Paderborner "Hirten unter Hitler"

Seite 3: Ausblick: Die "Aufarbeitung steht am Anfang"

Wenn demnächst die Ergebnisse einer historischen Studie über "Sexualisierte Gewalt im Erzbistum Paderborn" vorliegen, werden öffentliche Rühmungen von Kardinal L. Jaeger durch Namensgebungen usw. vermutlich bald erledigt sein. Es stellt sich jedoch die Frage, warum die bürgerliche Welt nicht schon die geistliche Kriegsbeihilfe des Predigers für den zu Völkermordzwecken unternommenen Vernichtungsfeldzug gen Osten als kompromittierend bewertet hat.

Wolfgang Stükens jetzt wieder greifbares Buch ist durchaus nicht auf die "Personalie Lorenz Jaeger" fixiert. Mit welcher Berechtigung sollten etwa die überaus traurige Gestalt des Bischofs Caspar Klein (1865-1941) und der aus dem Bistum kommende – in ihm geprägte – Kölner Kardinal Karl Joseph Schulte (1871-1941) übergangen werden? Gab es den durch Stüken aufgezeigten Dissens zwischen einer konfliktscheuen – vom Staat besoldeten – Bistumsleitung und einer unangepassten, allerdings nicht repräsentativen "Kirche von unten"? Gab es Dissens speziell auch in der Frage der kirchlichen Kriegsassistenz?

Wo verlangten die Paderborner Bischöfe von den Gläubigen ein "mutiges Bekennen"; wo verlangten sie von ihren "Untergebenen" Stillschweigen und Staatsgehorsam? Stellten sich die Bischöfe an der Pader – für alle erkennbar – im Zuge des sogenannten "Klostersturms" hinter die Ordensleute? Wie gestalteten sich aufseiten des Spitzenpersonals öffentliche Solidarisierung und seelsorgliche Begleitung im Fall der existenzbedrohenden, blutigen oder gar tödlichen Verfolgung von Mitgliedern der Kirche?

Welche Initiativen der innerkirchlichen Aufklärung, des gemeinschaftlichen Betens und des öffentlichen Protestes angesichts der "Euthanasie"-Morde in allernächster Nähe gab es aufseiten der Paderborner Kirchenleitung – im Vergleich u.a. zu Münster (Bischof von Galen) und auch zu "Laienaktivitäten" im eigenen Bistum? Welche Formen der Seelsorge zur Begleitung der verachteten, zur Ermordung freigegebenen "Geisteskranken" oder "Behinderten" und der Angehörigenpastoral wurden von der Bistumsspitze initiiert? Wie verhielt sich die Kirchenleitung, wenn Menschen, die nicht zum eigenen Kirchenkollektiv gehörten, verschleppt, gefoltert oder ermordet wurden?

Wie verhielt sich die Leitung der Diözese ab 1945 zur – kircheneigenen oder staatlichen – "Entnazifizierung" des kirchlichen Personals? Wer profitierte von der geschichtspolitischen Linie des Erzbistums Paderborn nach Kriegsende – und wer erlitt durch diese möglicherweise weitere Wunden? An der Wende zum Jahr 2022 gilt somit noch immer, dass die sogenannte "Aufarbeitung der NS-Zeit" am Paderborner Bistumsstuhl erst am Anfang steht.

Wolfgang Stüken: Hirten unter Hitler. Die Rolle der Paderborner Erzbischöfe Caspar Klein und Lorenz Jaeger in der NS-Zeit (Kirche & Weltkrieg, Band 12). Norderstedt: BoD 2021. ISBN: 978-3-7557-6020-7 (Seitenzahl 424; Paperback; Preis 13,90)

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