Schilys (vorerst) letzter Kreuzzug
Die andauernden Ermittlungen gegen das Politmagazin Cicero sind offenbar nur ein erster Schritt bei der Einschränkung der Pressefreiheit
Die Tage der alten Bundesregierung sind gezählt. Doch während sich seine Kabinettskollegen auf die Zeit nach Rot-Grün vorbereiten, hat sich Otto Schily eine letzte Mission auferlegt. Er müsse „die Diskretion im Staat da, wo sie notwendig ist, auch durchsetzen“, kündigte der Minister am Montag vergangener Woche in Berlin an. Fassungslos, so hieß es in Berichten später, hätten sich die über 500 Gäste des Zeitungskongresses im Maritim-Hotel der Hauptstadt eine „bizarre Rede“ anhören müssen, in der Schily eine Hasstirade nach der anderen gegen die Medien losließ: Journalisten stellen sich „außerhalb der Gesetze“, schimpfte der Gastredner. Und ginge das so weiter, kenne er bald „kein Pardon“ mehr.
Der Minister knüpfte damit direkt an die Medienschelte des Bundeskanzlers vom Wahlabend ab. Doch Gerhard Schröder hatte sich bei seinem Auftritt in der „Berliner Runde“ offensichtlich nicht unter Kontrolle und entschuldigte sich später für die undifferenzierte Presserüge. Schily aber wusste, was er sagte. Auch er beschwerte sich vor den anwesenden Medienunternehmern und Journalisten zunächst, dass einige Medien seine Regierung „kaputtgeschrieben“ hätten. Dann wurde er aggressiver – und konkreter. Journalisten, die bei ihren Recherchen auf geheime Papiere zurückgriffen, und diese „wie eine Trophäe“ präsentierten, müssten strafrechtlich belangt werden.
„Stichwort Cicero“, sagte Schily und schlagartig war den Beteiligten die Tragweite des Gesagten klar: Die Potsdamer Redaktion des Cicero, eines politischen Monatsmagazins, war am 12. September in einer konzertierten Aktion (Pressefreiheit: Die Hemmschwelle sinkt) verschiedener Polizeibehörden durchsucht worden. Zeitgleich drangen Ermittler in die Wohnung des Mitarbeiters Bruno Schirra nahe Berlin ein. Auslöser einer der größten staatlichen Angriffe der letzten Jahre gegen den freien Journalismus in Deutschland war ein Artikel Schirras über den aus Jordanien stammenden Terroristen Abu Mussab Al Zarqawi. Darin war unter anderem aus einer Analyse des Bundeskriminalamtes zitiert worden.
Ermittlung auch in der Schweiz
Der Rückgriff auf vertrauliche Quellen ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit im investigativen Journalismus. Für Schily ist es ein unverzeihliches Verbrechen. „Wir lassen uns das Recht des Staates nicht nehmen, seine Gesetze durchzusetzen“, drohte er auf dem Berliner Kongress. Gesagt, getan: Nur einen Tag später ging bei der Schweizer Polizei ein Rechtshilfegesuch ein. Die dortige Bundesanwaltschaft solle den Auslandschef der Zeitschrift Sonntagsblick Johannes von Dohnanyi in der Ermittlungssache gegen Schirra verhören. Für dieses Blatt arbeitet auch Schirra, denn das Schweizer Verlagshaus Ringier gibt sowohl den Sonntagsblick wie das Magazin Cicero heraus.
Am Donnerstag schon standen zwei Schweizer Polizeibeamte vor Dohnanyis Wohnungstür, um ihn im Auftrag der deutschen Kollegen zu befragen. Gegen diesen liegt wegen der Zitate aus dem BKA-Papier im Nachbarland immerhin eine Anzeige wegen „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ vor. Doch der Vorstoß blieb ohne Erfolg: Der Schweizer Journalist verweigerte seine Aussage.
Kritik aus den eigenen Reihen
Hätte der Innenminister doch nur auf seine Genossen gehört. Monika Griefahn, SPD-Politikerin und Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, etwa hatte ihren Parteikollegen zuvor gerügt. Die Durchsuchung der Cicero-Redaktion und die Konfiszierung von Materialien sei „empörend“, sagte Griefahn.
Es häufen sich Durchsuchungen von Redaktionen, die ich als Einschüchterungskampagne empfinde. Die letzten Razzien, bei denen vor einigen Wochen Material aus dem privaten Haus des Journalisten Bruno Schirra und den Redaktionsräumen des Cicero beschlagnahmt wurde, waren ein Fehler. Wir müssen die Pressefreiheit und den investigativen Journalismus hochhalten, gerade weil wir im Ausland auch dafür kämpfen. Wenn illoyale Beamte im Ministerium als Informanten tätig sind, muss das streng verfolgt werden, darf aber nicht auf Kosten von Journalisten und Quellenschutz geschehen.
Monika Griefahn in einer Presseerklärung zum Vorgehen gegen die Cicero-Redaktion
Auch der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sieht Schilys Kreuzzug gegen die Presse mit Befremden. Dieser solle „nicht die große Keule schwingen, sondern lieber dafür sorgen, dass es in seinem Zuständigkeitsbereich keine Lecks gibt“, so Wiefelspütz. Den Auftritt des Innenministers bezeichnet der SPD-Mann als „unverhältnismäßig“.
Otto Schily ficht diese Kritik nicht an. Die zunehmend aggressive Linie seines Ministeriums gegen die freie Presse verteidigt er auch weiterhin – und bleibt damit seiner Politik der letzten Jahre treu. So hat der ehemalige RAF-Verteidiger nicht nur die Initiative für einen „großen Lauschangriff“ zu verantworten. Auch in den Folgejahren hatte er immer wieder versucht, die Kontrollgewalt des Staates über das Prinzip der Pressefreiheit zu stellen.
Verstoß gegen die Verfassung
Sein Vorgehen sei berechtigt, weil „für Journalisten nichts im Grundgesetz“ stehe, ihr Widerstand gegen Überwachung und Gängelung also unberechtigt sei. Mit dieser vorsätzlichen Fehlinterpretation versucht der Jurist Otto Schily aber lediglich, von dem eigentlichen Skandal im Fall Cicero abzulenken: der schleichenden Beseitigung des für die journalistische Arbeit elementaren Informantenschutzes. Der findet im Grundgesetz zwar keine direkte Erwähnung. Auf seiner Internetseite whistleblowerinfo.de weist der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Johannes Ludwig aber darauf hin, dass der Informantenschutz dennoch „eines der wichtigsten und höchsten Rechtsgüter“ sei und in Deutschland quasi Verfassungsrang habe, seit er vom Bundesverfassungsgericht 1959 bestätigt wurde. Den Schutz von Informanten „leiten die Verfassungsrichter direkt aus dem Artikel 5 des Grundgesetzes ab, in dem auch die Pressefreiheit ganz allgemein kodifiziert ist.“, schreibt Ludwig.
Heribert Prantl, Leiter des Ressorts Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, zeigte sich nach Schilys Ausfällen daher beunruhigt darüber, dass es keinen Aufschrei gegeben habe – wie 1962 etwa, als die Spiegel-Redaktion unter ähnlichen Vorwänden wie im aktuellen Fall Cicero durchsucht wurde. Offenbar sei seither „der Rang der Pressefreiheit massiv geschwunden“, so Prantl.
Die Pressefreiheit heute und hierzulande ist ein einbalsamiertes Grundrecht, prächtig präpariert von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe, so dass sie beinahe ausschaut wie lebendig. Aber nur beinahe: Es ist wie bei einem ausgestopften Tier: Von Zeit zu Zeit wird es aus der Vitrine geholt und abgestaubt. Der Biologielehrer stellt es vor der Klasse auf und erzählt, was das Tier gemacht hat, als es noch lebte, jagte und fraß. Ein prächtiges Tier, sicher; noch im ausgestopften Zustand kann man sich gut vorstellen, wie es wohl war, als es noch lebte.
Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, beim BDZV Zeitungskongress in Berlin, 26. September 2005 (Quelle).
Wo aber die öffentliche Meinung als Korrektiv nicht mehr wirkt, müssen Gesetze die Demokratie sichern. Sowohl in Österreich wie in der Schweiz ist die Autonomie der Presse gegenüber dem Staatsapparat geschützt: In Österreich durch den Schutz des Redaktionsgeheimnisses (§ 31 Mediengesetz) und in der Schweiz durch den Quellenschutz in § 27 des Strafgesetzbuches. Angesichts der zunehmenden Missachtung demokratischer Grundrechte durch die Regierenden wäre eine solche Regelung wohl auch für Deutschland notwendig.