Out of Control: Technologie hat ihre eigene Agenda
Interview mit Kevin Kelly, "Altersredakteur" bei "Wired", über das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine und die Angst vor der Zukunft
Technologie lässt sich genauso wenig strikt kontrollieren wie ein Teenager oder die Natur insgesamt, glaubt Kevin Kelly. Es reicht, wenn der Mensch ihr die wichtigsten Designprinzipien vorgibt. Dass sich die menschliche Spezies in Cyborgs und Traditionalisten aufspaltet, die sich gegen die Technologisierung des Körpers wenden, erscheint Kelly daher auch ganz natürlich - im Gegensatz zu Bill Joy, dem Mitbegründer von Sun Microsystems und jüngstem Mahner in der Techno-Wüste (Die Angst vor der Zukunft).
Stefan Krempl besprach mit Kelly am Rande eines Symposiums (Werden Maschinen schon in hundert Jahren den Menschen ersetzen?) über die Zukunft der Evolution von Robotern und Menschen seine Theorie von unkontrollierbaren, aber doch zielgerichteten Entwicklungen, sowie die Befürchtungen von Technologiekritikern wie Bill Joy.
"Wired" hat jüngst Bill Joys Artikel Warum uns die Zukunft nicht braucht veröffentlicht. Eigentlich ist die Zeitschrift nicht gerade dafür bekannt, kritisch über Technologie zu schreiben.
Kevin Kelly: Ich hatte wenig damit zu tun. Es war ganz die Entscheidung der Chefredakteurin Katrina Heron. Ich habe den Text unterstützt, weil "Wired" immer die neuen Technologien sehr lautstark begrüßt hat. Aber auch in den frühen Tagen von "Wired" wollten wir kritischere, intelligente Sachen veröffentlichen. Der Hauptgrund, warum wir das nicht machten, war keineswegs, dass wir dagegen waren. Es ist einfach selten, dass jemand, der sich mit Technologie auskennt, auch kritisch darüber schreibt. Der Vorteil von Bill ist, dass die Leute ihm zuhören. "Wired" würde sicher mehr solche Stücke machen, wenn es mehr intelligente Leute gäbe, die so wie Bill darüber schreiben.
Der Artikel ging durch die Medien, weil die Leute leider auch in der Wissenschaft auf Prominenz reagieren. Letztlich geht es bei der ganzen Geschichte um Berühmtheit, um jemanden, der bekannt ist und die Leute überraschte. Seine Position gibt ihm Gewicht. Man hört zu, was Bill sagt, weil er von Technologie eine Ahnung hat.
Der Artikel hat in den großen Tageszeitungen in den USA für Schlagzeilen gesorgt. Glauben Sie, dass die Ablehnung gegen die Technologie allgemein wächst?
Kevin Kelly: Es hat immer eine Abneigung gegeben, spätestens seit die Debatte um die Kernenergie gestartet wurde. Leute sind immer skeptisch, wenn es um den Einsatz von Technologien geht. John Naisbitt hat einmal gesagt, dass wir für jeden Schritt, den wir auf die Technologie zugehen, wieder zwei Schritte zurück gehen. High-Tech verursacht High-Touch. Und ich glaube, dass die Leute Recht haben. Es sollte beide Arten von Menschen geben: Leute, die sich auf mehr Technologie einstellen, und andere, die hinaus gehen in die Wildnis und Baumwollkleider tragen. Die Gesellschaft verträgt beide Positionen gleichzeitig.
Aber berühren die neuen Technologie nicht immer stärker das Menschsein selbst? Wir reden ja von Life Sciences, Gen- und Biotechnologie.
Kevin Kelly: Was Bill gemacht hat, und was ich auch gut finde, ist, dass er die Gefahren beim Namen genannt hat. Ich denke, dass die Leute darüber auf die gleiche Weise reden werden, wie sie über Umweltprobleme diskutiert haben, über die Atomenergie, die Lärmbelästigung und die Luftverschmutzung. Wenn man Entwicklungen beim Namen nennt, gibt ihnen das eine bestimmte Bedeutung. Sie werden sichtbar. Obwohl wir noch nicht wissen, wie gefährlich das alles wirklich ist.
Ich teile Bills Sorgen. Es ist das Gleiche wie mit der Analogie von Kindern und Teenagern. Wenn Sie einen Teenager haben, müssen Sie sich zu einem gewissen Grad Sorgen um seine Entwicklung machen. Die Lösung sollte nicht sein, dem Jugendlichen alles zu verbieten, wohl aber, ihm bestimmte Dinge zu untersagen.
Sind Sie auch der Meinung Bill Joys, dass wir die Forschung in neuen Technologiebereichen stoppen sollten?
Kevin Kelly: Nun, wenn Sie dem, was er sagt, vorsichtig lauschen, bietet er keine bestimmte Lösung an. Es gibt da also nichts, dem ich zustimmen oder widersprechen könnte. Er sagt, dass wir uns mit den Dingen beschäftigen sollen, was ich auch finde, und dass wir bestimmte Sachen verbieten sollten.
Joy fordert doch aber ganz konkret, nicht weiter im Bereich Nanotechnologie zu forschen.
Kevin Kelly: Was ist Nanotechnolgie? Das ist doch noch eine Luftblase. Worüber redet er? Mikro-Maschinen, integrierte Schaltkreise? Nanobots, die unser Gehirn durchwandern? Das alles existiert so noch nicht. Aber ganz allgemein stimme ich ihm zu, dass wir uns Gedanken über die Zukunft machen sollten. Und dass es bestimmte Verwendungen von bestimmten Dingen gibt, die wir lieber nicht propagieren sollten. Handwaffen sind ein gutes Beispiel. Wir sollten die Verbreitung von Handwaffen verhindern. Aber die Technik und der Gedanke dahinter existieren in vielen Formen wie beispielsweise dem Feuer oder dem Schießpulver. Aber diese eine besondere Implementierung einer Erfindung sollten wir ächten. Wenn dagegen jemand dafür plädiert, dass wir Schießpulver oder Schusswaffen insgesamt ächten sollten, wäre das nicht nützlich.
Ihr bekanntestes Buch trägt den Titel "Out of Control". Erhält die Botschaft des Buches mit all den sich selbst replizierenden neuen Technologien und Robotern eine andere Bedeutung? Wie beschreiben Sie das Phänomen einer Technologie, die niemand mehr kontrollieren kann?
Kevin Kelly: Meine Vision von "Out of Control" ist all dem, über das wir jetzt reden, eigentlich sehr ähnlich. Der Begriff ist vielleicht nicht so gut gewählt, weil er impliziert, dass wir überhaupt keine Kontrolle mehr haben, dass die Technologie außer Rand und Band gerät. Aber eigentlich ist mein Verständnis von "außer Kontrolle" etwas anders. Es beschreibt eher die Art von Kontrolle, die wir über die Natur haben. Mit der Natur verhält es sich so, dass wir im Großen und Ganzen eigentlich keine Kontrolle über sie haben. Selbst wenn es uns gelungen ist, einen gewissen Einfluss auf das Wachstum von Pflanzen zu nehmen, haben wir doch nicht die vollständige Kontrolle über sie. Wie machen wir eine gute Tomate? Wir kontrollieren den Prozess des Wachstums nicht, wir lenken höchstens die Evolution, die selbst weitab von jeglicher Kontrolle steht, in eine gewisse Richtung. Oder wie werden wir mit Viren fertig, wie mit Stechmücken?
Genauso verhält es sich mit der Technologie. Wir wollen, dass sie sich so entwickelt wie die Natur. Wir wollen diese Selbstreplikation. Wir wollen nicht jeden einzelnen Schritt kontrollieren, wie sich die Technologie entwickelt. Wir brauchen allein einige Punkte, an denen wir eine Hebelkraft haben, einige Punkte, wo wir sie modellieren oder - wie ich sage - domestizieren können. Wir wollen also eine domestizierte Technik. Das ist wie bei den Kindern: wir wollen zwar wohlerzogene Kinder, aber keine Sklaven, die total unter unserer Kontrolle stehen. Wir möchten den Dingen eine Struktur geben, sie mit einem fundamentalen Architekturdesign ausrüsten, damit sie sich richtig benehmen. Aber wir wollen und können nicht alles unserem Willen unterwerfen.
Wohin wird sich die Evolution ganz allgemein betrachtet entwickeln? Werden Mensch und Maschine verschmelzen?
Kevin Kelly: Konzeptionell sind wir an dem Punkt angelangt, an dem wir über Menschen als Maschinen nachdenken können und umgekehrt über Maschinen als Organismen. Das ist ein großer Schritt, weil wir nun die Natur als einen "Wettbewerbsfaktor" verstehen können und die DNA als Informationssystem. Und dadurch, dass wir anfangen mit den Experimenten am Genom und immer mehr Prothesen in unseren Körper einbauen, werden wir den Maschinen in einer Art ähnlicher, die wir uns noch kaum vorstellen können. Ich kann mir vorstellen, dass wir schon bald Hardware ähnliche Hilfsgeräte, die unsere Möglichkeiten vergrößern, in unseren Körper einpflanzen. Ich glaube also zweifellos, dass Menschen und Maschinen in den nächsten Jahren enger zusammenkommen.
Freeman Dyson hat vor einiger Zeit eine interessante Frage aufgeworfen, mit der wir uns wieder stärker beschäftigen sollten. Er rätselte darüber nach, ob wir in einem Zeithorizont von etwa 10.000 Jahren noch als eine Spezies existieren oder ob wir uns in mehrere Gattungen aufteilen werden. Ob es Menschen geben wird, die aus religiösen oder spirituellen Gründen nicht an dieser Cyborg-Zukunft teilnehmen wollen. Menschen, die entschieden haben, ihre Körper technologisch nicht zu verändern und ohne Gentechnologie leben zu wollen. Und ob es eine weitere Gruppe geben wird, die sich nicht gegen diese Entwicklungen sträubt. Und vielleicht sieht genauso die Zukunft aus. Das fängt ja heute schon an. Es gibt ja bereits Leute, die ihr "Fleisch" mehr oder weniger wie eine biologische Maschine behandeln und das gut finden.
Warum sehen Sie die mögliche Aufteilung der menschlichen Gattung in "Homo-Sapiens-Relikte" und Cyborgs als so natürlich an und der Entwicklung so gelassen entgegen? Warum sind Sie da viel optimistischer als Bill Joy?
Kevin Kelly: Statt aufs College zu gehen, bin ich nach Asien gereist, was mich sehr optimistisch gestimmt hat. Die Asiaten sind eine der wenigen Sorten von Menschen, die noch optimistischer sind als die Leute im Silicon Valley. Ich sehe den Taten und der Zukunft der Menschen immer sehr optimistisch entgegen. Wenn jemand Bill und mir die Chance geben würde, eine Geschichte des 20. Jahrhunderts zu schreiben, so würde Bill vor allem über ein Jahrhundert des Kriegs und der Massenvernichtung schreiben. Meine Geschichtsinterpretation sieht gänzlich anders aus.
Viele Menschen haben trotzdem Furcht davor, von Robotern abgeschafft zu werden. Werden die Ängstlichen nicht verrückt in ein paar Jahren?
Kevin Kelly: Ich denke da gerade an den Vater meiner Frau, der in China aufgewachsen ist. Man könnte natürlich annehmen, dass es für ihn ein großer Schock gewesen sein muss, als Zehnjähriger von dort in die USA zu kommen. Man könnte denken, dass das für ihn kaum zu verkraften gewesen sein dürfte. Aber er hat schon so viele Veränderungen in seinem Leben gesehen - das ist einfach umwerfend. Er hat sich gut auf alle diese Veränderungen eingestellt, weil er sich für sie interessierte und auf sie reagierte. Je schneller also alles um einen herum wird, desto besser ist man auch darauf vorbereitet.
Wir schätzen die Wildnis heute mehr als die Menschen vor 200 Jahren. Für sie war die Wildnis der große Feind. Mit jedem Schritt, den wir auf die Technologie zumachen, ziehen wir uns auch wieder etwas zurück. Wir bewegen uns in beide Richtungen gleichzeitig und wir werden es so schaffen, den Zukunftsschock zu managen.
Denn gegen was lehnen sich die Leute eigentlich auf? Es geht ihnen nicht so sehr um die Technologie selbst, sondern sie empören sich darüber, dass die Menschen nur noch über Technologie reden und dass soviel Gier in dem Geschäft steckt. Sie sind gegen das Zerrbild von der Technologie, gegen die Obsession um sie herum. Das ist gut so. Aber wir werden uns nicht von der Technologie allgemein verabschieden. Es wird nicht weniger Websites geben, und es wird nicht weniger Internet-Traffic geben, weil sich ein paar Leute beklagen.
Wie sehen Sie persönlich Ihre Zukunft? Arbeiten Sie weiter für "Wired" oder verlegen Sie sich stärker aufs Bücher schreiben?
Kevin Kelly: Ich habe mich von "Wired" zurückgezogen, als das Magazin verkauft wurde. Ich war ja einer seiner Mitbegründer, und da war ich nicht so sehr daran interessiert, für eine große New Yorker Verlagsgesellschaft zu arbeiten. Ich berate die Chefredaktion ab und zu, aber ich gehe nicht mehr als einmal im Monat dort ins Büro. Ich gebe ein paar Ideen für Geschichten an sie weiter, aber das hat nichts zu tun mit der täglichen Redaktionsarbeit. Deshalb habe ich Zeit, rund um die Welt zu reisen, Vorträge zu halten über die Neue Ökonomie und ein neues Buch zu schreiben. Ich weiß noch nicht worüber, aber der Plan dazu reift gerade in mir.