Paderborner "Hirten unter Hitler"
- Paderborner "Hirten unter Hitler"
- Ein Journalist durchbricht den Panzer des klerikalen Männerbundes
- Ausblick: Die "Aufarbeitung steht am Anfang"
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Zur Neuedition eines folgenreichen Aufklärungsbuches von Wolfgang Stüken – Kirche & Weltkrieg, Teil 10
Der Paderborner Erzbischof Caspar Klein (1865-1941) schärfte den 1,5 Millionen Katholiken seines Bistums im Jahr 1934 ein, die Träger der Staatsgewalt seien "Stellvertreter und Bevollmächtigte Gottes". Als die in seinen Augen "gottgesetzten Autoritäten" von Nazideutschland das "katholische Polen" überfallen und bereits hunderte Priester ermordet hatten, predigte dieser durch und durch deutsche Kirchenführer seinen zur Wehrmacht einberufenen Klerikern:
"Wer in einem Kriege pflichtmäßig die Waffen trägt, ist eingefügt in die Pläne des allmächtigen, allweisen und allgütigen Völkerlenkers."
Teil 1: Als die Kirche staatsfern war
Teil 2: Katholizismus und Erster Weltkrieg
Teil 3: Protestantismus und Erster Weltkrieg
Teil 4: Frieden im Niemandsland
Teil 5: "Auf zu den Waffen! Gott will es!"
Teil 6: "Gebete zur Beseitigung des Pestherdes"
Teil 7: "Zertrümmerung des Bolschewismus und ein neues Europa"
Teil 8: Franziskus Justus Rarkowski (1873-1950)
Teil 9: "Hitler als christlicher Staatsmann"
1941 starb Erzbischof Klein. Sein Nachfolger wurde der Wehrmachtsgeistliche Lorenz Jaeger. Mit Stolz verschickte man nach dessen Erwählung im Bistum Fotos, die den künftigen Kirchenführer in der Uniform der Hitlerarmee zeigten.
Vor dem westfälischen Oberpräsidenten und SA-Obergruppenführer Alfred Meyer versicherte Lorenz Jaeger, er habe den von ihm obligatorisch eingeforderten staatlichen Treu-Eid "aus ganzem Herzen und ohne Einschränkung" geschworen. Wie der von ihm verehrte Feldbischof Franz Justus Rarkowski sah er eine innere Verwandtschaft von Priestertum und Soldatenberuf als gegeben. In beiden Männerbünden fühlte er sich zuhause.
Russland sei nicht auf Christus, sondern "auf Judas gebaut", proklamierte dann sein Fastenhirtenbrief 1942: "Ist jenes arme unglückliche Land nicht der Tummelplatz von Menschen, die durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christushass fast zu Tieren entartet sind?" Nach "Stalingrad" beteiligte sich der Erzbischof am Helden- bzw. Totenkult des Regimes, um dann 1943 im Dom von Fulda vor allen Bischöfen und Tausenden Gläubigen zu predigen: "Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssten!"
An der Ostfront eingesetzte Priester brachten 1944 sehr schlechte Nachrichten von den Schauplätzen des Massenmordens. Doch ihr vorgesetzter Bischof in Paderborn ließ sich von ihnen nicht belehren. Er rechnete als "erprobter Militärexperte" unverdrossen mit einem deutschen Endsieg. Es gäbe nämlich eine "Wunderwaffe", davon habe ihm ein Oberst der Wehrmacht erzählt. Eine Herde, die einen so nationalistisch und militaristisch verblendeten Hirten hatte, war zu bedauern.
Der menschengemachte Krieg als Gottes Verkündigungswerk?
Der NS-Staat und seine militärergebenen Assistenten auch in den Kirchen hatten das Verbrechen des Zweiten Weltkrieg zu verantworten. Doch nach der Niederwerfung des deutschen Faschismus wollte Erzbischof Lorenz Jaeger die 70 Millionen Toten einer höheren, nicht mehr zu überbietenden Instanz in die Schuhe schieben:
Wie einst dem Moses unter Blitz und Donner auf dem Berge Sinai das Gesetz Gottes gegeben wurde, so verkündete uns Gott im Krachen der Bomben und der Granaten, was sein heiliger Wille ist." Den Krieg betrachtete Lorenz Jaeger jetzt wörtlich als "unvergessliche Exerzitien [Besinnungszeiten], die unser Herr und Gott selbst uns hielt.
Erzbischof Lorenz Jaeger
Ab 1945 zeigte sich die erzbischöfliche Kirchenleitung in Paderborn jahrzehntelang immun gegenüber kritischen Forschungen. Man übte sich in Quellenzensur oder Stillschweigen und nahm ansonsten schon ein misslungenes Referat zu Originalzitaten zum Anlass, einen Kritiker als unseriös abzutun oder den hauseigenen Justiziar zu aktivieren. Nicht grundlegende Anfragen an das Verhalten der Kirchenleitung im Zeitraum 1933-1945, sondern vergleichsweise untergeordnete Nebenschauplätze sollten Gegenstand des öffentlichen Diskurses sein.
Die kirchenamtliche Strategie erwies sich als äußerst erfolgreich. 1992 war über den umstrittenen Kardinal Lorenz Jaeger im Westfälischen Volksblatt zu lesen: "Sein Name übt noch heute – nicht nur im Erzbistum Paderborn – eine merkwürdige, fast überirdische Faszination aus."
Zu solchen Überspanntheiten muss es zwangsläufig kommen, wenn in der religiösen Sozialisation die Glaubwürdigkeit der Botschaft des Jesus von Nazareth mit "Beweisen einer glorreichen Geschichte" des verfassten staatsnahen Kirchentums – nebst zugehörigem Personenkult – verwechselt wird.
Kritische Anfragen ab den 1980er Jahren erforderten jedoch kirchlicherseits irgendeine Antwort. Eine 1995 vorgelegte Studie des ehedem von Lorenz Jaeger zum Priester geweihten Heribert Gruß konnte keinerlei anti-nationalsozialistische Äußerungen im öffentlichen Raum oder gar "Widerstandsaktivitäten" des verehrten Vorbildes nachweisen, zeichnete sich bei der Behandlung von kompromittierenden Quellen durch abenteuerliche Interpretationskünste aus und überbrückte zahllose Verlegenheiten durch die weitschweifende Darbietung von Materialien und Vorgängen, die mit der Paderborner Bistumsspitze unmittelbar gar nichts zu tun haben.