Pandemischer Hass: Worte wie Angriffswaffen
Seite 2: Hatespeech: Gegenprogramme und Anerkennung
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Das Jahrtausendphänomen Hass aus der Sprache selbst verbannen zu wollen, ist kein erfolgversprechender Weg. Die Lösungsversuche sollten im Zentrum des gegenwärtigen digitalen Sprachmarktes ansetzen, dort, wo die Worte gewichtet, gewertet und nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage ausgetauscht werden: Im Netz und insbesondere in den Social Media, dort, wo die sprachliche Ordnung vielfach bereits durch systematischen Wortmissbrauch, umgewertete Bezeichnungen und verfälschte Kommunikationscodes nachhaltig gestört wurde.
Langfristig wäre daher die Investition in umfassende politische Bildung eine der wirksamsten Präventivmaßnahmen gegen Hassreden, da sie diese geistig-kulturell aushöhlt und zum Erliegen bringt. Mittelfristig wären weitere behutsame gesetzliche Regelungen im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes sowie des kommenden Digital Services Act der EU und vor allem deren effiziente Kontrolle wünschenswert.
Dabei erscheint die Zuhilfenahme von Algorithmen, die darüber entscheiden, wo etwa Sarkasmus endet und Hassrede beginnt, problematisch. Kurzfristig könnte die Vorbildfunktion aller jener Menschen wirksam sein, die als gesellschaftliche Multiplikatoren gegen Hassreden aufstehen; von Einzelpersonen über Initiativen bis zu Institutionen, denn Vorbildwirkung ist im Unterschied zu staatlicher Kontrolle und repressiven Maßnahmen kostenlos.
Erst mit der Bereitschaft, auf individueller Basis digitale Hassausbrüche gegen andere, zumeist im Schutze der Anonymität, freiwillig selbst einzuschränken, beginnt sich allmählich Symmetrie in den gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnissen zu entwickeln. In einer solchen Welt fühlte sich jeder Mensch dafür verantwortlich, welchen Gebrauch er von Sprache macht, sobald er seine subjektive Weltwahrnehmung zum Ausdruck bringt. In einer Welt der Pandemie, der Kriege und zunehmenden vertikalen Segregation ein in weite Ferne gerücktes Ideal.
Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Er ist Autor von Minimale Moral (2016) und Verbalradikalismus. Kritische Geistesgeschichte eines soziopolitisch-sprachphilosophischen Phänomens (2021, 2. Aufl.). Sein neues Buch Lüge, Hass Krieg. Traktat zur Diskursgeschichte eines Paktes erscheint in Kürze bei Königshausen & Neumann.