Phantome, verschwundene Hüte und Enthauptungen

Seite 4: Frauen verschwinden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ich sage nicht, dass meine Erklärung für den Juli 1935 unbedingt die richtige oder gar die einzig mögliche ist. Es geht gerade darum, den Zuschauer vom Gängelband des in Hollywood praktizierten Erzählens zu lassen und ihn zu animieren, die eigene Kombinationsgabe zu bemühen. Das kann zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. Für meine Interpretation spricht, dass einiges in Phantom Lady nach Deutschland führt, wenn auch nicht auf direktem Weg, weil das nicht Siodmaks Art war. 1939, als er in Amerika eintraf, hatte er als Visitenkarte seinen letzten in Frankreich inszenierten Film dabei, Pièges (wörtlich: Fallen; in Deutschland nach dem Krieg unter den Titeln Mädchenhändler und Fallensteller verliehen) - nur um zu erfahren, dass sich niemand dafür interessierte. Danach begann eine Zeit des Wartens, dann drehte er ein halbes Dutzend B-Movies, die er eher nicht gemacht hätte, wenn er es sich hätte aussuchen können (das von Kenneth Anger verehrte Südseeopus Cobra Woman, mit der Trash-Ikone Maria Montez in einer Doppelrolle, hat inzwischen Kultstatus). Phantom Lady gilt als der erste "echte" Siodmak-Film, der in Hollywood entstand, der Regisseur sah das wohl auch selber so (so wie Preminger gern so tat, als habe seine Hollywood-Karriere mit Laura begonnen), und der "erste" amerikanische Film weist auffallende Ähnlichkeiten mit seinem letzten französischen auf.

Phantom Lady

In Paris sind elf junge Frauen verschwunden, die alle auf eine Annonce in der Zeitung geantwortet haben. Die elfte war eine Freundin von Adrienne Charpentier, die sich vom ermittelnden Kommissar überreden lässt, den Lockvogel zu machen und ebenfalls solche Annoncen zu beantworten, um den Täter aus der Deckung zu locken. Erich von Stroheim spielt in Pièges einen verrückten Modeschöpfer, es gibt jede Menge Verdächtige und Polizisten (einer davon sieht aus wie ein Bruder des jungen Hitchcock) und eine Mädchenhändlerbande, aber wie in Phantom Lady ist das emotionale Zentrum der Geschichte eine starke Frau, die von Marie Déa gespielte Adrienne. Sie hält den episodisch aufgebauten Film zusammen. Bei ihren Nachforschungen lernt Adrienne den Nachtclubbesitzer und Impressario Robert Fleury kennen, der zwischendurch auch mal ein Lied singt, was kein Wunder ist, weil Maurice Chevalier die Rolle übernommen hat. Robert und Adrienne zanken und lieben und verloben sich. Dann wird der Bräutigam unter Mordverdacht verhaftet und verurteilt. Adrienne muss den wahren Täter finden, um Robert vor der Hinrichtung zu bewahren.

Einiges an dem Film, in dem reihenweise Leute verschwinden wie in dem Land, das Siodmak 1933 verlassen hatte, ist ganz erstaunlich. Es gibt vom Publikum zu füllende Leerstellen; eine selbstbewusste und sehr aktive Heldin, die sich geschickt den männlichen Versuchen entzieht, sie zum Objekt zu machen; einen Kommissar, der zur Lektüre von Sigmund Freud rät und mehr Profiler als Indiziensammler ist; fließende Übergänge zwischen Polizei und Verbrechern; und verstörende Szenen wie die, in der Adrienne zum Objekt des Mörderblicks wird, der zugleich der Voyeursblick des Zuschauers ist. Der Mörder, dessen Perspektive wir teilen, ist so beunruhigt durch die Nähe einer schönen Frau, dass er ihren Leib mit Blicken gleichsam in Stücke schneidet, sich auf einzelne Körperpartien konzentriert und auf Details um sie herum, um die (von ihm als solche empfundene) Bedrohung unter Kontrolle zu bringen. Bei Siodmak wird daraus eine kleine Lektion in Sachen Kino, das Macht über Körper ausübt, indem es sie seziert und wieder zusammensetzt.

Schüsse in La Celle-Saint-Cloud

Eine Inspirationsquelle für Pièges war ein bis heute sehr mysteriöser Kriminalfall, der damals weltweit für Schlagzeilen sorgte. Es begann am 23. Juli 1937. Damals verschwand in Paris die 22-jährige Jean de Koven, eine Tänzerin aus New York. Sie war mit einem charmanten jungen Mann verabredet gewesen, der Englisch mit starkem Akzent gesprochen, sich ihr und ihrer Tante Ida Sackheim als "Bobby" vorgestellt und einen vertrauenswürdigen Eindruck gemacht hatte. Der Rest ließ sich an wie in einem zu oft benutzten Filmplot. Die Tante erhielt einen Brief, in dem 500 Dollar Lösegeld verlangt wurden. Wenn sie einverstanden war sollte sie in der Herald Tribune eine Kleinanzeige aufgeben: "Jean, please come back." Und keine Polizei! Die Anzeige erschien, doch die Entführer ließen nichts mehr von sich hören. Also ging Ida Sackheim zur Polizei. Dort war man skeptisch und glaubte schon deshalb an ein romantisches Abenteuer einer jungen Amerikanerin, die sich in Paris in einen galanten Europäer verliebt hatte, weil die geforderte Summe lächerlich niedrig war.

Dann erhielt die Tante doch noch einen Anruf. Die Modalitäten der Lösegeldübergabe wurden vereinbart, aber die Übergabe scheiterte genauso wie ein zweiter Versuch, weil sich die Polizisten so ungeschickt anstellten, dass sogar Amateure ihre Anwesenheit bemerken mussten. Inzwischen hatte die Presse von der Sache Wind bekommen. Es gab ein beachtliches Rauschen im Blätterwald, das noch weiter angefacht wurde, als am 7. August Jeans Bruder Henry in Paris eintraf, um der Polizei, die ihm zu lasch war, Dampf zu machen. Für die französische Polizei war das doppelt peinlich, weil die Sicherheit ausländischer Besucher zu der Zeit ein extrem heikles Thema war. Jean de Koven und ihre Tante gehörten zu den Touristen, die wegen der vom 25. Mai bis zum 25. November stattfindenden Weltausstellung in Scharen nach Paris strömten. Mitte August schickten die Entführer eine letzte, etwas wirre Nachricht. Jean sei am Leben, hieß es, sie habe eine Nervenkrise erlitten, es gehe ihr schon wieder besser, die Sache sei erledigt. Ihr Bruder und ihre Tante gaben weitere Zeitungsannoncen auf, mit der Bitte um Kontaktaufnahme. Ohne Erfolg. Im September reisten die beiden zurück in die USA. Die Presse verlor das Interesse. Als die Weltausstellung vorbei war wurde der Fall zu den Akten gelegt. Jedoch nicht für lange.

Der zuständige Kommissar schrieb noch an seinen Abschlussbericht, als am 27. November 1937 der Immobilienmakler Raymond Lesobre verschwand. Seine Leiche wurde in einem der Häuser gefunden, die er mit einem Kunden hatte besichtigen wollen. Kommissar Primborgne von der Sureté in Versailles leitete die Ermittlungen, die in deutsche Exilantenkreise führten und schließlich zu einem etwas abgelegenen Häuschen in La Celle-Saint-Cloud, einem Vorort von Paris, das die Besitzer großspurig "La Voulzie" nannten (die Voulzie ist ein Fluss in der Gegend). Der Mieter des Häuschens war ein Deutscher namens Karrer. Die Inspektoren Emile Bourquin und Ange Poignant, zwei schwergewichtige Herren, waren am frühen Nachmittag des 8. Dezember 1937 gerade dabei, die Umgebung auszukundschaften (im Garten stand ein Wagen wie Lesobre einen gefahren hatte), als ein schlanker, groß gewachsener Mann erschien, der in einem stark akzentgefärbten Französisch bestätigte, Monsieur Karrer zu sein.

Karrer bat die Beamten freundlich ins Haus, und sie folgten ihm ins Wohnzimmer. Dann fielen Schüsse. Der Mann hatte einen Revolver gezogen und sofort das Feuer eröffnet. Obwohl die Polizisten durch Nähe und Körperumfang schwer zu verfehlen waren richtete Karrer wenig Schaden an. Ein Querschläger verletzte Poignant leicht an der Schulter, eine Kugel machte ein Loch in Bourquins Hut. Nicht nur die zwei Beamten fanden es später rätselhaft, dass sie so glimpflich davongekommen waren. Außerdem war da noch die Aussage eines Verkehrspolizisten, der Lesobre vor dessen Verschwinden zusammen mit seinem mutmaßlichen Mörder gesehen hatte. Die Identität dieses Mannes konnte nie zweifelsfrei geklärt werden. Die Beschreibung des Verkehrspolizisten passte nicht auf Karrer, der jetzt mit Bourquin und Poignant auf dem Sofa lag, herumbrüllte und sich wehrte wie ein in die Ecke getriebenes Tier. Beides zusammen führte zu der Theorie, dass es Karrer nur darum gegangen war, einen anderen Mann, der sich im Haus aufhielt, zu warnen und ihm die Flucht zu ermöglichen. Dieser andere Mann, der Drahtzieher im Hintergrund, geisterte dann als "das Phantom" durch die Berichterstattung. Das Phantom, falls es existierte, wurde so wenig gefunden wie irgendwelche Spuren, die es bei seiner Flucht hinterlassen haben könnte. Allerdings war die Beweissicherung nicht unbedingt eine Stärke der ermittelnden Beamten.

Bourquin konnte das Handgemenge erst beenden, als er einen Tapezierhammer zu fassen kriegte und Karrer damit so lange auf den Kopf schlug, bis der das Bewusstsein verlor. Bei der ärztlichen Untersuchung wurden nur oberflächliche Kopfverletzungen festgestellt, aber im beschaulichen, als Spießerhochburg verschrienen Versailles war es eine Sensation, als ein blutverschmierter, notdürftig verarzteter Mann in das Kommissariat in der rue Saint-Louis geführt wurde. Unter den Bandagen steckte, wäre er kein Serienmörder gewesen, der Traum aller Schwiegermütter. "Rein äußerlich ein schöner Mann", schreibt Marcel Sicot, damals Chef der Sureté in Versailles, in seinen Memoiren (Servitude et grandeur policières, 1959). "Groß und gut gebaut, locker und sicher im Auftreten, geschmeidig und sportlich, vermittelt er von sich das Bild eines Menschen, der ruhig, sanft, gefühlvoll und ein wenig verschlossen ist. Intelligent und recht gebildet, hasst er Brutalität, so paradox das auch erscheinen mag. Er hat Sinn für Schönheit und liebt die Natur. Und er mag Tiere, vor allem Katzen." Allerdings waren da noch diese Augen, die nun bald für Überschriften wie "Der Mörder mit dem Samtblick" sorgen würden. Zeitzeugen zufolge waren sie hellbraun, mit einer grünlich umrandeten Iris. "Gold für Sanftmut, Grün für Grausamkeit", lässt der frühere Polizeireporter Roger Colombani Kommissar Sicot in einem Tatsachenroman denken, den er über den Fall geschrieben hat.

Verwehte Spuren

"Karrer" war einer von den vielen falschen Namen, unter denen der Festgenommene auftrat. In Wirklichkeit hieß er Eugen Weidmann. Er stammte aus Frankfurt am Main, war ein Sohn aus gutbürgerlichem Hause und ein mehrfach vorbestrafter Gewohnheitskrimineller, der schon als Kind damit begonnen hatte, die Bekannten seiner Eltern zu bestehlen und sich von kleinen Gaunereien zu Gewaltdelikten hochgearbeitet hatte. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme war er noch nicht ganz 30 Jahre alt. Im Verhör mit Primborgne und Sicot gab er ohne weiteres fünf Morde zu; einen sechsten, den er "vergessen" hatte, gestand er später. Ob es noch andere Opfer gab, wie von manchen vermutet, blieb ungeklärt. Vor der Mordserie hatte Weidmann in Deutschland fünf Jahre wegen eines dilettantisch durchgeführten Raubüberfalls mit geplanter Entführung abgesessen. Colombanis Recherchen nach (Die Affäre Weidmann) verbrachte er das letzte der fünf Jahre im Lager Börgermoor (Schauplatz von Wolfgang Langhoffs "unpolitischem Tatsachenbericht" Die Moorsoldaten), wohin Schwerverbrecher wie er nach der Machtübernahme durch die Nazis geschickt wurden, um Zwangsarbeit zu leisten.

Für den politisch brisanten Fall interessierte sich auch der französische Geheimdienst. Über einen Verbindungsmann brachte man in Erfahrung, dass Weidmann nach Verbüßung seiner Strafe von der Gestapo abgeholt und nach Wiesbaden transportiert worden war. Jemand wie er musste damit rechnen, als "Unverbesserlicher" eingestuft und in "Schutzhaft" genommen, also gleich wieder in ein KZ gesteckt zu werden. Weidmann war nach einigen Tagen im Gewahrsam der Gestapo in die Freiheit entlassen worden. Seiner Aussage nach war er über die Stimmung im Lager befragt worden. Dann hatte er sich nach Paris abgesetzt. Er behauptete, ohne Hilfe und ohne Reisepass die Grenze überschritten zu haben. Den Angaben deutscher Exilanten nach, mit denen er in Frankreich Kontakt gehabt hatte, war das kaum möglich. Hatte er also Glück gehabt oder einen Deal mit der Gestapo gemacht, die ihn nach Frankreich eingeschleust hatte? War das die berufsbedingte Paranoia der Geheimagenten, oder war Weidmann selbst ein Agent? Und wenn ja: Mit welchem Auftrag war er nach Frankreich gekommen?

Weidmann zufolge war es so gewesen: Im Frankfurter Zuchthaus Preungesheim lernte er die Franzosen Roger Million und Jean Blanc und den Deutschen Fritz Frommer kennen. Die Häftlinge verabredeten, sich nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in Frankreich zu treffen und dort einen Schönheitssalon einzurichten, um reiche Leute anzulocken und auszurauben (der nie eröffnete Schönheitssalon ist wohl der Grund dafür, dass Erich von Stroheim in Pièges einen - mit ausgeprägtem Akzent sprechenden - Modeschöpfer spielt). Alternativ wollten sie nach dem Vorbild amerikanischer Gangsterbanden Menschen entführen und Lösegeld erpressen oder auch eine Geldfälscherwerkstatt aufmachen. Der erste Entführungsversuch scheiterte. Der zweite galt einer amerikanischen Tänzerin. Sicot und Primborgne staunten nicht schlecht, als Weidmann ihnen erzählte, dass er jener "Bobby" war, mit dem sich Jean de Koven vor ihrem Verschwinden getroffen hatte.

Die Tänzerin war tot. Weidmann hatte sie, seiner Version des Tathergangs nach, in die Villa Voulzie gelockt, betäubt und später in einem Wutanfall erwürgt, weil es ihr gelungen war, sich von ihren Fesseln zu befreien, sie mit seinem eigenen Revolver auf ihn geschossen und ihn dabei leicht verletzt hatte. Die Leiche lag vergraben im Garten von La Voulzie wie von Weidmann angegeben. Damit war der Name Jean de Koven wieder in aller Munde und ein Thema für die nationale wie die internationale Presse. Dem Magazin LIFE (3.1.1938) etwa waren die "Affäre Weidmann" und das Schicksal der jungen Amerikanerin, die mit ihrer Tante zur Pariser Weltausstellung gereist und dann verschwunden war, eine Doppelseite wert.

Ist es ganz falsch, hier an einen deutschen Film zu denken, den Veit Harlan im Frühjahr 1938 drehte, als die Geständnisse des Eugen Weidmann diesseits und jenseits des Atlantiks für Aufsehen sorgten und die Sensationslüsternen nach La Celle-Saint-Cloud pilgerten, um die Villa Voulzie zu sehen, das "Haus des Schreckens", wo die Souvenirjäger Zaunlatten mitnahmen, im Garten Pflanzen ausgruben und sogar Stücke aus der Hauswand brachen? In Verwehte Spuren reist die Heldin mit ihrer Mutter im Jahre 1867 von Kanada nach Paris, ebenfalls zur Weltausstellung. Bei Harlan ist plötzlich die ältere der beiden Frauen verschwunden, und der Galan, den Mutter und Tochter bei der Ankunft getroffen haben, hilft der jüngeren bei der Suche (statt der Mörder zu sein). Ob das ein Zufall war? Oder werden da Elemente der Affäre neu kombiniert? Auch Weidmann hatte sich eine Weile lang in Kanada aufgehalten, wo er nach Verbüßung einer Haftstrafe (er hatte seinen Arbeitgeber bestohlen) abgeschoben worden war.

In Verwehte Spuren wird der deutsche Serienmörder durch die Pest ersetzt. Sie und nicht ein Dandy aus Frankfurt hat die Mutter umgebracht. Die Behörden haben den Todesfall zum Wohle des Landes vertuscht und alles richtig gemacht. Ein NS-Propagandafilm, so scheint es, steht selbst dann noch auf Seiten der Polizei, wenn er im Ausland spielt (mit dem Paris des Jahres 1867 war ohnehin das von den Nazis regierte Deutschland der Gegenwart gemeint). Robert Siodmak drehte später, in der BRD, mit Nachts, wenn der Teufel kam einen Film, in dem das Reichssicherheitshauptamt die Taten eines Serienmörders vertuscht, weil es in einem Unterdrückungs- und Überwachungsstaat wie dem Dritten Reich nicht sein darf, dass einer jahrelang Menschen tötet, ohne von der Polizei gefasst zu werden. Eine ansteckende, den Volkskörper bedrohende Krankheit passte viel besser in die NS-Ideologie. (Wir werden noch darauf zurückkommen, wenn es demnächst, in der Reihe mit den Nazifilmen, um Robert Koch, der Bekämpfer des Todes geht.)

Drang nach dem Bösen

Weidmann bekannte, seit seiner Kindheit einen "Drang nach dem Bösen" gehabt zu haben (daher auch der Untertitel des zweiten Tatsachenromans zur Affäre: Beaux Ténèbres. La Pulsion du Mal d’Eugène Weidmann von Michel Ferracci-Porri). Einer Theorie nach fand er durch die Ermordung Jean de Kovens Gefallen am Töten, worauf es dann kein Halten mehr gab. Sehr medienwirksam war seine Behauptung, er habe die Tote mit frisch geschnittenen Rosen bestreuen wollen, sich dann aber dagegen entschieden und die nun zu einem Strauß zusammengefassten Blumen mit ins Grab gegeben. Wer wollte, konnte das romantisch finden. Insbesondere bei einem Teil der Damenwelt hinterließen Nachrichten wie die von der Rosenbestattung einen bleibenden Eindruck. So betraten denn auch die so genannten "Weidmann-Girls" die Bühne. Das waren Frauen, die der schöne Eugen in Erregungszustände versetzte, die ihm Briefe ins Gefängnis schickten, Medaillons und sogar ein paar Kätzchen, weil er sich als Katzenliebhaber geoutet hatte. Bei der Exhumierung von Jean de Kovens Leiche durch die Polizei war von Rosen nichts zu entdecken. Aber solche Nebensächlichkeiten spielen bei Phänomenen wie diesem selten eine Rolle.

Das Problem an Weidmanns Geständnissen war, dass sie in den großen Dingen zu stimmen schienen, in den kleinen aber nicht. Die Opfer wurden da gefunden, wo er es gesagt hatte, nach Jean de Koven waren alle durch Genickschuss getötet worden wie von ihm angegeben, und es war richtig, dass Million bei einigen der Morde eine viel aktivere Rolle gespielt hatte als dieser glauben machen wollte (alle Komplizen redeten sich darauf heraus, dass sie schlimmstenfalls unwillige Mitläufer gewesen seien und Angst vor dem Deutschen gehabt hätten). Die Umstände aber, unter denen Jean de Koven angeblich gestorben war, waren so wenig in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen wie viele andere Details, die Weidmann den Ermittlern erzählte. Ob er die Tänzerin wirklich am Tag ihres Verschwindens erwürgte oder später, vielleicht nach der gescheiterten Geldübergabe, ist ungewiss. Ihre Reiseschecks wurden von einer jungen Frau eingelöst, die sich als Jean de Koven auswies. Das war vermutlich Colette Tricot, die frühere Geliebte von Jean Blanc, die danach mit Million liiert war und nach ihrer Verhaftung zur "Ratgeberin" der Weidmann-Gang ernannt wurde. Sicher ist das aber nicht. In den Ermittlungsakten der Polizei tauchte auch die Beschreibung einer Frau auf, die außer ihrer Jugend wenig mit Colette gemein hatte. Weidmann sagte, das sei eine Freundin, die er nicht verraten werde. Jean-Georges Berry, der Untersuchungsrichter, hielt ihn für einen Lügner, dem man nur glauben durfte, was sich unabhängig von seinen Aussagen bestätigen ließ.

Die Rolle von Fritz Frommer blieb ungeklärt, auch wenn er bei Wikipedia der Bande zugeschlagen wird. Das Zuchthaus Preungesheim wurde von den Nazis als Haftanstalt (und Hinrichtungsstätte) für politische Häftlinge genutzt. Als solcher saß der Jude Frommer dort ein, als er Weidmann kennenlernte. Er war Kommunist. Hatte er sich in einen Verbrecher verwandelt, als er ins französische Exil ging? Wurde er, der vermeintliche Komplize, von Weidmann ermordet und im Keller der Villa verscharrt (Frommer ist eines der sechs bestätigten Opfer), weil dieser ihn für einen Polizeispitzel hielt, wie er im Verhör versicherte? Brachte Weidmann ihn im Blutrausch um, oder um an die paar Francs zu kommen, die er bei sich hatte? Gab es Streit um die Beute? Nützte Weidmann seine Bekanntschaft mit Frommer aus, um einen unliebsamen Oppositionellen zu beseitigen, im Auftrag der Gestapo? Man weiß es nicht genau. Der Fall könnte unerwartet vielschichtig sein oder - im Zeitalter der Serienkiller-Inflation - ganz banal.

Wie es mit Eugen Weidmann weiterging beantwortet der zweite Teil. Wenn wir dann zurück zu Phantom Lady kommen werden wir auch wissen, wie es passieren konnte, dass Siodmak ein Highlight der schwarzen Serie Hollywoods drehte, dessen Plot er schon verfilmt hatte, bevor Cornell Woolrich die Romanvorlage schrieb. Leider wird es blutig werden. Das ist nicht zu ändern, weil Weidmann in einem Land mordete, in dem man Leuten wie ihm den Kopf abschlug.

Teil 2: Hinrichtung in Versailles

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.