Pentagon: (Erst)Einsatz von Atomwaffen kann hilfreich sein
Die Nukleare Doktrin des Vereinigten Generalstabs war nur kurz öffentlich zugänglich, Atomwaffen könnten Bedingungen für einen Sieg schaffen, heißt es in ihr
Der Vereinigte Generalstab (Joint Chiefs of Staff) der US-amerikanischen Streitkräfte veröffentlichte am 11. Juni kurzzeitig eine neue Ausgabe der offiziellen Doktrin über den Einsatz von Atomwaffen (Joint Publication 3-72). Allerdings wurde die Doktrin schnell wieder gelöscht und ist nun nur noch zugangsbeschränkt in der Joint Electronic Library verfügbar. Bis dahin wurde die Doktrin, so schreibt Steven Aftergood von der Federation of American Scientists (FAS), weiter nicht beachtet. Aber wenn es sich um eine Panne handelte oder man wegen der Veröffentlichung Probleme fürchten sollte, wird gerade die Aufmerksamkeit auf das verschwundene Dokumente gelenkt. Die FAS hat allerdings eine Kopie gemacht und online gestellt.
Er beschreibt die Doktrin als "zumeist vertrauten Überblick über die nukleare Strategie, die Struktur der Streitkräfte, die Planung, die Ziele, die Kommandostruktur und die Operationen. Aber er hebt eine Passage hervor, die für ihn wie von Dr. Strangelove klingt, Hauptfigur des Films "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" von Stanley Kubrick. "Der Einsatz von Atomwaffen könnte Bedingungen für entscheidende Ergebnisse und die Wiederherstellung der strategischen Stabilität schaffen", heißt es da: "Insbesondere wird der Einsatz einer Atomwaffe grundlegend das Ausmaß einer Schlacht verändern und Bedingungen schaffen, die beeinflussen, wie Kommandeure in einem Konflikt siegen werden."
"Gegner verlassen sich zunehmend auf Atomwaffen, um ihre Interessen zu sichern"
Im öffentlichen Teil des Nuclear Posture Review (NPR 2018), der im März 2018 erschienen ist, war die Modernisierung der Atomwaffen und der Bau kleinerer Atomwaffen vorgesehen worden. Die neuen Sprengköpfe für die Trident-Interkontinentalraketen, deren weiteren Bau und Einsatz die demokratischen Abgeordneten noch verhindern wollen (Streit um taktische Atomwaffen), hätten den Vorteil, dass im Unterschied zur nuklearen Teilhabe die USA alleine über ihren Einsatz entscheiden können, sie würden auch unterschiedliche Angriffs- und Reaktionsmöglichkeiten eröffnen (Flexibilität) und als Bunkerbrecher dienen.
Argumentierte wurde in einer Pressemitteilung von Präsident Donald Trump, dass die neue Nuklearstrategie die Abschreckung auch vor nicht-nuklearen "strategischen" Angriffen auf die USA sowie deren Partner und Alliierten stärke. Das amerikanische Atomwaffenarsenal, so liest man im NPR, diene auch zur Abschreckung von "nicht-nuklearer Aggression", Atomwaffen könnten auch bei Cyberangriffen auf Kommando-, Steuerungs- und Kommunikationssysteme (NC3) der Atomstreitkräfte eingesetzt werden (Im Taumel des Wettrüstens).
Die von Aftergood herausgestellten und nicht weiter interpretierten Bemerkungen über die möglichen positiven Folgen des Einsatzes von Atomwaffen lassen die Befürchtung entstehen, dass man im Pentagon und im Weißen Haus darauf hinarbeitet, die Einsatzschwelle für Atomwaffen weiter zu senken und sie vor allem auch gegen ein Gegner einsetzen zu können, der selbst noch keine Atomwaffen eingesetzt hat. Damit würde die Abschreckung des "Gleichgewichts des Schreckens" bzw. der "mutual assured destruction" unterlaufen.
Spätestens seit der unter George W. Bush 2002 verabschiedeten Nukleardoktrin, in der bereits von taktischen Atomwaffen gesprochen wurde (Neue Atomwaffen sollen entwickelt werden), wird in Washington auch auf dem Hintergrund, dass es neben Russland (und China) weitere Atomwaffenländer über die Nato-Staaten Frankreich und Großbritannien hinaus gibt, daran gearbeitet, Bedingungen und Waffen für den Ersteinsatz zu entwickeln. In dem Bericht heißt es: "Gegner verlassen sich zunehmend auf Atomwaffen, um ihre Interessen zu sichern." Aus ähnlichen Erwägungen heraus wurde kürzlich von den USA das INF-Abkommen gekündigt, Russland zog sofort nach.
Flexible Strategie
Ausdrücklich wird in der Doktrin angesprochen, dass in großer Höhe gezündete Atomwaffen (HOB) einen großflächigen Elektromagnetischen Impuls (EMP) verursachen, der alle nicht EMP-gehärteten Systeme schädigen kann, ohne zu einem Fallout zu führen. Neben Mini-Nukes könnte ein solcher Einsatz, der von manchen nicht als nuklearer Erstschlag bezeichnet wird, weil Menschen nicht direkt getötet oder verletzt werden, die Schwelle zum Atomkrieg absenken, wenn man nicht rechnet, dass der Gegner wie auf einen Angriff mit einer größeren Atomwaffe reagiert.
Mit kleinen Atomwaffen, die die USA schon lange haben, könnten Staaten angegriffen werden, die selbst keine Atomwaffen besitzen. Die Doktrin betont, dass die USA einen "zugeschnittenen und flexiblen Ansatz haben, um effektiv ein Spektrum von Feinden, Bedrohungen und Kontexten abzuwehren".
Platziert wurde über dem Kapitel über Planung ein Zitat des 1983 verstorbenen Zukunftsforschers und Nuklearstrategen Herman Kahn. Das dürfte, ohne es explizit zu sagen, die Richtung sein, in die das Pentagon gehen will: "Nach meiner Einschätzung werden Atomwaffen irgendwann in den nächsten 100 Jahren eingesetzt werden, aber ihr Einsatz wird sehr viel eher klein und begrenzt als umfassend und uneingeschränkt sein." Kahn war ein Befürworter der nuklearen Abschreckung und sah einen Atomkrieg auch als gewinnbar und vorstellbar an. Man könnte das Zitat auch als Warnung begreifen, schließlich haben die Amerikaner zuerst und bislang als einziger Staat Atomwaffen als Massenvernichtungswaffen eingesetzt.
Wollte man im Pentagon nicht so explizit werden lassen, dass man mit dem Einsatz von Mini-Nukes spielt? Oder wollt man das im Pentagon zur Abschreckung gerade deutlich machen?
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