Peacekeeping mit Gummiknüppel und Tränengas
Im italienischen Vicenza haben europäische Polizeien ein sechswöchiges Anti-Terror-Manöver abgehalten
24 Polizeiorganisationen aus 19 Ländern der Europäischen Union haben zum zweiten Mal an der internationalen Großübung "European Police Force Training" (EUPFT) teilgenommen. In Anwesenheit des Vizegeneralkommandanten der Carabinieri, General Stefano Orlando, sowie Vertretern der EU endete das Anti-Terror-Manöver am 5. November mit einem VIP-Tag, an dem, so eine Mitteilung der Kommandantur der Carabinieri, Behördenvertreter und Gäste dem simulierten Einsatz gegen Störungen der öffentlichen Ordnung und einer Stürmung eines Gebäudes durch Sondereinsatzkräfte mit Geiselbefreiung beiwohnen konnten.
Mobilisiert waren dieses Jahr 639 Polizisten aus Österreich, Belgien, Zypern, der Tschechischen Republik, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Litauen, Malta, Holland, Polen, Portugal, Großbritannien, Rumänien, Slowenien und Spanien. Von italienischer Seite waren Angehörige der Carabinieri, Polizia di Stato und der Guardia di Finanza beteiligt.
Das EUPFT fand vom von September bis November auf dem Gelände der "European Gendarmerie Force" (EUROGENDFOR) in Vicenza sowie dem benachbarten Roncá statt. Kräfte der EUROGENDFOR waren ebenfalls in die Mission integriert. In Vicenza unterhält die EUROGENDFOR unter Leitung der italienischen Carabinieri die Polizeiakademie Center of Excellence for Stability Police Units (CoESPU), dessen Einrichtung auf Beschlüsse der G8-Gipfel 2002 und 2004 zurückgeht. Im CoESPU werden unter anderem Führungskräfte von Armeen afrikanischer Länder in Aufstandsbekämpfung unterrichtet. Gegenüber der Öffentlichkeit betont die Europäische Union, dass die Polizeimissionen Teil einer zunehmenden "zivilen Konfliktlösungstrategie" seien.
Der Aufbau der EUROGENDFOR geht auf eine Initiative der damaligen französischen Verteidigungsministerin Alliot-Marie von 2003 zurück. Die Truppe soll kurzfristig bis zu 3.000 Kräfte für den Einsatz in "Drittstaaten" mobilisieren, um unter militärischem Kommando Polizeiaufgaben zu übernehmen, darunter die "Sicherung der öffentlichen Ordnung", "Schutz von Eigentum" oder "geheimdienstliche Tätigkeiten". An der EUROGENDFOR können laut Statut nur jene Länder teilnehmen, die paramilitärische Polizeien unterhalten, die dem Verteidigungsministerium unterstehen. Bisherige Träger sind Portugal, Holland, Spanien, Italien, Frankreich, Polen und Rumänien.
Laut der deutschen Bundespolizei wurde auf dem ersten EUPFT 2008 im französischen Saint-Astier der "Schutz von öffentlichen Gebäuden und Personen", die "Evakuierung von EU-Bürgern", "Bekämpfung von Menschenhandel", "Schutz einer Sportveranstaltung", "EU-Staatsbesuch" sowie die "Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" geübt. Als Zweck des Trainings 2009, das in drei Blöcken über jeweils zwei Wochen abgewickelt wurde, wird unter anderem die "Perfektionierung gemeinschaftlicher Vorgehensweisen" verschiedener Polizeiorganisationen angegeben, was auch den Zielen der EUROGENDFOR entspricht. Daraus wird deutlich, dass ein gemeinsamer "Anti-Terror-Einsatz" nicht auf Staaten außerhalb der EU beschränkt sein muss, sondern etwa auch "polizeiliche Großlagen" innerhalb der Binnengrenzen umfassen kann – was auch nach den Statuten der EUROGENDFOR nicht ausgeschlossen ist.
Die Übungen EUPFT 2008 und 2009 lassen darauf schließen, dass sowohl die Ausrichtung als auch die Praxis der EUROGENDFOR einer Veränderung unterliegt und auf alle Mitgliedsstaaten der EU ausgeweitet werden soll. Die Übungen sind zudem eingebettet in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, was zuletzt durch einen Ratsbeschluss der EU vom 17. November bekräftigt wurde.
Inszeniert wurden Szenarien im fiktiven Dorf Spolarni eines "Ambrien", wo sich die "transnationalen Peacekeeping-Kräfte" nach einem Bürgerkrieg den "Ethnien" der "Ambriner" und der "Askalos" in einer "instabilen Lage" gegenübersehen. Unter Leitung von General Silvio Caselli bezogen die Truppen ihr Hauptquartier in der Kaserne Chinotto in Vicenza. Alle Aktivitäten fanden im Umland von Vicenza statt, darunter den Ruinen des ehemaligen Stützpunktes der Luftwaffe in Roncá. Das Drehbuch, das filmreife Kulissen mit Dutzenden brennender Autos, militanter Demonstranten, Geiselnahmen und Bombenanschlägen vorsah, wurde von 15 Polizisten unter der Regie des Oberleutnants Leonardo Albesi vom 7. Regiment der Carabinieri in Laives zusammengestellt. Nach Ende der Übung verschwand Albesi wieder nach Afghanistan.
Berichte von Bewohnern dokumentieren, dass es rund um Vicenza tatsächlich 6 Wochen lang zuging wie im Rollenspiel von Wehrsportgruppen. Männer mit Sturmhauben, die mit offenen Wagentüren gepanzerter Gefährte schwer bewaffnet unter Leitung der Carabinieri durch die Stadt und Region patrouillierten und jegliche Nachfragen zum Grund ihrer Anwesenheit zurückwiesen. Unter anderem gaben die von starker Bewunderung geprägten Fernsehberichte von ANSA oder Sky Aufschluss über den eigentlichen Zweck der Übung, die viele Bewohner zunächst für einen realen internationalen Anti-Terror-Einsatz hielten. Immerhin hatte sich daraufhin eine kleine Gruppe aus Vicenza mit Transparenten auf den Weg zur Kaserne gemacht, um gegen die polizeiliche Komponente militärischer EU-Einsätze zu demonstrieren. Wegen "unerlaubter Demonstration" wurden sie kurzerhand überprüft und erhielten eine Anzeige.
Gemäß der Bundespolizei soll EUPFT 2010 in Deutschland stattfinden, vermutlich in der Kaserne der Auslandshundertschaften in St. Augustin.