Pakistan: Die Armee bestiehlt das Land

In Clifton bleibt der Allgemeinheit ein ölverseuchter Strand - während die Armee Reibach mit Immobilien macht. Foto: Gilbert Kolonko

In Pakistan hat sich die Armee knapp 8000 Hektar Land für einen Bruchteil des eigentlichen Wertes unter den Nagel gerissen hat. Das sei für die Opfer des "Kampfes gegen den Terror" geschehen

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"Man darf sich unsere Armee nicht als große Einheit vorstellen. Sie besteht aus Tausenden selbständigen Teilen - und jedem geht es nur um eines: sich so viel Land zu greifen wie möglich" sagt ein ehemaliger Oberst der pakistanischen Streitkräfte, der anonym bleiben will. Sein Lebensweg als patriotisch erzogenes Kind der Mittelschicht ist nicht die Regel in Pakistan, aber auch keine Seltenheit.

Ständig mit Hass auf Indien gefüttert, wollte er vor 25 Jahren Inder töten und schloss sich kaschmirischen Kämpfern im (pakistanischen) Punjab an. Doch nach dem Training in einigen Lagern nahe der Grenze zum von Indien kontrollierten Teil von Kaschmir entschied er sich, lieber Soldat zu werden. "Die 'Freiheitskämpfer' waren mir zu religiös und uns verwöhnte Angehörige der Mittelschicht ließ man nicht an die Front." Doch schnell sah er, dass es bei der Armee wenig patriotisch zuging: "Überall, wo ich stationiert wurde, war das Hauptthema, wer wie viele Grundstücke bekommt. Mit den Jahren verstand ich, dass nicht Indien der größte Feind Pakistans ist, sondern unsere eigene Armee."

Im Dezember vergangenen Jahres bestätigte sich dies wieder einmal. Die pakistanischen Journalisten Fahim ­Zaman und Naziha Syed Ali machten öffentlich, was der ehemalige Oberst aus Angst um sein Leben niemals unter Nennung seines Namens sagen würde: Wie die Armee das Land beklaut.

In Karachi hat die Baubehörde der Armee, die Defence Housing Authority (DHA), 8 000 Hektar Land weit unter Wert gekauft, um dort Appartements zu errichten. Das ist schon deshalb rechtswidrig, weil die Armee in Karachi Land besitzt, das brach liegt. Sie hätte erst dieses nutzen müssen, bevor sie weiteres Land dazu kauft. Als Grund für den Landkauf gaben die Generäle an, dass sie damit die Hinterbliebenen der etwa 6 000 Soldaten entschädigen wollten, die seit 2001 im "Kampf gegen den Terror" gefallen sind. In der Regel werden die Familien gefallener Soldaten mit Grundstücken zwischen 100 und 400 Quadratmetern entschädigt; bei 6 000 benötigten Grundstücken wären das also maximal 240 Hektar, nicht 8 000.

Ein Blick in den Bezirk Clifton in Karachi zeigt, was die Armee mit dem Land tatsächlich macht. In Clifton besitzt die Armee knapp 4 000 Hektar Land, von dem sie nur etwa 23 Hektar militärisch nutzt. Auf dem restlichen Grund und Boden wurden und werden Apartmentblocks, Hotels und Geschäftstürme gebaut. Die Armee kauft also mit Steuermitteln, die für die Verteidigung des Landes gedacht sind, Land vom Staat und verkauft dieses dann zu Höchstpreisen weiter.

Die Armeeangehörigen - oder ihre Familienmitglieder, damit es schwerer nachzuverfolgen ist - sind später auch an den Firmen beteiligt, die diese smart cities und Wohnkomplexe bauen. Oder sie haben sich Anteile in Form von Wohnungen gesichert und verdienen so noch einmal daran. Die Kosten werden verstaatlicht, die Gewinne privatisiert. Die sogenannten Panama Papers enthüllten denn auch 2016, dass der ehemalige General und Präsident Pervez Musharraf allein auf Offshore-Konten 56 Millionen US-Dollar besitzt.

Clifton-Karachi: Für die Armee nur das Beste - den Rest für die Bevölkerung. Foto: Gilbert Kolonko

Offiziell sind zwölf Prozent des kultivierbaren Bodens Pakistans im Besitz der Armee - in Wirklichkeit dürften es weit mehr sein. Fast täglich werden überall in Pakistan Menschen von ihrem Land vertrieben, damit Armeeangehörige daran verdienen können. Weil die Armee so viel Geld ausgibt und derzeit 1,5 Millionen in ihr dienende sowie zahlreiche aus dem Dienst ausgeschiedene Männer und Frauen unterhalten muss, fehlen dem klammen und korrupten pakistanischen Staatsapparat dann die Mittel für Bildung und Infrastruktur.

Diese Mängel machen es den Islamisten einfacher, Nachwuchs zu rekrutieren. Davon profitiert wiederum die Armee doppelt: Zum einen kann sie die Extremisten benutzen, um in Afghanistan und im indischen Teil von Kaschmir Unruhe zu stiften und in Pakistan zivilen Widerstand im Keim zu ersticken. Zum anderen kann sie dem Ausland vorgaukeln, dass einzig sie die Machtübernahme der Islamisten im Atomwaffenland Pakistan verhindern könne.

"Die Armee hielt sich ja selbst innerhalb Islamabads ein kleines afghanisches Flüchtlingslager, damit ausländische Gäste schneller hingeführt werden konnten, um ihnen Pakistans Hilfsbereitschaft vorzuführen und mehr Geld zu fordern. Gleichzeitig rekrutierten wir (die Armee) aus diesem Lager Kämpfer für die Taliban in Afghanistan", so der ehemalige Oberst.

Die Rolle der USA

Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid hat in seinem Buch Sturz ins Chaos, das er in seinen guten Jahren geschrieben hatte, detailliert aufgezeigt, wie die pakistanische Armee die Taliban seit 1994 benutzte und deren Reihen mit Kämpfern aus den afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan aufstockte. Auch die Rolle der USA in der Region und beim Entstehen des islamistischen Terrors beschrieb er.

Wenn die amerikanische Regierung nun Pakistan die finanziellen Hilfen einstellt, weil Pakistans Verantwortliche im "Kampf gegen den Terror" versagt haben, ist das überfällig wie scheinheilig. Erstens wissen die U.S.A seit 15 Jahren vom Doppelspiel der pakistanischen Generäle in Sachen Taliban in Afghanistan - und zweitens sind sie es, die bis heute Saudi-Arabien unterstützen, dessen extrem konservativer Wahhabismus die Glaubensgrundlage für fast jede dschihadistische Terrorgruppe in dieser Region ist.

Doch in diesem Teil der Erde ist der Einfluss der Vereinigten Staaten erheblich geschrumpft. Schon unter Obama stellten sie sich an die Seite Indiens und versuchen zu verhindern, dass sich ihr neuer Partner China annähert. Unter Narendra Modi ist dies auch nicht zu befürchten: Um von den Problemen daheim abzulenken, spielt Modi gegenüber Peking den "starken Mann".

China und Indien

China hat kein Interesse an einem eskalierenden Konflikt mit Indien - es braucht den indischen Markt für seine Exporte. Derzeit gibt es jedoch Konflikte um Grenzregionen wie Aksai Chin. Indien betrachtet die Region als Teil des autonomen Bundesstaats Jammu und Kaschmir, nach chinesischer Auffassung gehört sie zum Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang. Für Indien ist die abgelegene Himalayaregion strategisch bedeutungslos, doch China braucht sie für eine Straße im Rahmen des CPEC, was wiederum Indien nicht gefällt.

Peking will auch Afghanistan in das Projekt Seidenstraße einbinden. Dass die pakistanische Armee weiterhin in Afghanistan und Indien Konflikte schürt, läuft den chinesischen Plänen zuwider.

Zudem engagiert sich Indien seit Jahren mit Milliarden von US-Dollar in Afghanistan, um den von Islamabad gesponserten Extremisten das Land nicht völlig zu überlassen.

Bis jetzt konnte Peking im Hintergrund in aller Ruhe seine Karten in Sachen Seidenstraße ausspielen, doch nun stehen sie im Rampenlicht und die anderen wissen, was sie mit Pakistan vorhaben (vgl. China kauft Pakistan).

Nun muss China zeigen, dass die Volksrepublik fähig ist, die USA in diesem Teil der Erde als neue Ordnungsmacht abzulösen. Aber dafür reichen geniale wirtschaftliche Schachzüge alleine nicht mehr aus: In Pakistan lassen sich zwar selbst extreme religiöse Führer kaufen, aber das Problem ist, dass ihre Anhängerschaft den Fanatismus selbst schon inhaliert hat und dem nachläuft, der am radikalsten lügt. Krieg ist gegen das Atomwaffenland Pakistan ohnehin keine Option. Jetzt trägt Peking die Verantwortung für die Zeitbombe Pakistan und für eine Armee, die das Land bestiehlt.