Passivrauchen führt zu psychischen Problemen
... aber familiäre Gewalt wohl eher kaum direkt zu Übergewicht
Oft das erste, was der angehende Statistiker an der Universität zu hören bekommt, ist die Warnung vor der Scheinkorrelation: Nur, weil zwei Datensätze miteinander korrelieren, heißt das noch lange nicht, dass sie in direktem kausalen Zusammenhang stehen. Das einschlägige Lehrbuchbeispiel ist der Lungenkrebs, der vom Alkoholkonsum abzuhängen scheint: Je mehr Alkohol konsumiert wird, desto höher die Chance, Krebs zu entwickeln. Aber der tatsächliche Zusammenhang besteht allein über den Umweg des Rauchens: Wer mehr trinkt, raucht im Schnitt auch mehr; und der Lungenkrebs hängt dann direkt vom Tabakkonsum ab.
Erfahrungsgemäß sind es gerne Ärzte, die auf die Scheinkorrelationen hereinfallen. Ein frisches Beispiel liefert Renée Boynton-Jarrett, M.D., Sc.D. von der Boston University School of Medicine. Sie erstellte zusammen mit Kollegen eine Studie, der ein Sample von 1.595 Kindern der Jahrgänge 1998-2000 zugrunde lag. Die Mütter wurden zum Zeitpunkt der Geburt sowie nach 12, 36 und 60 Monaten befragt. Höhe und Gewicht der Kinder wurde nach 36 und 60 Monaten gemessen.
Dabei berichten 49,4% der Mütter von innerfamiliärer Gewalt ("intimate partner violence"), und 16,5% der Kinder waren mit 5 Monaten stark übergewichtig. Dabei ergab sich, dass Kinder mit Müttern, die Opfer innerfamiliärer Gewalt wurden, eher übergewichtig waren; ein weiterer festgestellter Faktor war eine Adresse in weniger sicheren Stadtvierteln.
Was schließt man daraus? Die Autoren der Studie, die in der Juni-Ausgabe der "Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine" erscheint, denken sich folgendes: Die innerfamiliäre Gewalt habe die Frauen so erschüttert, dass sich ihr Fütterungsverhalten geändert haben könnte. Weiter sei möglich, dass die Kinder so viel essen, um das Erlebte verarbeiten zu können. Und jetzt kommt's: Die Autoren der Studie empfehlen, innerfamiliäre Gewalt sowie für Sicherheit in unruhigen Viertel zu sorgen, um auf diese Weise Übergewichtigkeit von Kindern zu kontrollieren.
Nun ist sicher nichts verkehrt daran, innerfamiliäre Gewalt und Kriminalität zu bekämpfen. Aber dabei handelt es sich mit Gewissheit nur um zwei Symptome eines wesentlich größeren Problems, nämlich des sozialen Status. Wie eine deutsche Studie vor Jahren genauer untersuchte, hat Fettleibigkeit viel mit sozialem Status und Kultur zu tun, und davon ist eben die innerfamiliäre Gewalt nur ein Aspekt.
Sehen wir uns gleich noch eine Studie an, die im August-Heft von "General Pychiatry" erscheinen wird. Mark Hamer, Ph.D., vom University College London untersuchte 5.560 Nichraucher sowie 2.595 Raucher ohne psychiatrische Vorgeschichte. Über sechs Jahre wurde nachverfolgt, wie sich ihre psychische Gesundheit entwickelte. Bei den Nichtrauchern wurde über den Speichelwert von Cotinin ermittelt, inwieweit sie Passivrauch ausgesetzt waren. Dabei ergab sich, dass sowohl Raucher als auch Nichtraucher, die großen Mengen Passivrauch ausgesetzt waren, eher an Krankheiten wie Schizophrenie, Depressionen o.ä. erkrankten und auch öfter eingewiesen wurden.
Direkte Zusammenhänge ließen sich allerdings kaum nachweisen (nur Tierversuche schienen darauf hinzuweisen, dass Tabak bei Tieren zu schlechter Laune führt - wenn wundert's). Handelt es sich nun um einen kausalen Konnex, oder um eine Scheinkorrelation?
Jemand könnte argumentieren, dass jemand, der sich Teer, Nikotin und krebserregendes Zeuch in die Lunge zieht, seine Lebenserwartung verkürzt, seine Finger gelb einfärbt, seinen Atem Kloakengeruch gibt und zudem seine Umwelt mitverpestet, per se ein bisschen verrückt sein muss, es sich also mithin um eine Scheinkorrelation handelt.
Nun haben wir aber die Kontrollgruppe der Passivraucher, die das alles nicht freiwillig tut. Da sie dasselbe erhöhte Risiko aufweist, müsste man also sogar solch einen Zweifler überzeugen können, dass es nicht um eine Scheinkorrelation handelt, sondern ein echter kausaler Zusammenhang besteht.
Oder soll man annehmen, dass auch die Passivraucher verrückt sein müssen, wenn sie die Raucher nicht konsequent genug vermeiden? Sicher nicht, denn in vielen Fällen ist dies derzeit schlichtweg nicht möglich. Dies ist ein weiterer guter Grund, strengste Rauchverbote an öffentlichen Orten zu fordern bzw., wie in Bayern in knapp vier Wochen, am 4. Juli, diese per Volksabstimmung durchzusetzen.