Plastikmüll: "Revolution" im Kapitalismus

Kleinteilige Früchte dürfen in Frankreich noch bis 2026 in Plastikschalen verkauft werden. Foto: Luisella Planeta Leoni auf Pixabay (Public Domain)

In Frankreich dürfen viele Obst- und Gemüsesorten nicht mehr in Plastikverpackungen verkauft werden. Warum ist das nicht europaweit seit 30 Jahren so geregelt?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nennt es eine "echte Revolution", dass in seinem Land seit dem Jahreswechsel viele Obst- und Gemüsesorten nicht mehr in Plastikverpackungen verkauft werden dürfen. Frankreich wolle weltweit führend bei der Abschaffung von Einwegplastik werden und dieses bis 2040 komplett verbieten, sagte Macron laut einem Bericht des britischen Guardian. Also in "nur" 18 Jahren. So sieht eine Revolution im Kapitalismus aus.

Macron ist zudem Verfechter einer Renaissance der Atomkraft, die er auf EU-Ebene bislang erfolgreich als "grün" zu labeln versucht. Die Versäumnisse in Sachen Plastikmüll können seiner Politiker-Generation aber nur zum Teil angelastet werden, denn dieses Problem wurde in Westeuropa schon breit diskutiert, als der heute 44-Jährige noch ein kleiner Junge war. Wer schon damit aufgewachsen ist, dass es immer wieder mal erwähnt wird, muss in den Print- und Online-Archiven deutschsprachiger Qualitätsmedien ziemlich weit zurückgehen, um zu sehen, wann es eigentlich angefangen hat.

Die ersten Einträge stammen aus den 1970er-Jahren. 1987 hatten italienische Inseln mit der "Plastik-Flut" zu kämpfen, wie deutsche Wochenzeitung Die Zeit berichtete. Rund 92.000 Tonnen fielen damals pro Jahr in dem südeuropäischen Land an. In Deutschland im Jahr 2019 waren es 3,2 Millionen Tonnen, bilanzierte zuletzt das Umweltbundesamt.

Mit Recycling-Methoden hatten Hamburger Chemiker schon 1974 experimentiert, weil das Problem schon damals erkannt worden war. Der große Durchbruch hin zur vollständigen Wiederverwertung ist aber bis heute nicht gelungen: Mechanisches Recycling erfordert eine gute Sortierung, um verschiedene Arten von Kunststoffen einschmelzen und aufbereiten zu können. Chemisches Recycling durch Pyrolyse und Gasifizierung gilt wegen des hohen Energieaufwands nach wie vor als unwirtschaftlich.

Ein Großteil der Plastikabfälle wird daher bis heute schlicht verbrannt oder landet in den Weltmeeren. Neben der offensichtlichen Umweltverschmutzung sind sowohl die CO2-Bilanz als auch bisher wenig erforschte gesundheitliche Auswirkungen von Mikroplastik in Essen und Trinkwasser Teil des Problems.

CO2-Bilanz schlechter als gedacht

Laut einer Anfang Dezember veröffentlichten Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich wurde die CO2-Bilanz von Kunststoffen bisher unterschätzt. Ihr Anteil an den weltweiten Emissionen liegt demnach bei gut 4,5 Prozent und toppt damit sogar den Flugverkehr.

Als Hauptursache für die wachsende Treibhausgasbilanz von Kunststoffen identifizierten die Forschenden "die boomende Plastikproduktion in kohlebasierten Schwellenländern wie beispielsweise China, Indien, Indonesien und Südafrika". Allerdings ist damit die "Schuldfrage" nicht so eindeutig geklärt, wie Entscheidungsträger und manche Konsumentinnen es hier gerne hätten, denn diese Länder bedienen damit auch einen Teil der Nachfrage in EU-Staaten. Für die offizielle EU-Klimabilanz spielen hier verkaufte und konsumierte Produkte "Made in China" keine Rolle, wohl aber für das Klima selbst.

Durchdringen der Blut-Hirn-Schranke möglich

Besorgniserregend ist auch die Erkenntnis, dass kleinste Mikroplastikpartikel die Blut-Hirn-Schranke durchdringen können. Dies legte laut einem Bericht des Wissenschaftsmagazins Scinexx kürzlich eine Studie an Mäusen und menschlichen Zellkulturen nahe. Gewarnt wird in diesem Zusammenhang vor Entzündungen, Zellschäden und einem Absterben der Zellen.

Immerhin eine Milliarde Plastikverpackungen will Frankreich bereits in diesem Jahr einsparen. Ausnahmen sind zunächst für Packungsgrößen von mehr als 1,5 Kilogramm und für kleinteilige Obst- und Gemüsesorten vorgesehen. Spätestens 2026 sollen Verbraucherinnen und Verbraucher gar kein Obst und Gemüse in Plastikverpackung mehr kaufen können - auch nicht Kirschtomaten, Pilze oder Beeren.

Wir essen im Durchschnitt rund eine Kreditkarte pro Woche

Der "Strahlemann" Macron musste in diesem Punkt "zum Jagen getragen" werden. Mehr als zwei Millionen Menschen hatten vor dem Verbot eine Petition unterzeichnet, in der die Regierung aufgerufen wurde, die Plastikmüllkrise zu stoppen. Bereits 2019 hatte sich in einer Studie des WWF Frankreich 85 Prozent der Befragten für ein Verbot von Einwegprodukten und Verpackungen aus Plastik ausgesprochen.

Ebenfalls 2019 hatte eine WWF-Studie ergeben, dass im weltweiten Durchschnitt jeder Mensch bis zu fünf Gramm Mikroplastik pro Woche über die Nahrung aufnimmt – das entspricht etwa dem Gewicht einer Kreditkarte. Allerdings werden die Partikel zum größten Teil wieder ausgeschieden. Um die Blut-Hirn-Schranke zu durchdringen, müssen sie kleiner als zwei Mikrometer sein – also zwei Millionstel Meter oder zwei Tausendstel Millimeter. Das Ausmaß der möglichen Langzeitschäden durch ein steigendes Mikroplastik-Aufkommen ist aber noch kaum kalkulierbar.

Neben dem menschengemachten Klimawandel ist dies ein weiteres Beispiel dafür, wie schnell und effizient allein "der Markt es regelt", wenn es gilt, ernste Gefahren für Mensch und Umwelt abzuwenden.

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