"Perfect Dictatorship"
- "Perfect Dictatorship"
- Boykott – mit Auswirkungen?
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China vor der Olympiade: Staat und Partei fahren eine ausgeklügelte Mischung aus Härte und Illusion. Die Boykott-Debatte reißt nicht ab, zwei Uigurinnen legen schockierende Berichte vor
Der Schwede Peter Dahlin (Jg. 1981) ist Direktor und Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation "Safeguard Defenders", die auch in China aktiv ist. Als solcher geriet er im Land des Lächelns in den Kreis der notorisch Verdächtigten: Am 3. Januar 2016 umstellten chinesische Sicherheitsbeamte das Haus des Aktivisten in Peking und brachten ihn und seine chinesische Freundin Pan Jinling in ein geheimes Verhörzentrum, das er im Nachhinein "The Residence" nennt.
In der schwarzen Zelle
Eine Anklage gab es nicht. "Ich wurde", sagt Dahlin, "einen Monat in Einzelhaft, in einer gepolsterten Selbstmordzelle, festgehalten und kam nur aufgrund großen diplomatischen Drucks frei." In solch ein "schwarzes Gefängnis" steckt das Regime gerne Dissidenten.
In der "Residence" wollte man Dahlin nach eigenen Angaben mürbe machen, er erzählt von kräftezehrenden Befragungen bis in die Nacht und Schlafentzug, man verhörte ihn mittels eines Lügendetektors, in der Amtssprache eine communication enhancement machine, wobei man durchblicken ließ, dass er ein Spion sein könnte.
Im Gespräch mit Sport inside anlässlich der gerade anlaufenden Winterspiele sieht Dahlin das chinesische Regime auf dem besten Weg, den Totalitarismus von Staat und Partei immer noch perfekter zu machen:
Zunächst wurde vor ein paar Jahren der Begriff "Zivilgesellschaft" verboten und durch "öffentliche Gesellschaft" ersetzt. Alles was die Führung als Zivilgesellschaft ansieht, findet ihrem Verständnis nach, außerhalb der Partei und des Staates statt und stellt für sie deshalb eine potenzielle Bedrohung dar. Gerade nach weltweiten Protesten und Revolutionen möchte die Regierung jede Form der zivilen Organisation zerschlagen.
Peter Dahlin, Safeguard Defenders
Olympia: Festspiele der Selbstdarstellung
Die Spiele sieht er als "weltweite Bühne, die China zur Selbstdarstellung nutzen möchte". Keine bahnbrechende Erkenntnis, aber darum nicht weniger wahr: Xi Jinping hat erst kürzlich seinen eigenen Machtanspruch unterstrichen und mit der Zukunft seines Reiches auf Lebenszeit verknüpft. Die Olympischen Winterspiele kommen da gerade recht, ein formidables Illusionstheater.
Dementsprechend schreibt das renommierte Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) diese Woche (2.2.), d.h. unmittelbar vor den Spielen:
Die Forschung hat darauf hingewiesen, dass autoritäre Regime versuchen, solche Mega-Events zu nutzen, um ihre Akzeptanz und Legitimität international und in der eigenen Bevölkerung zu sichern oder zu verbessern.
Peace Research Institute Frankfurt
Zudem liefert das Portal der Forschungseinrichtung eine interessante Chronik des olympischen Boykotts, die sehr lohnend zu lesen ist, und weist sodann der aktuellen Boykottidee bzw. -diskussion einen begrenzten Platz (immerhin einen Platz) zu:
Ein Blick auf die historischen Beispiele zeigt, dass einem Boykott insbesondere eine symbolische Bedeutung als Teil der Chinapolitik zukommen kann.
Sehr vorsichtig formuliert! Einen positiven Effekt sehen die Forscher immerhin darin, dass die öffentliche und kritische Diskussion der Menschenrechtssituation in China vor allem im Vorfeld der anstehenden Olympiade aufrechterhalten wurde.
Aber ob's was nützt?
Immer nur lächeln
Zuletzt fanden Menschenrechtsorganisationen deutliche Worte für das "Sportswashing" bei den Olympischen Spielen in Peking, das nicht nur nützlich ist, um das eigene Image aufzumöbeln, sondern auch von Menschenrechtsverletzungen ablenken soll. Trick siebzehn: sie mittels kitschiger Bilderwelten quasi weglächeln.
Der offizielle Talisman, ein pummeliger Panda namens "Bing Dwen Dwen", entführt in eine Fabelwelt und transportiert einen ästhetischen Code, der typisch für Fernost ist (man denkt dabei auch an die kawaii-Figuren in Japan), was im Endeffekt seine universale Wirkung nicht verfehlen dürfte.
Bei den Olympischen Spielen in Peking dienen die niedlichen Maskottchen zudem auch als Glücksbringer und stehen damit gleich für eine doppelte Regression: Den Rückzug in ein (unpolitisches) Refugium glücklicher Kindheit und die Überschreibung des politischen Kalküls durch eine harmonisierende Projektionsfläche. Bing Dwen Dwen habe "ein Herz aus Gold und liebt vor allem den Wintersport", twitterte das Organisationskomitee.
NGOs appellieren
243 internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben jetzt Regierungen aufgerufen, sich einem diplomatischen Boykott anzuschließen. Die Olympischen Spiele "werden inmitten von Gräueltaten und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen durch die chinesische Regierung eröffnet", teilte Human Rights Watch vorige Woche (27.1.) in New York mit.
Die NGOs appellieren an Athleten und Sponsoren, Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung nicht zu legitimieren, stattdessen sich mit inhaftierten Menschenrechtlern zu solidarisieren.
Die (chinesische) Regierung hat die einst blühende Zivilgesellschaft in Hongkong ausgehöhlt, die technologiegestützte Überwachung ausgeweitet, um das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung erheblich einzuschränken, und den Einsatz von Zwangsarbeit unter Verletzung des Völkerrechts zugelassen.
Human Rights Watch, 27.1.2022
"Mein Gott ist Xi Jinping"
Wie die Tageszeitung Taz aktuell berichtet, sind rechtzeitig vor Olympia gleich zwei Bücher uigurischer Frauen erschienen, die in Xinjiang an unterschiedlichen Orten jeweils bis April 2018 bzw. bis März 2019 in Umerziehungslagern saßen. Ihre traumatischen Erlebnisse haben die Frauen jetzt mithilfe westlicher Journalistinnen veröffentlicht.
Mihrigul Tursun und Gulbahar Haitiwaji berichten in ihren Aufzeichnungen von Folter und Misshandlungen, von Vergewaltigungen, Elektroschocks und Indizien von Zwangssterilisation. Sie erlebten Sippenhaft, Psychoterror und Entsolidarisierung.
Zu ihrem "Unterricht" gehörte, Slogans der Kommunistischen Partei sowie Sprüche von Mao Zedong auswendig zu lernen. Auch der heutige Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte entsprechend gewürdigt zu werden: Die Muslima Mihrigul Tursun musste Sprüche wie "Meine Religion ist die Kommunistische Partei und mein Gott ist Xi Jinping" nachbeten und immer wieder aufsagen: "Es ist unsere Verantwortung, hart für die große Erneuerung der chinesischen Nation zu arbeiten." Bei der Essensausgabe war das Singen der Nationalhymne Pflicht, andernfalls blieb man hungrig.
Die Bücher:
Mihrigul Tursun/Andrea C. Hoffmann: Ort ohne Wiederkehr. Wie ich als Uigurin Chinas Lager überlebte. München (Heyne)
Gulbahar Haitiwaji/Rozenn Morgat: Wie ich das chinesische Lager überlebt habe. Der erste Bericht einer Uigurin. Berlin (Aufbau)