Oury Jalloh: "Und wenn es doch Mord war?"
Nach der bundesweiten Demonstration zum 13.Jahrestag des ungeklärten Todes des Asylbewerbers aus Sierra Leone geht es um die Frage, ob es gelingt, den Druck zu verstärken
Manche Autofahrer werden am Wochenende über die neuen Verkehrsschilder gestaunt haben. Dort wo sonst für das Bauhaus oder das Unesco-Weltkulturerbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich geworben wird, prangte die Aufschrift Oury Jalloh-Stadt Dessau. Das dürfte wohl Marketingexperten der Stadt und rechte Politiker aller Parteien mehr ärgern als die Großdemonstration am vergangenen Sonntag .
Knapp 4.000 Menschen aus der ganzen Republik hatten sich am 7. Januar in Dessau versammelt. Dort verbrannte vor 13 Jahren Oury Jalloh an Armen und Beinen in einer Polizeizelle. Die zentrale Parole lautete "Oury Jalloh, das war Mord." Seit 13 Jahren waren Freunde und Unterstützer von Oury Jalloh alljährlich nach Dessau gekommen, um an den Toten zu gedenken und die Aufklärung der Todesumstände zu fordern.
Sie sind von Anfang an davon ausgegangen, dass Oury Jalloh gewaltsam in der Dessauer Polizeiwache zu Tode kam. Doch sie wurden kriminalisert, wenn die die Parole "Oury Jalloh, das war Mord" skandierten und auf Schildern und Transparenten zeigten.
Todeszone Dessauer Polizeizelle
Mittlerweile geht sogar der Staatsanwalt Frank Bittmann davon aus, dass Oury Jalloh ermordet wurde. Das Motiv könnte darin bestanden haben, dass man ihn beseitigen wollte, weil er zuvor auf der Polizeiwache misshandelt wurde. Er hätte später Aussagen machen können, dann wären die ungeklärten Todesumstände von Klaus-Jürgen R. und Mario B. womöglich noch bekannt geworden.
Klaus-Jürgen R. ist 1997, Mario B. 5 Jahre später in der Dessauer Polizeiwache zu Tode gekommen. Sie stammten aus armen Verhältnissen, niemand fragte nach den Todesumständen, es gab keine Ermittlungen und kein Medieninteresse. Ihre Namen waren vergessen. Das wäre auch mit Oury Jalloh geschehen, der auf der Suche nach einem besseren Leben von Sierra Leone nach Deutschland kam und in Dessau den Tod fand.
Es ist der Beharrlichkeit seiner Freunde und Unterstützer zu verdanken, dass Oury Jalloh und die Dessauer Verhältnisse nun weit über Deutschland hinaus ein Begriff geworden sind. Dadurch wurden auch die beiden anderen Opfer der Dessauer Verhältnisse der Anonymität entrissen. Es ist aber nun keineswegs davon auszugehen, dass Dessau da so eine Ausnahme in Deutschland ist. Was in den anderen Städten fehlt, sind eben Initiativen wie die der Unterstützer für Oury Jalloh.
Komplettversagen von Justiz und Zivilgesellschaft
Nun könnte man denken, wenn jetzt fast 4.000 Menschen auf die Straße gehen und die Parole "Oury Jallo, das war Mord" nicht mehr kriminalisiert wird, ist doch noch alles gut geworden. Doch das wäre ein Selbstbetrug. Denn dem erwähnten Staatsanwalt Bittmann wurde der Fall entzogen, nachdem er von einem Mord ausgegangen ist.
Ein Polizeibeamter, der mehrmals Aussagen machen wollte, die der offiziellen Version widersprachen, wurde abgewiesen und mit Sanktionen bedroht. Es müsste eigentlich republikweite Proteste gegen diese Versuche geben, die Aufklärung des Todes von Oury Jalloh zu behindern. Auf ganzer Linie versagt hat auch die Justiz, die sich schon früh auf die Version festgelegt hat, wonach sich der Tote nur selber umgebracht haben kann.
Das Undenkbare
Was nicht in diese Version passte, wie das nicht vorhandene Feuerzeug und die schnelle Ausbreitung des Feuers, das nur durch Brandbeschleuniger erklärt werden kann, wurde ausgeblendet. Es waren die Initiativen, die Gerechtigkeit für Oury Jalloh forderten, die auf eigene Veranlassung und mit eigenem Geld Gutachten orderten, die nachwiesen, dass die offizielle Version nicht stimmen kann. Sie haben einen Staatsanwalt zum Umdenken gebracht.
Auch die liberalen Medien haben immer noch an der Verson festgehalten, dass es einen Mord in einer Polizeizelle in Deutschland nicht geben kann. Doch mittlerweile, nach dem Umdenken des Staatsanwalts, beginnen einige Medien das für sie bisher Undenkbare zu formulieren: Und wenn es doch Mord war?
Darauf könnte man mit dem Hinweis auf eine "Tradition" in Deutschland antworten. Vor 100 Jahren im Jahr Herbst 1918 und im Frühjahr 1919 wurden Tausende von protestierenden Arbeitern überall in Deutschland erschossen. Die rechten Freikorps handelten im Auftrag der Regierung. Für den Historiker Sebastian Haffner begann hier eine Entwicklung, die in den NS-Massenmorden gipfelten. Nach 1945 machte das alte Personal weitgehend weiter.
Parallelen zum NSU
Auch nachdem diese Generation in Rente gegangen war, blieb vieles von der Tradition erhalten. Deshalb konnte der NSU-Komplex unter Aufsicht von Geheimdiensten so lange morden. Während die Opfer unter der Parole "Kein 10. Opfer" auf die Straße gingen, verdächtigten Justiz, Politik und die meisten Medien die Opfer und ihre Angehörigen.
Das Erschrecken, nachdem sich der NSU in Teilen selbstaufgedeckt hat, war nur kurz. Wenn kürzlich ein verurteilter Neonazi in Hamburg eine Bombe legte, kommt sofort die Entwarnung, es sei nur ein unpolitischer Trinker gewesen.
Derweil formieren sich auch im Fall von Oury Jalloh die Rechtsaußengruppen wie die AfD, die die Polizei und die Stadt Dessau am Pranger sehen und die Schließung der Akten fordern. Selbst am Todestag von Oury Jalloh waren sie mit knapp 150 Personen mit einer Kundgebung vertreten.
Am Fortgang des Falls wird sich zeigen, ob es in Deutschland noch möglich ist, erfolgreichen Widerstand gegen die Dessauer Verhältnisse zu organisieren. Wenn es möglich ist, dass ein Verfahren eingestellt wird, obwohl ein Staatsanwalt von einen Mord ausgeht, dann muss man wohl nur dem Begriff Rechtsstaat eine neue Bedeutung geben.