Paktiert die katalanische Regierung tatsächlich mit Moskau und Rechtsextremen?
ARD-Bericht behauptet, katalanische Regierung erhalte Geld von Moskau und sei rechtsoffen. Was dort komplett fehlt, nun bei Telepolis: die Sicht Kataloniens.
Die ARD hat in Zusammenarbeit mit der spanischen Zeitung El Periódico und der US-Organisation OCCRP kürzlich eine Enthüllungsstory lanciert, wonach die katalanische Unabhängigkeitsbewegung in intensivem Kontakt mit Russland gestanden haben soll.
Der Bericht, in voller Schärfe aufgegriffen etwa vom Tagesspiegel, legt vom Wortlaut eine Finanzierung der Katalanen aus Moskau und ihre Sympathie für rechtsextreme Bewegungen nahe und hatte sogar eine Resolution des Europäischen Parlaments zur Folge, die Angelegenheit näher zu untersuchen.
Er basiert vor allem auf Materialien eines spanischen Untersuchungsrichters. Obwohl die Quellen damit staatliche Stellen Spaniens sind, erklärte Gegner einer katalanischen Autonomie, fehlt in den Beiträgen eine Stellungnahme der Betroffenen.
Telepolis hat über die Vorwürfe mit Krystyna Schreiber gesprochen. Sie ist offizielle Vertreterin der Regierung von Katalonien in Mitteleuropa.
Sie haben in einem Interview 2020 ausgesagt, Beziehungen zu Russland hätten in der katalanischen Politik gar keine Priorität. Hat sich das seitdem geändert? Ist Russland jetzt ein Verbündeter Katalonien?
Krystyna Schreiber: Der natürliche Rahmen für internationale Beziehungen der katalanischen Regierung ist die Europäische Union, und die katalanische Regierung positioniert sich vollständig auf der Linie der europäischen Institutionen.
Und wie ist Ihr Verhältnis zu Russland?
Krystyna Schreiber: Sowohl der katalanische Präsident Pere Aragonès als auch Außenministerin Meritxell Serret haben in den letzten Jahren die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine nachdrücklich verurteilt. Die katalanische Regierung hat sich darauf konzentriert, dem ukrainischen Volk zu helfen, sei es durch Hilfseinrichtungen vor Ort oder durch die direkte Aufnahme von Flüchtlingen.
Jeder Versuch, die aktuelle katalanische Regierung mit Russland in Verbindung zu bringen, dient nur dazu, Lärm zu machen. Die Regierung von Pere Aragonès hat nie etwas mit Russland oder dem Umfeld Putins zu tun gehabt. Wir sind uns über die Wahl unserer Partner sehr im Klaren, und diese Art von Partnern stehen nicht auf der Liste.
Die Tagesschau spricht nun von einer Finanzierung der Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens in Höhe von 425.000 Euro, die aus Moskau von russischen Geschäftsleuten stammen soll. Können Sie uns dazu etwas sagen?
Krystyna Schreiber: Ich insistiere, ich habe keinerlei Kenntnis über diese angebliche Finanzierung. Diese Regierung hat keine Beziehungen zu Russland.
Die Recherche der Tagesschau gründet sich auf "Chatprotokolle zwischen engen Beratern Puigdemonts", dem früheren Präsidenten der katalanischen Autonomieregierung. Diese habe die ARD von einem spanischen Ermittlungsrichter bekommen. Was schätzen Sie die Beweiskraft dieser Unterlagen ein?
Krystyna Schreiber: Ich kann nicht für andere sprechen, sondern nur für die derzeitige Regierung von Pere Aragonès. Jede Bezugnahme auf die Partei "Junts" oder auf Präsident Puigdemont besprechen Sie bitte mit ihm.
Unsere Position ist eindeutig: Die Regierung von Pere Aragonès hat keinerlei Kontakte zu Russland und auch nicht zum Umfeld Putins unterhalten.
Ich möchte noch einen Gedanken hinzufügen, um all diese Informationen in einen Kontext zu bringen. Diese Informationen erscheinen in der Öffentlichkeit zu einer Zeit, in der in Spanien aufgrund des gravierenden Vorfalls von Cyberspionage, der sich in der Europäischen Union ereignet hat, eine höchst angespannte Situation herrscht: die Überwachung von 65 katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern in verschiedenen europäischen Ländern durch die spanischen Behörden mit der Software Pegasus.
Die spanische Regierung hat trotz wiederholter Aufforderungen durch die katalanische Regierung und die europäischen Institutionen noch keine ausreichenden Erklärungen dazu abgegeben. Es handelt sich um einen eklatanten Verstoß gegen die politischen Rechte und die Grundrechte, doch die spanischen Behörden handeln weder transparent noch übernehmen sie Verantwortung.
Und noch ein weiterer Kommentar zum aktuellen Kontext: Der von Ihnen zitierte Richter greift diesen Fall der angeblichen russischen Verschwörung im Unabhängigkeitsprozess genau einen Tag vor der Verabschiedung des Amnestiegesetzes im spanischen Parlament auf.
Es ist ungewöhnlich, dass sich ein Richter öffentlich äußert. Angesichts der Repressionen, die in den letzten Jahren in Katalonien stattgefunden haben, sind diese Details, die für manche überflüssig erscheinen mögen, von hoher Bedeutung.
Hat Sie jemand bei diesem Bericht vor der Veröffentlichung kontaktiert?
Krystyna Schreiber: Die Regierung weiß über die von den Medien veröffentlichten Informationen, die Katalonien mit Russland in Verbindung bringen, Bescheid, hat aber weder eine Anfrage von irgendeiner Behörde oder Organisation erhalten, noch wurde sie anderweitig diesbezüglich in Kenntnis gesetzt.
Die katalanische Regierung hat nichts zu verbergen, und wir würden uns auch nicht gegen eine Untersuchung in dieser Angelegenheit wehren. In jedem Fall sollte mit Nachdruck betont werden: Die derzeitige Regierung Kataloniens unter dem Vorsitz von Pere Aragonès hatte und hat keinerlei Beziehungen zu Russland oder seinem Umfeld.
Die Tagesschau zitiert die Münchner Professorin Franziska Davies, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung verherrliche rechtsextreme Ideologie. Wie ist denn Ihre Position zum europäischen Rechtsextremismus?
Krystyna Schreiber: Die Position dieser Regierung gegenüber dem Rechtsextremismus ist auch sehr klar: Sämtliche Hassreden, fremdenfeindlichen und populistischen Diskurse müssen bekämpft werden, sie beeinträchtigen das Zusammenleben und den sozialen Zusammenhalt.
Sowohl Präsident Aragonès als auch Ministerin Serret haben diese Woche in Brüssel mit vier EU-Kommissaren darüber diskutiert, dass der Aufstieg der extremen Rechten eine der wichtigsten Tendenzen ist, die es bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni zu bekämpfen gilt.
Die katalanische Regierung ist sich darüber im Klaren, dass die wichtigsten globalen Herausforderungen, die auch europäische sind, gelöst werden können, indem man fortschrittlichen politischen Optionen den Vorzug gibt, die den sozialen Zusammenhalt und die Menschen in den Mittelpunkt stellen und die sich für eine Europäische Union mit mehr sozialer, grüner und feministischer Gerechtigkeit einsetzen. Das ist der Weg, für den sich die katalanische Regierung einsetzt.
In Deutschland gab es in jüngster Zeit wenig Meldungen über die politische Situation in Katalonien. Hat sich die Situation vor Ort beruhigt oder hat das einen anderen Hintergrund?
Krystyna Schreiber: Es ist klar, dass das Medieninteresse in den letzten Jahren sehr stark auf Katalonien gerichtet war. Jetzt stehen wir dank der Verhandlungen vor einer Phase, die uns zu einer Lösung des politischen Konflikts führen sollte.
Mit dem Amtsantritt der spanischen Regierung von Pedro Sánchez war Katalonien wieder in den Nachrichten, weil es den Unabhängigkeitsbefürwortern endlich gelungen ist, das Amnestiegesetz voranzubringen.
Welche Rolle spielt dieses nun zunächst gescheiterte Gesetz?
Krystyna Schreiber: Wir halten die Amnestie für ein absolut notwendiges Instrument, um den politischen Konflikt in die Politik zurückzuholen und den Gerichten zu entziehen. In Katalonien gibt es Tausende von Menschen, die Opfer von politischer Repression sind.
Eine Repression, die vielfältige Formen annimmt: Gefängnis, Exil, juristische und wirtschaftliche Verfolgung, Amtsenthebung oder Spionage mit Pegasus. Und das alles nur, weil sie ein Referendum über die Selbstbestimmung abgehalten oder friedlich demonstriert haben.
Kein Terrorismus, keine Korruption. So steht es auch in vielen Berichten des Europarats. Alles nur, weil sie ihre Grundrechte rechtmäßig ausgeübt haben.
Daher soll die Amnestie, ein legales, legitimes und international anerkanntes Instrument zur Konfliktlösung, es ermöglichen, Menschenrechtsverletzungen zu beheben und eine neue Phase für die Lösung des politischen Konflikts einleiten. Eine neue Chance, voranzukommen.
Die Rückkehr der Politik zur Politik.
Frau Schreiber, vielen Dank für dieses Gespräch
Krystyna Schreiber (47) ist die Vertreterin der Regierung von Katalonien in Mitteleuropa und residiert in Wien. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin ist in Dresden aufgewachsen und engagierte sich ab 2012 in gesellschaftlichen Organisationen in Katalonien. Seit 2019 übt sie ihr Amt als Delegierte aus und vertritt das Land in den Beziehungen zu Österreich, Ungarn, Tschechien und die Slowakei.