Paris: Aktion gegen das Versammlungsverbot und für das Klima
Der Notstand war nach den Anschlägen verhängt worden, aber schon zuvor war versucht worden, die Einreise von unerwünschten Personen zu verhindern
Ein seltsamer und angespannter Nachmittag neigt sich an diesem Sonntagabend in Paris zu Ende. Die Entscheidung der französischen Regierung, Demonstrationen mindestens zu diesem Wochenende general zu untersagen, hat im Zusammenhang mit der Eröffnung der Klimakonferenz COP21 am selben Abend zu erheblichen Spannungen geführt.
Schon vor den mörderischen Pariser Anschlägen vom 13. November hatte der Staat im Zusammenhang mit dem internationalen Großereignis erheblich aufgerüstet. Am Vormittag des Tages, an dessen Abend die Attentate stattfanden - also einige Stunden vor denselben, und nicht in Reaktion auf die Morde - hatte die französische Regierung die Mobilisierung von 30.000 Polizisten für den Grenzschutz rund um die COP21 angekündigt. Dabei ging es offensichtlich darum, die Einreise von unerwünschten Protestwilligen zu verhindern. Inzwischen wurde bekannt, dass tatsächlich insgesamt 1.000 Personen der Zutritt zu französischem Territorium untersagt wurde.
Schon zuvor war Ende Oktober publik geworden, dass der französische Staat in zahlreichen Fällen Visaanträge von Personen aus Ländern des globalen Südens, die auf Diskussionsforen rund um die COP21 etwa über die Auswirkungen des Klimawandels auf Afrika Zeugnis ablegen sollten, ablehnte und ihnen damit die Reisemöglichkeit verweigerte. Die Attentate lieferten daraufhin nur noch eine Generalrechtfertigung, um jeglichen unliebsamen Protest mit einem vermeintlich guten Argument zu unterbinden.
Am späten Sonntagnachmittag gab der Pariser Polizeipräsident Michel Cadot bekannt, im nördlichen Pariser Zentrum seien über 100 Festnahmen und 200 Personalienfeststellungen durchgeführt worden. Kurz vor 18 Uhr hielt der Abstransport von festgenommenen, meist jungen Demonstrantinnen und Demonstranten noch an.
Unter den Verhafteten befanden sich auch Clowns von der bei vielen Protestzügen präsenten linken Trommel- und Spaßmachertruppe Les Panthères roses, die von innen aus den Polizeibussen heraus Grimassen schnitten und die umstehenden Schaulustigen unterhielten. Andere, recht jugendliche Demonstrantinnen erlitten dagegen wegen ihrer Verfrachtung in die Polizeibusse einen Nervenzusammenbruch, einige weitere Personen wurden unsanft ins Innere befördert.
Menschenkette wurde geduldet, aber keine Demonstration
Zuvor nahmen um die Mittagszeit über 10.000 Menschen nach den Veranstaltern an einer "Menschenkette für ein Klima des Friedens" teil. Alle Demonstrationen unter freiem Himmel sind derzeit, aufgrund des in der Nacht vom 13. zum 14. November verhängten Notstands, in Paris und anderen französischen Großstädten verboten.
Das breite Bündnis unter dem Namen Coalition climat 21, das einhundertdreißig Organisationen - NGOs, Initiativen und französische Gewerkschaften - umfasst, suchte daraufhin nach einer Alternative und einigte sich auf den Aufruf zu einer statischen Versammlung in Gestalt einer Menschenkette. Diese wurde behördlich zwar nicht zugelassen, aber toleriert. Jedoch unter der strikten Auflage, dass die Teilnehmer nicht im Anschluss zu einer Demonstration aufbrechen dürften. Aus den ostfranzösischen Regionen, besonders dem Elsass, waren hingegen viele Protestwillige am Samstag zu einer Demonstration im süddeutschen Freiburg gefahren.
Greenpeace und andere Umweltorganisationen riefen parallel dazu auf, am Sonntag um die Mittagszeit möglichst viele Schuhe auf der Place de la République abzulegen. Unter dem Motto "Unsere Schuhe demonstrieren für uns" sollte symbolisch dagegen protestiert werden, dass die Regierung alle geplanten Demonstrationszüge unter Berufung auf potenzielle Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit untersagte. Die Polizei ließ die Teilnehmer an der Aktion kurzzeitig gewähren, bemühte sich dann jedoch darum, den Platz möglichst schnell zu räumen.
Versuche von linken Gruppen wie Ensemble, NPA und anarchistischen Strömungen, später erneut auf dem Platz Präsenz zu zeigen, wurden schnell unter Einsatz von Gewalt unterbunden. Mehrere Stunden lang dröhnten Polizeihubschrauber über dem zentral gelegenen Platz, der am frühen Nachmittag weiträumig abgesperrt worden. "Sie können auf dem Gelände bleiben, aber es könnte sich in eine Mausefalle verwandeln - und irgendwann kommt dann die Katze", wurde seitens von Polizeibeamten geäußert. Gegen 15 Uhr hing weißer Tränengasnebel über dem Platz, auf dem mehrere hundert Menschen eingeschlossen waren.
Zuvor war die Menschenkette schon kurz vor 13 Uhr, also einige Minuten vor der geplanten Schlusszeit, aufgelöst werden, um den Minimalkonsens unter den Organisationen nicht zu gefährden. Unter den Teilnehmern befanden sich viele angereiste internationale Aktivisten. Eine Gruppe von australischen Frauen hatte sich als "Klimaengel" verkleidet und proklamierte: "Coal kills". Die Kette verband fünf Métrostationen miteinander und reichte den Boulevard Voltaire entlang. Auf ebendieser breiten Straße liegen mehrere der Angriffsziele der Terroristen vom 13. November.
Die Ablehnung von Krieg, Gewalt und Terrorismus zählten zu den Forderungen, die auf zahllosen fantasiereich gestalteten Plakaten Ausdruck fanden, ebenso wie der Wunsch nach Bewahrung des Planeten. Ein internationalistischer Themenschwerpunkt wurde rund um den Metrohaltepunkt Saint-Ambroise gebildet. Dort wurden die besonders gravierenden Folgen des Klimawandels für ärmere Länder wie Bangladesh oder die Staaten der Sahelzone ebenso thematisiert wie Klimaänderungen, Dürre und dadurch ausgelöste Verteilungskonflikte als Fluchtursache im Sudan und anderswo. "Klimatischer Notstand!" proklamierten die DemonstrantInnen.
Zu den Protestthemen zählten aber auch das Sponsoring der Konferenz COP21 durch französische Großkonzene wie die Bank BNP, die zugleich in umweltschädliche Projekte investiert, oder den Ölkonzern TOTAL (das größte börsennotierte französische Unternehmen) sowie das "Greenwashing" für die Atomenergie, das der französische Stromanbieter EDF und der Nuklearkonzern AREVA rund um die COP21 betreiben. Dort wird von ihrer Seite ernsthaft versucht, Atomenergie als umweltfreundliche Alternative zu fossilen Energiequellen anzupreisen.
Zivilgesellschaftliche Vereinigungen protestieren auch gegen die Anwesenheit von Diktatoren aus dem französischen Einflussbereich in Afrika wie Omar Bongo (Gabun) und Denis Sassou-Ngessou aus der Republik Kongo. François Hollande nutzt die COP21 als Anlass, um diesen diskreditierten Verbündeten den roten Teppich auszurollen - und sie zu diskreten Gesprächen am Rande zu empfangen.
Die Demonstrationsverbote stoßen unter den Protestierenden auf keinerlei Akzeptanz. "Sie begründen es offiziell damit, dass Menschenansammlungen potenziell gefährdet sein könnten. Aber haben sie etwa Einkaufszentren und Multiplex-Kinos den Betrieb untersagt, oder Weihnachtsmärkte verboten? Oder stehen dem einfach wirtschaftliche Interessen entgegen?", fragt der Gewerkschafter Jean-Marie Kneib sarkastisch.
Bereits am vorvergangenen Sonntag hatten sich rund 1.000 Menschen in Paris zu einer seit längerem geplanten Demonstration für Solidarität mit Migranten und Flüchtlingen versammelt, obwohl diese behördlich verboten worden waren. Gegen 58 Personen wurde deswegen ein Strafbefehl eingeleitet. Identifiziert worden waren die Betreffenden offiziell in einem Video bei der neokonservativen Internetzeitschaft Atlantico. Einige von ohnen weilten zum fraglichen Zeitpunkt allerdings gar nicht in Paris.
Am vorigen Donnerstag versammelten sich ferner mehrere hundert Menschen auf der Place de la République "für das Recht zu demonstrieren". Zu der nicht zugelassenen Kundgebung hatte, neben linken Gruppen, auch der Bezirksverband des stärksten Gewerkschaftsdachverbands CGT aufgerufen.