Perfluortenside - Die langen Schatten der Vergangenheit
Seite 2: Janusköpfige Moleküle: Faszinierende Eigenschaften, unkalkulierbare Folgen
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Die bemerkenswerten Eigenschaften perfluorierter organischer Tenside ergeben sich aus ihrer chemischen Struktur. Bei ihnen sind sämtliche Wasserstoffatome des Kohlenstoffgerüsts durch Fluoratome substituiert. Die hohe Ionisierungsenergie des Fluors, kombiniert mit dessen geringer Polarisierbarkeit, führt zu schwachen inter- und intramolekularen Wechselwirkungen. Die Kohlenstoff-Fluor-Bindung ist zudem die stabilste bekannte Bindung in der organischen Chemie - deshalb sind perfluorierte organische Verbindungen chemisch und thermisch stabiler als ihre Kohlenwasserstoff-Pendants. Und gerade diese Stabilität galt jahrzehntelang als gleichbedeutend mit ökologischer Unbedenklichkeit. Ein Trugschluss, denn die Merkmale, die diesen Verbindungen ihre herausragenden Eigenschaften verleihen, sorgen auch für ihre Langlebigkeit in der Umwelt.
In Säugetieren können Perfluortenside wie PFOS und PFOA nach Aufnahme leicht die Blut-Hirn- sowie die Blut-Plazenta-Schranke überwinden. PFC wurden in Föten und Neugeborenen nachgewiesen. Sie werden kaum ausgeschieden. Die biologische Halbwertszeit von PFOS im menschlichen Blutplasma wird mit ,.7 Jahren beziffert, für PFOA beträgt sie 4,4 Jahre. Forscher zeigten, dass diese Verbindungen an Labortieren Krebs verursachten und die geschlechtliche Entwicklung störten. Epidemiologische Forschungen legen nahe, dass ähnliche Effekte auch beim Menschen zu erwarten sind.
Die in der Umwelt angetroffenen Konzentrationen gelten zwar nicht als akut toxisch. Bei Studien zur subchronischen Giftigkeit an Nagetieren und Primaten fand man jedoch schon bei niedrigen Konzentrationen leberschädigende, immuno- und neurotoxische Reaktionen. Besonders kritisch werden die Befunde der Tierversuche hinsichtlich der Beeinträchtigung der Entwicklung bewertet. Die Verbindungen gelten mittlerweile als endokrine Disruptoren.
Das große Schweigen
3M und DuPont hatten über mehrere Jahrzehnte geheime medizinische Untersuchungen über PFOA durchgeführt. 1961 erkannten DuPont-Forscher, dass die Chemikalie die Leber bei Ratten und Kaninchen vergrößern konnte. Ein Jahr später fanden sie ähnliche Ergebnisse bei Hunden.
Bei DuPont schien Überlieferungen von Werksangehörigen zufolge zunächst ein eher sorgloser Umgang mit PFOA an der Tagesordnung gewesen zu sein, wie etwa Kontingente für die Nutzung im Eigenheim, als Geschirrspüler oder als Reinigungsmittel für die Autowäsche. Arbeiter der Washington Works, der DuPont-Niederlassung in der Nähe von Parkersburg, beklagten sich häufiger über Übelkeit, Fieber und Durchfall - Symptome für eine Krankheit, die sie vor Ort "Teflon-Grippe" tauften. Ab 1976 durften die Mitarbeiter dann keine Arbeitskleidung mehr mit nach Hause bringen - bei DuPont war man auf Gefahren für die Gesundheit aufmerksam geworden, die von PFOA ausgingen. Im Blut von Fabrikarbeitern der Washington Works hatte man hohe Konzentrationen der Substanz entdeckt.
3M, PFOA-Zulieferer für DuPont und andere Unternehmen, stellte 1981 fest, dass die Aufnahme der Substanz bei Ratten Geburtsfehler verursachte. Nachdem 3M diese Informationen weitergegeben hatte, prüfte DuPont die Kinder schwangerer Mitarbeiter in der Teflonsparte. Von sieben Neugeborenen hatten zwei Augenfehler. DuPont hat all diese Warnhinweise nicht publik gemacht, auch nicht bei der US-Umweltschutzbehörde EPA.
Auch nicht, als DuPont-Wissenschaftler 1990 feststellten, dass die Deponie undicht war und PFOA in die benachbarten Anwesen austrat. Zu diesem Zeitpunkt waren dort bereits 7100 Tonnen PFOA-haltiger Schlamm gebunkert. Beschwerdeführenden Landwirten, die die massiven Gesundheitsprobleme ihres Viehbestands mit der Deponie in Zusammenhang brachten, wurde zehn Jahre später von beigebrachten DuPont- und EPA-Experten Unfähigkeit in der Tierhaltung bescheinigt. Das Wissen um die undichte Deponie tauchte in deren Bericht nicht auf.
In den 1990er Jahren hatte man bei DuPont erkannt, dass PFOA in Labortieren Hodenkrebs, Bauchspeicheldrüsen- und Lebertumoren hervorrief. Eine Laborstudie legte mögliche DNA-Schäden durch PFOA-Exposition nahe, eine andere verband die PFOA-Exposition von Arbeitern mit Prostatakrebs. DuPont beeilte sich nun, eine Alternative zu PFOA zu entwickeln. Eine innerbetriebliche Kurznachricht vermeldete 1993 eine erfolgversprechende Substanz, die weniger giftig schien und im Körper über eine viel kürzere Zeitspanne verblieb als PFOA. In der Unternehmenszentrale von DuPont wurden Gespräche geführt, um den Umstieg auf die neue Chemikalie zu diskutieren, doch letztendlich fiel die Entscheidung dagegen aus. Das Risiko war zu groß: Produkte, die auf PFOA basierten, waren ein zu wichtiger Teil des DuPont- Geschäfts.
2005 einigte sich DuPont mit der EPA, die das Unternehmen beschuldigt hatte, das Wissen über die Toxizität und die Verbreitung von PFOA in der Umwelt verborgen zu haben. DuPont hatte damit gegen den Toxic Substances Control Act verstoßen. Das Unternehmen wurde jedoch nicht zur Anerkennung einer Haftung verpflichtet. Die verhängte Strafe von 16,5 Millionen Dollar galt bis dahin als größte von der EPA in ihrer Geschichte verhängte zivilrechtliche Ordnungsstrafe - weniger als 2 Prozent der DuPont-Gewinne in diesem Jahr, die durch PFOA eingespielt wurden.
DuPont vor Gericht
2001 kam es zu einer Sammelklage gegen DuPont. Zu diesem Zeitpunkt war in der Öffentlichkeit nur wenig über die Folgen von PFOA im Trinkwasser bekannt. Erst 2009 setzte die EPA einen vorläufigen Grenzwert von 0,4 ppb für eine kurzzeitige Exposition über das Trinkwasser fest. Ende 2016 gab die Behörde einen Richtwert für die Wahrung einer lebenslangen Gesundheit vor, der als summierte Konzentration von PFOA und PFOS bei 70 ppt liegen soll. Der Wert ist als Ratschlag zu verstehen; er ist nicht gesetzlich bindend.
Im September 2004 stimmte DuPont einem Vergleich zu, um die Sammelklage beizulegen. Es wurde vereinbart, Filtrationsanlagen in den sechs betroffenen Bezirken zu installieren, falls diese es wünschten, nebst einer Zahlung von 70 Millionen US-Dollar. Damit wurden Mittel für Studien bereitgestellt, die zeigen sollten, ob es eine "wahrscheinliche Verbindung" zwischen PFOA und auftretenden Krankheiten gab - eine Formulierung, die sorgfältig darauf bedacht war, jegliche konkrete Schuldzuweisung zu vermeiden. Bis zum Vorliegen der Studienergebnisse war es den Sammelklägern verboten, einzelne Verfahren wegen Gesundheitsbeeinträchtigungen gegen DuPont anzustrengen - ebenso, falls die Studien keinen Zusammenhang zwischen PFOA-Exposition und dem Auftreten von bestimmten Krankheitsbildern erbringen würden.
In der Folge wurden die Blutproben von fast 70.000 Einwohnern aus den kontaminierten Gebieten im Ohio Valley analysiert. DuPont hatte im Rahmen des Vergleichs zugestimmt, die Studien zu finanzieren. Die zogen sich über Jahre hin. Ihre Kosten beliefen sich am Ende auf 33 Millionen US-Dollar. Im November 2012 benannte das mit den Untersuchungen beauftragte wissenschaftliche Gremium sechs Krankheitsbilder, die Betroffene für einen Rechtsstreit mit DuPont qualifizierten. Aus den insgesamt 80.000 untersuchten Anwohnern wurden so 3.550 herausgefiltert, für die es nun zu einer Einigung kam.
Die EPA hatte unterdessen mit eigenen Untersuchungen zur Toxizität von PFOA begonnen. Im Jahr 2002 veröffentlichte die Behörde ihre ersten Ergebnisse. Besonders alarmierend waren PFOA-Funde in amerikanischen Blutbanken - bei 3M und DuPont war das seit 1976 bekannt.
2006 schließlich stufte die EPA PFOA als "wahrscheinlich kanzerogen" ein. Um die Substanz allmählich auszumustern, lancierte die EPA das 2010/2015 PFOA Stewardship Program, in dem sich die größten nordamerikanischen, europäischen und japanischen Hersteller von Organofluorchemikalien (Arkema, Asahi, BASF (als Nachfolger von Ciba), Clariant, Daikin, DuPont, 3M/Dyneon, and Solvay Solexis) verpflichteten, darauf hinzuarbeiten, ihre globalen PFOA-Emissionen herunterzufahren und die Chemikalie bis 2015 aus der Produktion und aus Produktverunreinigungen zu verbannen. In Europa wurde PFOA 2013 in die Kandidatenliste der besonders besorgniserregenden Stoffe gemäß der EU-Chemikalienverordnung REACH aufgenommen.