Plan B(erlin) für Bagdad

Irak: Wird die Hauptstadt geteilt?

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Während Beirut derzeit die Nahostberichterstattung dominiert, geht der Bürgerkrieg in Bagdad weiter: 45 Tote durch Bomben am Sonntag. Eine Autobombe tötete 37 Menschen, die sich auf einem Straßenmarkt im Stadteil Sadr City, der von Muktada as-Sadrs Mahdi-Miliz beherrscht wird, aufhielten; eine Straßenbombe, die in der Nähe des City Councils von Sadr-City explodierte, tötete acht Menschen.

Die Regierung hat außerhalb der Grünen Zone nur wenig Einfluss auf die Sicherheit ihrer Bürger in Bagdad; ausgenommen vielleicht das Innen - und das Verteidigungsministerium, denen enge Verbindungen zu Milizen nachgesagt werden.

Gegen die unaufhörliche Folge von Racheakten, gegen das mörderische Treiben der Todesschwadrone und gegenüber Machtkämpfen der unterschiedlichen bewaffneten Gruppen um die Herrschaft über bestimmte Viertel, bzw. um die Ausdehnung ihrer Einflusssphären hatten die über 70.000 Mann starken Sicherheitskräfte, die Premierminister Maliki im Juni unterstützt vom US-Militär aufgeboten hatte, um für Sicherheit und Kontrolle der Hauptstadt zu sorgen (vgl. Mit dem falschen Pass am falschen Ort), offensichtlich keinen Erfolg .

Vor diesem Hintergrund sind die Zweifel groß, ob das erhöhte Aufgebot amerikanischer Truppen, die aus anderen Landesteilen abgezogen werden, um die irakische Regierung in ihrem Versuch zu unterstützen, die Hauptstadt wieder unter Kontrolle zu bekommen, dieses Mal funktioniert.

Der Einsatz ist hoch. Anscheinend gilt jetzt die Strategieregel, wer Bagdad unter Kontrolle hat, der kann auch das Land unter Kontrolle bringen. Von den sunnitischen Hochburgen des Widerstands, von Ramadi, Samarra und Falludscha, die vor nicht all zu langer Zeit noch so wichtig waren, um das "Rückgrat des Widerstands" zu brechen, ist in der Berichterstattung kaum mehr die Rede, in Statements von Politikern gar nicht mehr. Die Vermeidung des Bürgerkriegs - auch wenn er entgegen der offiziellen Sprachregelung längst ausgebrochen ist -, die Bekämpfung der "sectarian violence", hat als beherrschendes Thema den Kampf gegen die Aufständischen abgelöst. Jetzt werden schiitische Milizen mit ihren Verbindungen zu obersten Schaltzentralen in der Regierung als "größere Gefahr" für die Sicherheit Iraks ausgemacht als der sunnitisch geprägte Widerstand. Und Bagdad ist die vorderste Front, das pars pro toto im Irak 2006.

Für die Wahlen im November halten die Republikaner am Thema Irak fest: "Iraq is still front and center." Doch während man im konservativen amerikanischen Lager weiterhin auf gute Nachrichten aus dem Irak hofft, erörtert man in Teilen der irakischen Regierung anscheinend Auswege aus dem Bürgerkriegs-Chaos, die man zu Beginn des amerikanischen Befreiungsfeldzugs noch für völlig absurd gehalten hätte.

Zum ersten Mal tauchte die Meldung über einen "Plan B" am 21.Juli bei Reuters auf: "Der Irak ist als politisches Projekt am Ende", wird ein anonymer hochrangiger irakischer Regierungsvertreter zitiert, dessen Namen die Reporterin Mariam Karouny nicht preisgeben wollte, weil die Regierung Maliki der Verfassung gegenüber verpflichtet sei, die die Teilung des Landes nicht zulässt. Denn die würde jetzt in Regierungskreisen "ernsthaft diskutiert", so die anonyme Quelle:

Die Parteien bewegen sich Richtung Plan B...Es gibt ernsthafte Gespräche darüber, dass man Bagdad in eine Ost- und Westhälfte unterteilt. Wir sind äußerst besorgt.

Nach seinen Angaben stünden sowohl sunnitische, wie schiitische und kurdische Parteien hinter derartigen Plänen.

Die Meldung wurde beinahe wortgetreu vom bekannten Nahost-Korrespondenten Patrick Cockburn in der britischen Zeitung "Independant" veröffentlicht, heute taucht sie in mehreren Publikationen auf. Von offizieller Seite wird dementiert:

Zentrum der Aufmerksamkeit ist jetzt Bagdad, weil die Gewalt zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen zugenommen hat. Es gibt dort Aktionen, welche die Bevölkerung dazu zwingen wollen, ihre Viertel zu verlassen, und beide Seiten (Sunniten wie Schiiten, Anm. d. A.) sind daran beteiligt. Aber die Hauptstadt kann nicht geteilt werden - das kann so nicht funktionieren.

Hoshiar Sebari, irakischer Außenminister

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Ein Dementi, das die Ansicht des Außenministers und wahrscheinlich einiger seiner Kollegen widerspiegelt, aber zugleich als Hinweis darauf gewertet werden kann, dass die Aussage der anonymen Quelle einiges Gewicht hat und die Teilung tatsächlich diskutiert wird. Vielleicht hatte Salam Pax also doch recht mit seiner Zukunftsvision von Bagdad: Leben in Bagdad; de facto existieren in Bagdad schon mehrere Viertel, die festungsgleich abgeschottet sind. In irakischen Blogs wird immer wieder erwähnt, dass man Stunden braucht, um Freunde in einem anderen Viertel zu besuchen, dass die Kontrollen mühselig sind und das Risiko sehr hoch ist.

Da man trotz der bereits durchgeführten "Säuberungsaktionen" durch religiöse Eiferer West- und Ost-Bagdad nicht einfach den Schiiten und Sunniten zuordnen kann, weil die meisten Viertel - auch solche mit überwiegender Mehrheit einer religiösen Gruppe - gemischt bevölkert sind, stößt ein solcher Teilungsplan auf massive Probleme und kann eigentlich nur als Maßnahme zur weiteren Entfachung des Bürgerkriegs verstanden werden. Dass sich immer mehr "säkulare Iraker", viele aus dem wohlhabenderen Mittelstand mit Beziehungen, zur Flucht entschließen und beispielsweise in Jordanien Zuflucht suchen, nährt die Sorgen darüber, wer Bagdads Zukunft bestimmt.