Muscharraf räumt auf..
..und al Qaida droht
Heute werden in Pakistan die Toten der Kämpfe um die Rote Moschee (vgl. Mudschahedin gegen Muscharraf) begraben. Indessen suchen auf dem Gelände der Moschee in Islamabad noch immer Menschen nach ihren Angehörigen. Einen Tag, nachdem die pakistanischen Sicherheitskräfte das Ende der „Operation Silence“ (vgl. Dschihad in der Roten Moschee) erklärt haben, sind noch viele Fragen offen. Etwa ob der Sieg, den die Regierung gestern erklärt hatte, nicht ein Phyrrussieg ist.
Es werde noch „aufgeräumt“- mit dieser Begründung soll die pakistanische Regierung heute den Medien den Zugang zum Gelände verwehrt haben. Die offiziellen Zahlen, 73 Tote („Militante“) innerhalb des Moscheegeländes und zehn Soldaten, sind erstaunlich niedrig - angesichts der schweren Kämpfe um die rote Moschee und vor allem angesichts der zuvor genannten mehreren Hundert Koranschüler, die in dem großen Gebäudekomplex vermutet wurden.
Die pakistanische Zeitung Frontier Post berichtet in der heutige Ausgabe von 500 Toten, „Leichen von weiblichen und männlichen Koranschülern“, und beruft sich dabei aber auf ungenannte unabhängige Quellen. Ähnlich gerichtete Spekulationen finden sich auch in anderen pakistanischen Medien, die sich auf Zeugenaussagen berufen:
A witness, who had access to the two buildings, told Dawn of having seen piles of bodies lying on the floors.
A promised media trip to the site was put off for a day, fuelling speculation that the government was buying time to remove some telltale signs.
Dawn
Da Präsident Musharraf bislang in den Popularitätsraten von seinem Vorgehen in der Krise profitierte, der Erfolg der Operation aber auch wesentlich davon abhing, dass es möglichst wenig Opfer unter den Koranschülern geben würde, ist der Verdacht, dass die Regierung versucht, das Ergebnis der Kämpfe zu beschönigen, nicht ganz ohne Fundament.
Doch nicht nur über die Zahl der Toten wird spekuliert, sondern auch über den letzten Anlass zum Kampf. In der Nacht zum Montag vor Beginn der kämpferischen Aktionen soll eine Abordnung aus geistlichen Würdenträgern und Politikern mit Abdul Raschid Ghazi, dem Sprecher jener, die sich in der Moschee verschanzt hatten, lange verhandelt haben. In manchen Berichten wird nahegelegt, dass es die Regierung gar nicht auf Verhandlungen angelegt habe, sondern (abgesehen von einer bedingungslosen Kapitulation) nur auf die miltärische Lösung setzte. Die überlieferten letzten Worte des getöteten stellvertretenden Leiters der Moschee, Abdul Raschid Ghazi, sollen diese Annahme stützen: „[...] Just as they achieved their goal with trickery in Wana, Waziristan, so they did with me here [...]“
Man muss den nicht unplausiblen Annahmen und Spekulation nicht folgen, wonach das Drama um die Rote Moschee maßgeblich inszeniert war - eine „Manipulation des pakistanischen Geheimdienstes“, wie es nicht nur der renommierte Pakistanexperte Ahmad Raschid in der Süddeutschen Zeitung vermutete -, um zu deutlich zu sehen, dass hier von etwas Obskurem abgelenkt wurde: Dass nämlich einiges im Verhältnis der pakistanischen Regierung zu den radikalen Kräften der Roten Moschee nicht ganz so sauber ist, wie man das jetzt nach außen darstellen will. Immerhin benötigte die Regierung Muscharraf mehrere Monate, bis sie den islamistischen Forderungen, die aus der Moschee kamen, Grenzen setzte.
Die Moschee befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Regierungsgebäuden; man wusste also Bescheid über den Geist, der dort herrschte und ließ ihn gewähren, vielleicht weil das auch politisch opportun war. Das hatte eine gewisse Tradition: Seit den achtziger Jahren, als viele Koranschulen errichtet wurden, kooperieren pakistanische Regierungen bzw. der Geheimdienst mit radikalen islamistischen Kräften, um auch über diese Kanäle Einfluss auf die Verhältnisse im Nachbarland Afghanistan auszuüben.
Diese ambivalente Haltung gegenüber jenen Kreisen, aus denen sich traditionellerweise die Mudschahedin rekrutieren, ist für Musharraf nach der Operation Silence schwieriger geworden. Gleichzeitig gewinnen die radikalen Stimmen durch die Operation Silence wieder an Lautstärke, wie unter anderem die Trittbrettfahrer Nr. 1 bei solchen Weltöffentlichkeitsanlässen, al- Qaida, mit aktuellen Drohungen an Muscharraf unter Beweis stellen.