Otto Schily hat Druck ausgeübt
Der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Johannes Ludwig über den Fall Cicero, die Politik des Bundesinnenministeriums und die Gefahren für die Pressefreiheit
Wie ist es um das Verhältnis zwischen Staat und Presse in Deutschland bestellt? Die andauernden Ermittlungen gegen das Politmagazin Cicero lassen zumindest Böses ahnen. Unwillkürlich wurden nach der Razzia gegen die Redaktion und einen der Autoren Parallelen zur Spiegel-Affäre 1962 gezogen. Die Besetzung der Redaktion des Nachrichtenmagazins löste damals jedoch noch einen Skandal aus, in dessen Folge Verteidigungsminister Franz Josef Strauß zurücktreten musste. Das Vorgehen gegen das Politmagazin Cicero erreichte zwar nicht die damaligen Ausmaße, im Kern aber geht es um die gleiche Sache.
Der Spiegel-Redaktion und ihrem Autor Conrad Ahlers wurde 1962 vorgeworfen, mit der Titelstory „Bedingt abwehrbereit“ Landesverrat begangen zu haben, weil der Artikel Interna über das NATO-Manöver „Fallex“ enthielt. Eben dieser Argumentation folgte die Staatsanwaltschaft unlängst im Fall Cicero – mit einer kleinen Variation. Mit dem Artikel Der gefährlichste Mann der Welt habe der Autor Bruno Schirra „Beihilfe zum Geheimnisverrat begangen“. Obgleich die Beschuldigten und andere Pressevertreter auf den Informantenschutz verwiesen, legte Innenminister Otto Schily wenig später nach (Schilys (vorerst) letzter Kreuzzug): Er kenne „kein Pardon“ mehr, wenn sich Journalisten weiterhin „außerhalb der Gesetze“ stellten.
Telepolis sprach mit Prof. Dr. Johannes Ludwig von der Fakultät Design – Medien – Information (DMI) an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg über den Fall. Er ist Betreiber der Internetseite Whistleblowerinfo über die Grundlagen des investigativen Journalismus.
Herr Ludwig, weshalb ist der Informantenschutz für eine freie Presse wichtig?
Johannes Ludwig: Wenn Medien Informationen veröffentlichen, die bisher nicht bekannte Missstände oder Gefahren bekannt machen, dann müssen sie sich in den meisten Fällen auf Informanten stützen. Von ihnen werden die internen Informationen an die Journalisten weitergereicht. Für diese Informanten wird oft auch der englische Ausdruck des Whistleblower benutzt.
Informantenschutz und Zeugnisverweigerungsrecht gehen Hand in Hand
Bundesinnenminister Otto Schily bezeichnet dieses Vorgehen als illegal.
Johannes Ludwig: Heikel ist es vor allem für die Informanten selber. Jeder, der in einem Betrieb oder in einer staatlichen Institution arbeitet, setzt sich, wenn er interne Informationen preisgibt, zunächst ins Unrecht. Der Informant verletzt die Treuepflicht, er verrät Dienstgeheimnisse, kurzum: Er verstößt gegen seinen Arbeitsvertrag. Trotzdem wollen wir natürlich alle von Missständen oder Gefahrenlagen erfahren, wenn sie geheim gehalten werden.
Wie wird dieser Widerspruch also gelöst?
Johannes Ludwig: Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Informationen für die Öffentlichkeit relevant sind. Davon ausgehend gäbe es nun zwei Ansatzpunkte: Zum einen könnte man den Informanten gesetzlich unter Kündigungsschutz stellen. Das wäre aber wenig praktikabel, weil diese Person in der Folge Mobbing ausgesetzt wäre und im Betrieb als schwarzes Schaf gelten würde. Deswegen besteht in Deutschland der Informantenschutz. Die Journalisten müssen als Nutznießer der Information keine Auskunft über die Quelle geben. Sie können sich auf ihr berufliches Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Informantenschutz und Zeugnisverweigerungsrecht gehen in Deutschland also Hand in Hand.
Noch einmal: Bundesinnenminister Otto Schily ist anderer Meinung.
Johannes Ludwig: Der Minister ist wohl nicht so gut über die Gesetzeslage informiert. Aber er hat während seiner Amtszeit auch wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass er kein besonderer Anhänger der Pressefreiheit ist. Wichtig ist weniger, was Otto Schily meint. Von Belang ist die Meinung der Bundesverfassungsrichter. Und diese haben sich klar positioniert, indem sie den Informantenschutz regelmäßig bestätigt und sogar ausgebaut haben. Das geht inzwischen sogar soweit, dass Medien auch dann mit Informationen arbeiten dürfen, wenn sie auf rechtswidrige, also illegale Weise beschafft wurden. Also etwa, wenn ein Informant sie geklaut hat.
Voreilender Gehorsam der Staatsanwaltschaft
Wie konnte es dann zu den Durchsuchungen der Cicero-Redaktion und der Wohnung des Autoren Schirra kommen?
Johannes Ludwig: Die Medien dürfen sich selber keine Straftat zuschulden kommen lassen. Und das führt zu einer Schwachstelle in den eigentlich sehr sicheren Bestimmungen zum Informantenschutz in Deutschland. Jeder Staatsanwalt kann sich sagen: „Ich komme an den Informanten nicht heran. Also werfe ich dem Journalisten vor, er habe sich einer Straftat schuldig gemacht, denn dann kann ich seine Räume nach einem Hinweis auf die Quelle durchsuchen lassen.“ Diese vermeintliche Straftat heißt dann „Beihilfe zum Geheimnisverrat“. Und diese Keule wurde im Cicero-Fall ausgepackt.
Sehen Sie hier also Handlungsbedarf?
Johannes Ludwig: Nicht unbedingt, denn vor einigen Jahren haben die Generalstaatsanwälte in Deutschland den richtungsweisenden Beschluss gefasst, solche Aktionen gegen Medienvertreter nicht mehr durchzuführen. Erstens konnte der Verdacht auf Beihilfe noch nie erhärtet werden. Zweitens provozieren polizeilichen Aktionen gegen die Presse immer negative Reaktionen in der Öffentlichkeit. Und das schadet langfristig dem Ansehen und damit der Arbeitsfähigkeit von Staatsanwaltschaften.
Ist die Staatsanwaltschaft Potsdam, von der die Anweisung zu den Durchsuchungen im Fall Cicero kam, eine Ausnahme?
Johannes Ludwig: Meinem Verständnis nach war die Staatsanwaltschaft in Potsdam selber nicht sehr glücklich, diese Befehle geben zu müssen. Nach den Durchsuchungen wurde schnell deutlich, dass Duck von oben ausgeübt wurde. Dazu muss man verstehen, dass die Dienstwege in diesem Bereich sehr kurz sind: Über dem Staatsanwalt steht der Oberstaatsanwalt, über dem der Generalstaatsanwalt – und dann bleibt nur noch die Ministerialebene. Wenn ein zuständiger Minister nur laut denkt, dann gibt auf den unteren Ebenen oft eine Art vorauseilenden Gehorsam, denn niemand will sich die Karriere verbauen. Im vorliegenden Fall hat offenbar Otto Schily Druck ausgeübt. Aber, wie gesagt, bei Schily wundert mich das nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht. Als jemand, der die Entwicklung der Pressefreiheit eng verfolgt, bin ich froh, dass dieser Mann in absehbarer Zeit aus seinem Amt ausscheiden wird.
Welche Motivation vermuten Sie beim Innenminister?
Johannes Ludwig: Sehen Sie, ich unterrichte Fachmanagement an unserer Hochschule. Im Management gibt es rationale und irrationale Gründe. Bei Schilys Vorgehen sehe ich aber schon lange keine rationalen Grundlagen mehr.