"Parasitenmoral der griechischen Politikelite" und die "Pariser Machthaber"

Weil Griechenland nicht mehr aus der Eurozone rausgeworfen werden könne, müsse Deutschland austreten, fordert der Finanzprofessor Markus C. Kerber

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Laut seinem Gastbeitrag für das Handelsblatt online will der Berliner Finanzprofessor "mächtig gegen den Strom der veröffentlichten Meinung schwimmen" um "zu den neuen Ufern einer Stabilitätswährungsunion" zu gelangen.

Tatsächlich wären kompetente neue Lösungsansätze für die Eurozonenkrise derzeit gefragt wie nie zuvor. Leider ergeht sich der Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin nur in dumpfen Beschuldigungen, wie sie sonst eher von rechtspopulistischen Agitatoren zu hören sind. Gleichzeitig verzichtet er aber auch völlig auf Argumente, die seine womöglich tatsächlich bedenkenswerten Vorschläge fachlich untermauern könnten.

In seinem Beitrag fordert er jedenfalls "als Antwort auf die Erpressungspolitik Griechenlands" den "Austritt der Länder mit strukturellem Handelsbilanzüberschuss, also neben Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Finnland auch Luxemburg" aus der Eurozone. Insoweit dürfe man "den Demonstranten in Athen für ihren Protest gegen die EU-Diktatur" und dem griechischen Oppositionsführer für "seinen Widerstand gegen die Einführung einer funktionierenden Steuerverwaltung" dankbar sein, erklärt der Professor.

Als Begründung behauptet schlicht, es hätten "die EU-Granden unter der geistigen Führung der Pariser Machthaber, Trichet in Frankfurt, Barroso und Barnier in Brüssel und damals Strauss-Kahn in Washington die Spielregeln - jenseits von rechtlichen Normen" ungeniert neu definiert, wobei "trotz der Illegalität dieses Vorgehens" das Bundesverfassungsgericht "nicht den Mut hatte, es dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen". Während für Kerber alles Böse also von Frankreich ausgeht, vergisst er zu erwähnen, dass auch Deutschland die Stabilitätskriterien ohne Not und ungestraft gebrochen hat, und gegenüber Frankreich dahingehend allenfalls ein gradueller Unterschied bestehen kann.

Immerhin hat er wohl damit recht, dass es für einfache Lösungen jetzt ohnehin zu spät ist. Und hätte er sich nur früher geäußert! Denn dem Professor zufolge wäre es "im Lichte des betrügerischen Staatsbankrotts Griechenlands" im Jahr 2010 noch möglich gewesen "Austritt und Ausschluss mit den zu Gebote stehenden Machmittel zu regeln, um ein Zeichen zu setzen und weitere Fälle der Griechenland-Pathologie zu verhindern". Kerber hätte die Griechen also sofort nach dem Auftauchen der Unregelmäßigkeiten aus der Eurozone geworfen, woraufhin Portugal und Irland sich endlich besonnen hätten und ihre Probleme beherzt angegangen wären.

Nun wäre - bei allen Unabwägbarkeiten - auf den Rausschmiss Griechenlands mit Sicherheit die Staatspleite gefolgt und dass hätte jedenfalls sichergestellt, dass private Gläubiger an den Kosten beteiligt worden wären. Wie der systemische Schock durch das Bankensystem gelaufen wäre, darüber kann nur spekuliert werden. Vermutlich hätten die Märkte aber zumindest Irland und Portugal kaum die Chance gegeben, sich eisern zu sanieren, sondern augenblicklich von allen Finanzmarktfinanzierungen ausgeschlossen. Je nach dem, wo und wie tief und schmerzhaft der Riss durch die Eurozone dann verlaufen wäre, hätte Kerbers Patentlösung in der Realität vielleicht sogar die Kraft entwickelt, die europäische Einigung zu beenden.

Inzwischen lasse laut Kerber die "Schieflage der EWU sich nicht mehr durch den Austritt einzelner Länder - unabhängig vom Problem der gerechneten Altschulden - lösen". Denn dies würde auf Grund der zwischenzeitlich eingetretenen Bail-outs von Irland und Portugal "den verbleibenden Eurozonen-Ländern so hohe fiskalische Austrittslasten auferlegen, dass sie daran wahrscheinlich kein Interesse hätten". Da man durch einen Rausschmiss die inzwischen geliehenen Euros nicht mehr zurück bekäme, bleibe "den Ländern mit strukturellem Handelsbilanzüberschuss lediglich der Austritt".

Vielleicht hat sich der Professor an seinem Münchener Kollegen Sinn ein Beispiel genommen, der seine Eurozonenkompetenz schon vor einem Monat international zur Diskussion gestellt und seine mangelnde Kenntnis der geldpolitischen Mechanismen dadurch der englischsprachigen Fachwelt dargelegt hatte. Diese zeigte sich angesichts dieser Ignoranz dann auch durchaus erschüttert, immerhin sei es "in dieser Situation nicht hilfreich, wenn von der Öffentlichkeit respektierte Personen aufrührerische Behauptungen aufstellen, wie das System angeblich arbeite, und Lösungsvorschläge machen, die nur zu Chaos führen würden, sollten sie umgesetzt werden", wie etwa Karl Whelan, Wirtschaftsprofessor am University College Dublin, auf der selben Plattform klarstellte, auf der auch Sinn seine Gedanken publiziert hatte.

Nicht weniger Chaos wäre sicherlich auch bei einem Austritt Deutschlands aus der Eurozone abzusehen, nur wäre in diesem Fall wenigstens sichergestellt, dass das deutsche Exportwunder ein jähes Ende nehmen würde. So ist kaum ein Szenario denkbar, in dem nicht die neue D-Mark jedenfalls gegenüber dem Euro, aber vermutlich auch gegenüber Dollar und Yen massiv aufwerten würde. Entsprechend entwertet würden folglich die in diesen Währungen denominierten deutschen Auslandsvermögen, wovon auch der gesamte Bestand an von Deutschen gehaltene Eurozonenanleihen betroffen wäre.

Vielleicht stellt Kerber sich aber auch vor, dass die Schuldner ihre ausstehenden Anleihen freiwillig in D-Mark konvertieren oder dass sonstige positive Folgen die absehbaren Nachteile aufwiegen würden, aber das wissen wir nicht. Denn wie er sich seine Lösung genau vorstellt, wie der Übergang zu gestalten sei und was daraus resultieren soll, darüber lässt uns Kerber im Unklaren. Der Gefahr, wie Sinn über einen dummen sachlichen Fehler zu stolpern, setzte er sich indes schon von vornherein nicht aus und verzichtete in seinem Handelsblatt-Kommentar auf alles, was einem Argument auch nur ähnelt.

Immerhin ist klar, was er meint: Die faulen Südländer hätten also über ihre Verhältnisse gelebt und Griechenland sogar betrogen, was nur möglich war, weil Frankreich dies sich selbst und somit auch den anderen Club-Med-Staaten erlaubt und damit "die geistig-politischen Voraussetzungen für die faktische Suspendierung" des Stabilitätspakts gelegt hätte. Schuld sind also die "Parasitenmoral der griechischen Politikelite", die gemeinsam mit den Pariser Machthabern Nettozahler wie Deutschland in Geiselhaft genommen hätten, womit immerhin zwei schon lange bestehende Vorurteile gleichzeitig bedient werden.

Inwieweit aber falsche ökonomische Anreize, von denen vor allem Deutschland profitiert hat, zur Krise beigetragen haben, scheint Kerber demgegenüber offenbar nicht zu interessieren. Etwa dass die Eurozinsen jahrelang nur deshalb so niedrig waren, weil sich Deutschland auf Kosten der einheimischen Löhne und Nachfrage zum Exportweltmeister reformiert hatte. Während Deutschland sich dann dank Eurozone aber dennoch keine Währungsabwertung einhandelte, wurde die europäische Wettbewerbsfähigkeit der PIGS durch die für sie viel zu niedrigen Zinsen schlicht ruiniert. Dass die Verluderung der politischen Sitten auch deutschen Exporteuren gegen Bakschisch zu hochprofitablen Aufträgen verholfen hat, ganz zu schweigen.

Von einem Finanzprofessor sollte eigentlich wenn schon keine differenzierte, dann wenigstens eine irgendwie begründete Meinung zu erwarten sein. Vielleicht wollte Kerber sich aber auch nur selbst dafür entschädigen, dass das Bundesverfassungsgericht die von Kerber geführte Kläger-Gruppe Europolis zur Anhörung über die von ihr behauptete Verfassungswidrigkeit der deutschen Beteiligung am Euro-Rettungsschirm und der Griechenlandhilfe nicht eingeladen hat, wogegen man auch protestierte. Könnte man von Kerbers Aufsatz allerdings direkt auf seine Fachkompetenz schließen, dann wäre jedenfalls verständlich, warum ihm dieser Auftritt von den Richtern aller Mühen zum Trotz nicht gegönnt wurde.