Philosophischer Schnellschuss zu Wahlmanipulationen
Wie der Bewusstseinsphilosoph Philipp Hübl Cambridge Analytica entschuldigt
Wie manipulierbar ist der Mensch? Zugegeben, die wundersamen Funde der amerikanischen College-Psychologie sollte man mit Vorsicht genießen: Menschen entscheiden moralische Probleme anders, wenn sie ein Glas mit warmem oder kaltem Wasser in der Hand halten? Oder sie gehen plötzlich langsamer, wenn man sie mit dem Altern konfrontiert?
Auch die Willensfreiheitsdiskussion, ausgelöst durch Fehlinterpretationen neurowissenschaftlicher Experimente, war ein Schuss in den Ofen. Das Gehirn entscheidet unbewusst, bevor wir bewusst entscheiden? Interessanterweise zeigt sich die nächste Generation erfolgreicher Hirnforscher - etwa John-Dylan Haynes von der Berliner Charité oder der Groninger Neuropsychiater André Aleman - als sehr anpassungsfähig: Kaum ist die alte Garde wie Gerhard Roth oder Wolf Singer stiller geworden, werden plötzlich die Freiheitsmöglichkeiten des Menschen und seines Gehirns in den Vordergrund gestellt.
Ich stimme also mit dem Stuttgarter Philosophen Philipp Hübl darin überein, dass man das Menschenbild nicht voreilig wegen ein paar medienwirksam inszenierter Experimente über Bord werfen sollte. Hübl hat sich immerhin in seinem Buch "Der Untergrund des Denkens" mit der Philosophie und Psychologie des Unbewussten auseinandergesetzt.
Sein jüngster Kommentar zu den angeblichen Manipulationen bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen wirkt auf mich aber wie ein Schnellschuss. Er kommt auf "Zeit Online" zu dem Ergebnis: "Nicht Facebook hat Trump zum Präsidenten gemacht."
Amerikanische College-Psychologie
Zum einen beruft sich Hübl dabei auf dieselbe Art amerikanischer College-Psychologie, die er an anderer Stelle kritisiert, etwa die Studie von Dana Carney von der Columbia University und Kollegen zum Zusammenhang von Persönlichkeitsmerkmalen und politischen Überzeugungen. Der Befund, dass Menschen mit höherer Offenheit für neue Erfahrungen eher liberal wählen und solche mit höherer Verlässlichkeit eher konservativ, ist wenig überraschend.
Man muss aber dazu sagen, dass die Studie - wie viele andere auch - im Wesentlichen auf den Daten junger Menschen beruht, hier nämlich Studierender der University of Texas in Austin. Sie ist also keinesfalls repräsentativ. Dass die Psychologie gerade in einer Replikationskrise steckt, die viele Befunde in Zweifel zieht, sollte man auch nicht vergessen.
Stamm- oder Wechselwähler?
Zum anderen macht es sich Hübl zu einfach, wo er schreibt, einen Jens Spahn könne man durch unbewusste Beeinflussung durch Werbung nicht zu einem Linken machen, ebenso wenig eine Sahra Wagenknecht zu einer Verfechterin des Neoliberalismus. Um solche glasklaren Fälle geht es bei der Manipulation durch Werbung aber gerade nicht.
Die US-Präsidentschaftswahlen sollte man nicht analysieren, ohne sich mit den tatsächlichen Daten auseinanderzusetzen. Gerade als Philosoph fängt man sich sonst schnell den Vorwurf ein, Philosophie aus dem Lehnstuhl zu betreiben, also am großen Teil der Realität vorbei zu denken und zu analysieren.
Eigenarten des US-Wahlsystems
Eine auch in den USA selbst nicht unumstrittene Eigenart des dortigen Wahlsystems ist, dass der Kandidat mit der Mehrheit der Stimmen nicht automatisch Sieger der Wahlen wird. So kam es beim Duell von Hillary Clinton und Donald Trump zum fünften Mal in der Geschichte des Landes dazu, dass der Verlierer der sogenannten Popular Vote, also schlicht der landesweiten Stimmen aller Wählerinnen und Wähler, trotzdem Präsident wird: Clinton kam mit 65,9 Millionen (48,2%) gegenüber Trumps 63,0 Millionen (46,1%) Stimmen letztlich nur auf 227 der entscheidenden Stimmen der Wahlleute, der sogenannte Electoral Vote, wo Trump 304 erzielte.
Dass die Mehrheitsverhältnisse so umgedreht werden können, ist eine Eigenschaft der geltenden Regeln. Dazu kommt, dass fast alle US-Bundesstaaten nach dem Prinzip vorgehen, dass der Gewinner der einfachen Mehrheit alle Stimmen des Staates bekommt. Das ist insbesondere mit Blick auf Michigan, Pennsylvania und Wisconsin relevant, wo die Wahlleute Trumps nur 0,22, 0,72 und 0,76% mehr Wählerstimmen hatten, aber dann alle 16, 20 und 10 Stimmen an ihn gingen, während Clinton, nur hauchdünn unterlegen, gar nichts erhielt.
Große Bedeutung kleiner Unterschiede
Minimale Unterschiede können durch das US-Wahlsystem also große Auswirkungen haben. Tatsächlich berechnen manche Analysten, wie etwa Hamdan Azhar fürs Forbes Magazin oder der Cook Report, dass in diesen Staaten gerade einmal 78.000 Stimmen - von insgesamt rund 130 Millionen - die ganze Präsidentschaftswahl entschieden haben könnten.
Philipp Hübl macht es sich zu einfach, wo er die Möglichkeit von Wahlmanipulationen durch Cambridge Analytica über das Facebook-Datenleck für unwahrscheinlich hält. Es geht nicht um die Menschen, die in ihren Meinungen politisch fest überzeugt sind, die Jens Spahns oder Sahra Wagenknechts der Gesellschaft. Es geht stattdessen um die Wechselwähler, die bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen, wie eben in den genannten Staaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, den Ausschlag geben.
Wenn es wirklich Wahlmanipulationen gab, dann ging es, im Wesentlichen wegen der Regeln des amerikanischen Wahlsystems, also nicht um das Beeinflussen von Millionen, sondern möglicherweise allein einiger Zehntausend. So einfach und selektiv, wie Hübl es macht, sollte man das nicht von der Hand weisen.
Hinweis: Die Redaktion von ZEIT Online lehnte diese Gegendarstellung ab. Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.