Pakistan: Zur Begrüßung der heimkehrenden Bhutto ein Anschlag
Die ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto ist nach Pakistan zurückgekehrt und schickt sich an, zum dritten Mal als Premierministerin zu kandidieren. Ob sie das darf, ist rechtlich umstritten - genauso wie die ihr vom Präsidenten-General Musharraf gewährte Amnestie
Es war nicht das erste Mal, dass Benazir Bhutto mit großem Tamtam aus dem Exil zurückkehrte: Vor rund 21 Jahren war die Tochter des 1979 auf Befehl des damaligen Militärmachthabers Zia ul-Haqq ermordeten pakistanischen Politikers Zulfikar Ali Bhutto schon einmal mit einem Triumphzug in ihre Heimatstadt Karachi eingezogen. Als der Militärdiktator 1988 bei einem Flugzeugabsturz starb, wurde Bhutto 1988 zum ersten Mal zur Premierministerin des Landes gewählt – und nach 20 Monaten aufgrund von Korruptionsvorwürfen des Amtes enthoben.
Aus den gleichen Gründen war auch ihrer zweiten Amtszeit von 1993-96 ein vorzeitiges Ende beschieden. Nun will es die 54-Jährige noch einmal versuchen. Pakistan sei heute an einem Scheideweg, der eine Weg führe zur Diktatur, der andere zur Demokratie. Ihre Anhänger wollten ein moderates und modernes Land. Es wäre ihr eine Ehre, wieder ihrem Volk zu dienen, betonte sie vor ihrem Abflug nach Karachi am Donnerstag der vergangenen Woche.
Zuhause angekommen bereiteten über 200.000 Anhänger ihrem Autokorso einen triumphalen Empfang. In den Tagen zuvor hatten Kader ihrer Pakistanischen Volkspartei (PPP), deren Vorsitz Bhutto gemäß der in Südasien weitverbreiteten Parteigepflogenheiten auf Lebenszeit inne hat, Gefolgsleute selbst aus dem pakistanischen Teil Kashmirs und dem Punjab in Bussen und auf LKWs herankarren lassen. In der Nacht zu Freitag ereigneten sich dann an der Route zwei Explosionen, davon eine in unmittelbarer Nähe des gepanzerten Transporters, den Bhutto benutzte. Mindestens 135 Menschen starben, rund 550 wurden verletzt. Vermutlich handelte es sich um Selbstmordanschläge.
Neben den Sicherheitskräften, welche die ursprünglich geplante Route vom Flughafen zum Mausoleum des Staatsgründers Ali Jinnah mit Containern absperrten und stundenlang mit Militärhubschraubern über der Stadt kreisten, patrouillierten auch mehrere Tausend bewaffnete Ordner der PPP durch Karachis Straßen. Im Mai war es zu schweren Zusammenstößen in der Hafenstadt gekommen, als oppositionelle Demonstranten von Anhängern des Musharraf nahe stehenden Muttahida Quami Movement (MQM) angegriffen wurden, damals starben auch 15 PPP-Anhänger. Außerdem hatte es aus dem Umfeld der al-Kaida Todesdrohungen gegen Bhutto gegeben. Dass es trotz aller Vorkehrungen zu den Bombenanschlägen entlang des Konvois kam, bestätigt den Ernst der Drohungen, kann aber zynischer Weise Bhutto bei ihrer Positionierung als politische Gegenkraft zu den Islamisten nützen.
Alte Feindschaften und neue Freundschaften
Jahrelang hatte Bhutto aus ihrem Exil in London und Dubai eine Doppelstrategie gefahren. Einerseits kritisierte sie scharf die Politik des Putschisten Musharraf, anderseits pflegte sie weiterhin ihre politische Feindschaft zu ihrem ehemaligen Nachfolger als Premierminister Nawaz Sharif von der Pakistanischen Muslimliga (PML). Als sich aufgrund der innenpolitischen Spannungen und des zunehmenden offenen Protests im Frühsommer dieses Jahres die Gelegenheit zu einem Deal mit Musharraf eröffnete, streckte Bhutto ihre Fühler aus.
Nachdem sich die Anzeichen einer Kooperation der beiden verstärkten, versuchte Sharif der Heimkehr seiner Intimfeindin zuvorzukommen – allerdings wurde seine Heimkehr am 10. September zum Fiasko: Anstelle des Triumphzuges erwartete ihn nach vier Stunden die Abschiebung nach Saudi-Arabien. Zunehmend rege steht er mit dem religiösen Bündnis der Muttahida Majlis-e-Amal (MMA) in Kontakt, das nicht erst seit der Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad (Muscharraf räumt auf..) den Konflikt mit der Regierung sucht.
„Ich glaube, dass Benazir Bhutto in der Falle sitzt. Sie hat die Situation missverstanden“, sagte der pakistanische Journalist Ahmed Rashid am Mittwoch in einem Interview. Zwar habe sie mit der PPP die größte Partei hinter sich, jedoch sei die mögliche Wählerschaft für die Parlamentswahl im Januar 2008 aufgrund der Abmachung mit Musharraf zerrissen. Auch sei es unklar, ob sich der General an eine Machtteilung halten würde, was auch bedeutete, den Einfluss des Militärs in Pakistan wieder zu begrenzen. Dafür gäbe es aber keinerlei Anzeichen: „Tausende von ihnen sitzen auf hohen Posten in den Universitäten, den Banken, den Unternehmen.“
Bhutto pokert hoch, denn die Regierung hatte sie gebeten, mit ihrer Heimkehr zu warten, bis das Oberste Gericht sein Urteil zur Präsidentschaftswahl vom 6. Oktober fällt. Der Ende Juli wieder eingesetzte Oberste Richter Iftikhar Chaudhry hat dazu weitere Anhörungen angesetzt. Eine der Hauptstreitpunkte ist dabei, ob Musharraf in seiner doppelten Funktion als Oberkommandierender der Armee und Präsident überhaupt kandidieren durfte. Zwar lag die Zustimmung für die weitere fünf Jahre währende Amtszeit des Präsidenten bei über 90 Prozent der Wahlmänner aus dem Ober- und Unterhaus sowie den fünf Regionalvertretungen, jedoch hatten viele oppositionelle Politiker die Wahlgänge boykottiert. Musharraf hatte im Vorfeld angekündigt, dass er Mitte November im Falle seines rechtmäßigen Sieges vom Armeeposten zurücktreten will. Sollte das Oberste Gericht aber gegen ihn entscheiden, ist durchaus eine Ausrufung des Notstands denkbar.
Bislang scheint der General noch auf Ablenkungsmanöver statt offene Drohungen zu setzen. Ob sich die Obersten Richter jedoch von den angebotenen Rückzugsabsichten Musharrafs durch die Einsetzung des ehemaligen Leiters des militärischen Geheimdienstes ISA, Ashfaq Parvez Kayani, als neuen Vizegeneralstabschef Anfang Oktober überzeugen lassen, scheint fraglich.
Bhutto selbst hatte ihre Zusammenarbeit bisher an drei Forderungen geknüpft: Erstens eine Amnestie wegen der Korruptionsvorwürfe – dazu hat Musharraf am 5. Oktober ein Gesetz unterzeichnet, das wiederum der Oberste Gerichtshof auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen will. Ihre beiden anderen Forderungen nach der Aufhebung des Verbots einer Kandidatur ehemaliger Premierminister für eine dritte Amtszeit und dem Wegfall des Rechts des Präsidenten auf Parlamentsauflösungen wurden bisher nicht erfüllt. Trotzdem ist sie heimgekehrt. Vielleicht auch im Vertrauen auf ihren international guten Stand, da sie in den Augen vieler westlicher Regierungen eher für einen aufgeklärten Islam steht. Dass sie dereinst eine Förderin der Taliban in Afghanistan war und unter anderem in Polen und der Schweiz wegen Korruptionsäffären zahlreiche Beweise gegen sie und ihr Umfeld ermittelt wurden, wird dabei anscheinend nur zu gerne verdrängt.
Gewinner und Verlierer
Bei näherer Betrachtung der pakistanischen Gesellschaft und Parteienlandschaft ergibt sich ein stark fragmentiertes Gebilde aus Einzelinteressen entlang von ethnischen, gesellschaftlichen und religiösen Konfliktlinien. So stellt die aus einer im Sindh beheimateten Großgrundbesitzerfamilie stammende Bhutto nicht nur eine aus Machtkalkül mit dem General anbändelnde, verhinderte Demokratin mit eher säkularer Einstellung dar, vielmehr zeigt sich an ihrem Handeln ein für Pakistan typisches Verhaltensmuster von Vertretern der Eliten, denen es vorrangig um die Wahrung und Durchsetzung ihrer persönlichen Interessen geht. Die Parteien gelten dabei häufig als Mittel zum Zweck. Ganz ähnlich verhält es sich bei dem aus dem Punjab stammenden Nawaz Sharif, Spross einer einflussreichen Industriellenfamilie.
Das trotz aller innenpolitischen Probleme anhaltende Wirtschaftswachstum kommt bisher nur der Oberschicht und bestimmten Teilen der Mittelschicht zugute. Immerhin bildet sich in letzter Zeit eine Art pakistanische Zivilgesellschaft heraus, hierbei sei an die Anwaltsproteste gegen die Absetzung des Obersten Richters Chaudhry im Frühjahr erinnert, jedoch hat dies noch keine Breitenwirkung gezeigt und dabei handelt es sich um Einzelgruppen mit starken Partikularinteressen. Trotzdem wäre eine Unterstützung solcher Kräfte, die sich insbesondere der allgegenwärtigen Korruption und dem omnipräsenten Einfluss des Militärs entgegenstellen, durch das westliche Ausland angebracht. Dies findet aber bisher nicht statt, stattdessen setzt man (noch) auf alte Bekannte, insbesondere in Zeiten des islamistischen Terrors.
Eines der Grundprobleme Pakistans dürfte die geringe Alphabetisierung großer Teile der Bevölkerung sein, nur die Hälfte der über 165 Mio. Einwohner können Lesen und Schreiben. Solange sich dies nicht ändert, werden die bestehenden Patronagesysteme nicht durchbrochen werden können. Während viele Menschen anfällig für Verschwörungstheorien, radikale Thesen usw. sind, werden mit Hilfe westlicher Kredite Milliarden US-Dollar in Waffensysteme und den „Anti-Terrorkampf“ gesteckt. Gleichzeitig ist das pakistanische Bildungssystem kollabiert. Für viele Eltern stellen die radikalen Koranschulen die einzige Alternative dar, wenn sie ihren Kindern zumindest etwas Bildung ermöglichen wollen. Diese Probleme sind jedoch für viele pakistanische Politiker, Militärs und Bürokraten eher drittrangig – auch wenn es für Unvermögen und Ignoranz keine Amnestie gibt.