Pakistan: Das Leugnen wird weitergehen - auch in Europa
In Pakistan kamen bei einem Selbstmordanschlag wieder mehr als 80 Menschen ums Leben, darunter 20 Kinder - Gilbert Kolonko sieht die eigentliche Verantwortung dafür bei Politikern und Generälen
Vor drei Monaten traf es den Sufischrein von Bilawal Shah Norani, auch dort wartete der Attentäter bis das sufistische Dharmal Ritual begann, und riss dann 52 Menschen mit in den Tod. Davor waren es Anwälte in Quetta. Anfang der Woche eine Demonstration im Herzen von Lahore. Und nun den berühmtesten Schrein Pakistans, den des roten Sufis in Lal Shahbaz Qalandar in der südlichen Region Sindh. Jedes Jahr ist er das Pilgerziel von Millionen Pakistanern. Sie zeigen damit auch, dass es weiterhin der tolerante Sufismus ist, der die meisten Muslime Pakistans prägt.
Premierminister Nawaz Sharif, der gerade wegen der Panama-Offshore-Konten vor Gericht steht, und die pakistanischen Generäle gaben sofort die üblichen Kondolenz-Sätze von sich, dass man alles tun werde, um den Terror zu besiegen. Bei einer ausgerufenen Fahndung wurden landesweit 25 "Verdächtige" erschossen.
Die Brutstätten des Terrors in Pakistan und die Umstände, die ihnen immer wieder Rekruten zutreiben, sind jedoch weiterhin unangetastet: Die kostenlosen Religionsschulen und die materielle Armut eines großen Teil der Bevölkerung - dazu das staatliche Versagen, auch den Ärmsten eine anständige kostenlose Schulbildung zu ermöglichen. Die Kinder, die Regierungsschulen besuchen, werden dann mit Texten aus Büchern gefüttert, die solchen Inhalt haben (Buchausgabe 2015):
Jihad will continue till the end of times. Jihad is going on in different parts of the world. Many Mujahidin of Islam are participating in Jihad for sake of Allah, for protection of their religion, to help their oppressed brothers, and to get freedom from tyranny. […] As a student if you cannot practically participate in Jihad you can at least financially help in preparation of Jihad.
Die pakistanischen Taliban und der IS haben ihre menschenverachtende Ideologie aus dem Wahhabismus abgeleitet - eine extreme und intolerante islamische Glaubensrichtung - und noch extremer ausgelegt. Die afghanischen Taliban hatten anfangs etwas anderes im Sinn, doch dann nahm sie der pakistanische Geheimdienst ISI unter ihre Fittiche - dazu gab es regelmäßigen Besuch aus der arabischen Welt.
Eine australische Kollegin, die Pakistan zwischen 1993 und 2004 jedes Jahr besuchte, zog das gleiche Fazit wie ich, der von 2005 bis 2016 jedes Jahr bis zu 5 Monate durch das Land reiste: "Für mich ist Pakistan immer noch das Land des toleranten Sufismus, aber der Einfluss des Wahhabismus wurde jedes Jahr spürbarer." Kein Wunder, denn jedes Jahr unterstützen allein die Saudis die ideologisch verwandten Deobandis in Pakistan mit 100 Millionen Dollar. Nicht nur Nichtmuslime sind für sie Ungläubige, sondern auch die Schia, Sufis und sogar Brelvi-Sunniten, also der überwiegende Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung.
Nawaz Scharif gaukelt seiner Bevölkerung vor, dass mit der neuen chinesischen Seidenstraße, die 1500 Kilometer durch Pakistan führen wird, alle Probleme des Landes verschwinden werden. Wie zusätzliche chinesische Kredite im Wert von 50 Milliarden US-Dollar zurückgezahlt werden sollen, wenn das Land nicht einmal die alten Schulden bedienen kann, ist den Verantwortlichen egal. Genauso, dass Pakistan mittlerweile eins von drei Ländern mit der weltweit größten Trinkwasserknappheit ist. Ebenso, dass jährlich hunderttausende Menschen an verdreckten Trinkwasser sterben. Hunderttausende an Luftverschmutzung. Auch gegen die alljährlichen Hochwasser hat man keine Vorkehrungen getroffen.
Die Generäle gaukeln weiter vor, dass mit den letzten militärischen "Operationen" alle Terroristen aus Pakistan vertrieben wurden - es sei die "böse" afghanische Regierung, die den Terroristen Unterschlupf böte. Doch waren es 1996 Pakistan, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die als einzige Länder das grausame Taliban-Regime in Afghanistan anerkannten. Dazu waren es die pakistanischen Geheimdienste und Generäle, die den afghanischen Taliban ab 2001 Unterschlupf gaben und sich als Nebenwirkung die pakistanischen Taliban einhandelten.
Dazu hören die pakistanischen Generäle bis heute nicht auf, islamische Extremisten zu benutzen, um im indischen Teil von Kaschmir für immer neue Unruhen zu sorgen - in Afghanistan sieht es nicht anders aus. Allein im Januar verschwanden in Pakistan fünf Menschenrechtsaktivisten, die unter anderem auf die Kontakte zwischen den pakistanischen Militärs und islamischen Extremisten hingewiesen hatten. Die Aktivisten, die wieder "auftauchten", zeigten sich sehr einsilbig und wollten auch nicht sagen, wer sich da so ausgiebig mit ihnen unterhalten wollte.
Fußball-Champions-Liga als Wahhabismus-Werbewoche
Doch auch in Europa leugnet man weiter. Noch immer hat man nicht begriffen, dass Südostasien nicht zur Ruhe kommt, solange der Kaschmirkonflikt nicht gelöst ist - und das geht nur mit Druck von außen, auch auf Indien. Aber da sind die 1,3 Milliarden indische Kunden für die europäischen Exporte wichtiger.
Dazu war diese Woche mal wieder Wahhabismus-Werbewoche in Europa, sprich Fußball Champions Liga. Beim Spiel Paris gegen Barcelona machten dann sogar 22 Millionäre Werbung für die Fluggesellschaften zweier Länder, die auch von den USA als diejenigen ausgemacht wurden, aus denen die meiste finanzielle Unterstützung für den islamischen Terrorismus kommt. In Indien sieht es ähnlich aus. Auch dort legt man Wert auf gute Geschäftsbeziehungen zu den arabischen Ölstaaten.
Als ein junger Mann im indischen Darjeeling, der in einem Arsenal-London-Trikot steckte, über Muslime schimpfte, fragte ich ihn, dabei auf die Trikot-Werbung der Fluggesellschaft Emirates zeigend: "Wie kommt es, dass jemand, der für Talibanunterstützer Werbung macht, gegen alle Muslime hetzt?"