnische Umweltmininisterium will demnächst erneut das Abpumpen von zwei Schiffswracks in Angriff nehmen und allgemein die Standards für die Reinheit der Ostsee heben, beispielsweise durch schärfere Bestimmungen für Abwässer.

Auch das "Centrum Balticum" im finnischen Turku gilt als eines der treibenden Kräfte, die Probleme mit den Schiffswracks zu internationalisieren und auch Russland einzubeziehen. Ende November fand dort eine Konferenz statt zum rechtlichen Rahmen im Fall von Schiffwracks in internationalen Gewässern.

Finnlands EU-Vorsitz endet im Januar, allerdings wird der Vorsitz für die EU-Strategie im Ostseeraum bis Juli 2020 fortgeführt, und Finnland kann hier noch weiterhin die Zusammenarbeit der Anrainer einfordern. Dies gelingt dem militärisch neutralen Finnland sicherlich leichter als NATO-Mitgliedern.

Neben den Schiffswracks bedrohen auch Munition und chemische Kampfstoffe die Ostsee. Nach Angaben des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung lagern auf dem Grund der Ostsee 300.000 Tonnen konventioneller Munition und chemischer Kampfstoffe. Zur ersten Kategorie gehört TNT und Phosphor. Aus TNT bilden sich Arsen-Verbindungen, die zu Tumoren bei Fischen führten, zudem könnten viele Bomben noch explodieren.

Zu den chemischen Kampfstoffen gehören Senfgas, Sarin, Tabun, Phosgen oder arsenhaltige Kampfstoffe, z. B. Clark I und II oder Adamsit.

Die Bundesregierung Deutschland scheut bislang die Bergung, da es dabei zum unkontrollierten Austritt der Stoffe kommen kann. Allerdings sollen die Metallmantel der Bomben und Torpedos in zwanzig Jahren brüchig werden.