Palmemord: "Perfekter Humus für Verschwörungstheorien"

Olof Palme 1985. Bild: Pagania62/CC BY-3.0

Die schwedischen Ermittler präsentieren mit dem ehemaligen Versicherungsangestellten Stig Engström den mutmaßlichen Mörder von Olof Palme. Doch die meisten Experten halten die Beweislage für zu dürftig

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Wir kommen nicht herum, auf einen verdächtigen Täter zu weisen und diese Person ist Stig Engström, der sogenannte Skandiamann", erklärte der Staatsanwalt Krister Petersson auf der digitalen Pressekonferenz am Mittwoch, auf die man hingefiebert hatte.

Engström, bekannt als "Skandiamann", da er bei der gleichnamigen Versicherung als Grafiker wirkte, soll vor 34 Jahren Olof Palme, den damaligen Premierminister Schwedens, erschossen haben. Er kann jedoch nicht mehr angeklagt werden, er nahm sich vor zwanzig Jahren das Leben.

Die Ermittlungen zu einem der berühmtesten Mordfälle des 20. Jahrhunderts sind somit offiziell abgeschlossen, doch viele Fragen bleiben, und von Journalisten, aber auch Politikern und Juristen hagelte es unmittelbar nach der Konferenz Kritik. "Reinfall" war das häufigste Wort, da es zu wenige neue Fakten gegeben habe.

Sicher ist: Olof Palme starb mit 59 Jahren am 28. Februar 1986 um 23.21 Uhr in Stockholm durch einen Schuss in den Rücken. Er wollte mit seiner Frau Lisbeth nach einem Kinobesuch auf der Hauptverkehrsstraße Sveavägen nach Hause laufen; Lisbeth Palme wurde durch einen zweiten Schuss an der Schulter leicht verletzt. Der Mörder rannte sogleich weg und spurtete die 89 Treppenstufen der Straße Tunnelgatan hinauf, wie Zeugen berichteten, und verschwand.

Die Tat stürzte Schweden in ein Trauma, der sozialdemokratische Politiker war ein Charismatiker, den viele liebten und auch nicht wenige hassten - oft für die gleichen Gründe: für sein unschwedisch lautes Selbstbewusstsein, seine Einwanderungspolitik, die hohen Steuern, den "demokratischen Sozialismus", seine provozierende Außenpolitik.

Viele Tatmotive gab es somit und viele sogenannte "Spuren" - die Polizei selbst, das Apartheidregime in Südafrika, die kurdische PKK, sowie Chris Petersson, ein verhaltensgestörter Drogensüchtiger, der verwirrenderweise fast genauso heißt wie der aktuelle Ermittler. Ihn wollte Lisbeth Palmer als Täter erkannt haben wollte. !Insgesamt 22.430 Hinweisen wurde nachgegangen", sagte Hans Merlander, der polizeiliche Ermittler auf der Pressekonferenz.

Dabei tanzte Stig Engström der Polizei und den Medien lange vor der Nase herum. Der damals 52-jährige tauchte kurz nach dem Mord auf, bot der Polizei Hilfe an, erzählte später Widersprüchlichkeiten. So behauptete er fälschlicherweise, mit Lisbeth Palme am Tatort gesprochen zu haben, auch behauptete er, den Täter weglaufen gesehen zu haben, in eine blaue Steppjacke gekleidet. Eine Person, die aussah wie Engström (Kappe, langer Mantel) wurde später in der Polizeizeichnung als Täter gezeigt. Bis 1992 trat er gelegentlich gegenüber den Medien als Zeuge des Geschehens auf, die Polizei hatte schon Anfang 1987 kein Interesse mehr an ihm. Heute wird sein aufdringliches Verhalten als Verhöhnung der Polizei von Petersson bewertet.

Die Täter-Theorie der Ermittler bezieht sich auf die Widersprüche in seinen Aussagen, seine Beschreibung widersprach anderen Zeugen, eine Personen- und Kleiderbeschreibung von Zeugenaussagen würde hingegen nur auf den "Skandiamann" zutreffen. Der Staatsanwalt wies zudem darauf hin, dass der Grafiker sich in Palme-feindlichen Kreisen aufgehalten hatte und sein befreundeter Nachbar ein Waffensammler und Rechtsradikaler gewesen war. Dieser soll auch eine Smith&Wesson besessen haben, mit der Palme erschossen wurde. Die Tatwaffe wurde jedoch, entgegen zu Vormeldungen in den Medien, von den Ermittlern nicht gefunden.

Doch wer war Stig Engström eigentlich? Geboren wurde er 1934 in Bombay, seine ersten zwölf Jahre verbrachte er in Indien, da sein Vater als Ingenieur dort tätig war, später kehrt die Familie nach Schweden zurück. Nach einer Zeit beim Militär lässt er sich als Grafiker ausbilden und arbeitet dann beim "Sveriges Radio", ab Ende der 1960er Jahre bei der Versicherung "Skania". Er soll ein Alkoholproblem und finanzielle Probleme gehabt haben, da er über seine Verhältnisse gelebt habe, so Petersson. Wegen seiner Trunksucht ließ sich seine zweite Frau 1999 scheiden, er starb ein Jahr später, hier gibt es die Angaben Lungenkrebs oder Suizid.

Seine Ex-Frau wie sein weiteres persönliches Umfeld hält ihn nicht für eine solche Tat fähig. Ein Nachbar beschreibt ihn als "kleinen Snob", der gerne wichtig tat, etwas gefallsüchtig, aber auch sehr leutselig, er habe gerne ein Gespräch angefangen, gleichzeitig wirkte er unsicher.

Die Debatte geht weiter

Petersson, der seit 2017 die Ermittlungen leitet, ein bescheiden wirkender Mann mit Kassengestellbrille und einer Vorliebe für abgetragene Pullis, der ein wenig wie der Staatsepidemiologe Anders Tegnell wirkt, hat sich bald auf die Person Engströms konzentriert und seinen Verdacht in Interviews angedeutet. Doch zu Ende ist das Rätselraten um den Palmemord nicht, das gestand er selbst: "Ich weiß, dass die Debatte weiter gehen wird, da wir keine technische Beweisführung haben."

Und, richtig, die Debatte ging sofort weiter. "Diese Pressekonferenz war ein kolossaler Reinfall", schimpfte der weißbärtige Leif GW Persson im Fernsehen. Persson, Ex-Polizist, Kriminologie-Professor, Krimiautor, gilt als der ungekrönte König der Palmemord-"Privatermittler". Der Staatsanwalt habe überhaupt keine neuen Beweise geliefert", so der 75-Jährige.

Persson hält den "Skandiamann" nicht für den Täter. Er sei ein Gegner Palmes gewesen, jedoch nicht durch extreme Ansichten aufgefallen und als Lokalpolitiker der bürgerlichen Moderaten in seinem Stockholmer Vorort Tärby mit Schulproblemen befasst gewesen. Zudem habe er zu spät in dem Versicherungsgebäude ausgestempelt - um 23.19 und danach noch ein wenig mit einem Pförtner gesprochen. Somit hätte er kaum Zeit für den Mord 50 Meter entfernt von "Skania" gehabt.

Auch äußerte sich der Kriminologe Leif GW Persson, dass das Ermittlungsergebnis "den perfekten Humus für Verschwörungstheorien" abgäbe.

Der Zeuge Lars Jeppson, der allein von den Ermittlern aufgeführt wurde, hält es von der äußeren Erscheinung her für wahrscheinlich, dass es Engström gewesen war.

Auf der anderen Seite widersprechen hier Leif Ljungqvist und der ehemalige Taxifahrer Hans Johansson, die ebenfalls als Zeugen verhört wurden, welche damals den Täter gesehen haben wollen. Zudem bestätigen sie, dass der Täter eine blaue Steppjacke trug und ohne Kopfbedeckung war, so wie es Engström beschrieb, andere Zeugen jedoch bestanden darauf, eine Kappe gesehen zu haben, wie sie Engström trug. Der Täter sei größer gewesen als der 1,82 Meter große Engström, athletisch gebaut und mit weitausholenden Schritten gerannt. Engströms Art zu rennen, demonstrierte er in einer Fernsehsendung, bei der er zeigte, wie er dem Täter hinterhergeeilt sei.

Ob Engström damals sportlich genug war, die 89 Stufen zur erhöhten Straße Malmskillnadsgatan hochzusprinten und dann wenige Minuten später unverschwitzt am Tatort als Zeuge zu erscheinen, ist sicher eine wichtige Frage, die sich heute nicht mehr klären lässt.

Es wird weiter an der "Polizeispur" festgehalten

Eine Schwachstelle ist auch ein fehlender DNA-Beweis, worauf Journalisten hinwiesen, aber auch der ehemalige Justizminister Thage Petersson. "Schließt nicht die Tür für diejenigen, die noch weiter arbeiten wollen", appellierte der Sozialdemokrat gegenüber der liberalen Zeitung "Svenska Dagbladet".

Der heute 86-Jährige verwies auch darauf, dass es damals innerhalb der schwedischen Polizei kein Interesse gegeben habe, den Mörder zu fassen, sie hätten vielmehr dem Justizministerium geschadet, das er geleitet hatte. Ein Verweis auf die "Polizeispur", die Theorie, dass rechtsgerichtete Kräfte innerhalb der Sicherheitsbehörden die Tat ausführten oder koordinierten. "Hierzu findet man nichts Konkretes", erklärte der Polizist Hans Merlander dazu am Mittwoch knapp.

Doch vor der Tat wurden Personen in Zivil mit Walkie-Talkies gesichtet, die teils als Polizisten identifiziert wurden, darunter Mitglieder der "Baseballliga", die ihre rechtsradikale Gesinnung mit dem Verprügeln von Andersdenken zum Ausdruck brachten. Polizeichef Hans Holmér, der als erster die Ermittlungen leitete, in der viele Pannen vorkamen, war Gründer dieser Gruppierung (Ein Mord und seine Theorien).

Der anstehende Moskau-Besuch Palmes am ersten März 1986 veranlasst ebenfalls zu Spekulationen um ein Komplott. Auch gibt es Stimmen, die auf die Südafrika-Spur verweisen, welche weiter verfolgt werden sollte - Schweden machte sich bei dem Apartheidsregime mit der Finanzierung des ANC recht unbeliebt.

Interessant ist auch die Aussage von Gro Harlem Brundtland, zur Tatzeit norwegische Regierungschefin. Ihr habe Palme im Januar 1986 anvertraut, dass er sich verfolgt und beobachtet fühle.

Olof Palmes Sohn Marten glaubt jedoch an die Schuld des "Skandiamannes", Premierminister Stefan Löfven nannte das Ergebnis diplomatisch: "Einen Schritt weiter Richtung Wahrheit."

Um dieses Bild zu gebrauchen - wenn man von der Täterschaft Engströms ausgeht - fehlen noch folgende Schritte: die Mordwaffe, das Motiv, war Engströms Abneigung gegenüber Palme wirklich so stark, eine DNA-Spur oder ein anderer faktischer Beweis, war es wirklich eine Einzeltat, was tat Engström zwischen 23.19 und 23.40?

Das bisherige Ergebnis ist für den Teil der schwedischen Öffentlichkeit, welcher traditionell großes Vertrauen in Staat und Behörden hat, dennoch relativ beruhigend. Ein Einzeltäter, keine staatliche Verschwörergruppe im Hintergrund, wenn dies von Petersson auch nicht ausgeschlossen wird.

Für den kritischeren Teil der Schweden bleiben sowohl die Wunde wie auch viele Fragen offen. Die vielen privaten Palme-Ermittler werden nun kaum in den Ruhestand treten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.