Von "Renaissance der Atomkraft" weltweit keine Spur
Anteilig wird immer weniger Atomstrom produziert. Es ist ein "langsam aussterbender Sektor", dem unter anderem Frankreich neues Leben einhauchen will
Frankreich macht innerhalb der EU weiter starken Druck, um einer abstürzenden Atomwirtschaft über den Zugriff auf Subventionstöpfe wieder Leben einzuhauchen. Dabei stellt sich der französische Atomkurs insgesamt immer deutlicher als Desaster heraus. So erhielt der gerade einen neuen schweren Rückschlag in China. Wie kürzlich berichtet sind durch Whistleblower massive Probleme bei den einzigen Reaktoren der sogenannten dritten Generation, die bisher weltweit ans Netz gebracht werden konnten, bekannt geworden.
Diese Probleme könnten dem "European Pressurized Reactor" (EPR), mit dem Frankreich schon vor gut zwei Jahrzehnten eine "Renaissance der Atomkraft" einläuten wollte, endgültig den Todesstoß versetzen.
Der EPR hat offenbar einen "Konstruktionsfehler am Reaktordruckbehälter", weshalb es im südchinesischen Taishan im Laufe des Betriebes zu Gasaustritten kam. Mit Taishan 1 wurde im August der EPR, der als erster EPR weltweit im Dezember 2018 den kommerziellen Betrieb aufgenommen hatte, wieder heruntergefahren.
Dies bestätigte die Vermutung, dass durch starke Vibrationen, die offenbar durch einen ungleichmäßigen Durchfluss von Kühlwasser und starken Turbulenzen im Reaktorbehälter hervorgerufen werden, die Brennelemente beschädigt worden sind. Das gilt wohl auch für die Stahlfedern, an denen die Brennelemente aufgehängt sind und den Gitterrost, in dem der Kern angebracht ist.
Dieses Problem war im Modellversuch in der Reaktorschmiede Creusot Forge schon in den Jahren 2007 und 2008 festgestellt worden, als die Schmiede noch zum Staatskonzern Areva gehörte. Durch das Anbringen einer Stahlplatte unter dem Core habe man versucht, das Problem in den Griff zu bekommen. Auch dieses Vorgehen zeigt, wie fahrlässig Areva mit Sicherheitsproblemen an einem zentralen Bauteil der Sicherheitsarchitektur eines Atomkraftwerks umgegangen war. Da der Konzern auch wegen zahlreicher Skandale um gefälschte Sicherheitszertifikate, in die Pleite abstürzte, wurde der Konzern zwischenzeitlich zerschlagen.
Das ruinöse Reaktorgeschäft von Areva war zuvor unter dem Namen Areva NP ausgelagert worden und firmiert nun unter dem Namen Framatome, wobei sich am Sicherheitsmanagement offensichtlich nicht viel geändert hat.
Siemens bekam bereits kalte Füße
Das legen nicht nur die Vorgänge in Taishan nahe. Framatome ist seit 2018 ein Tochterunternehmen des staatlich dominierten französischen Energiekonzerns "Electricite de France" (EDF), dem weltweit zweitgrößten Stromerzeuger. Framatome (zuvor Areva) hatte den EPR einst gemeinsamen mit Siemens entwickelt. Doch der Münchner Technologiekonzern ist noch vergleichsweise frühzeitig aus dem absehbar ruinösen Projekt ausgestiegen.
Die EDF als Mutterkonzern von Framatome ist wiederum als Minderheitspartner in einem Joint Venture mit der "China General Nuclear Power Group" (CGN) am Atomkraftwerk Taishan beteiligt.
Es wurde in einem Gemeinschaftsprojekt mit der CGN umgesetzt. Es sei "ein großer Erfolg hochmotivierter Team", feierte Framatome das Projekt einst ab. "Das Projekt Taishan 1&2 ist einer der bedeutendsten Aufträge nicht nur für die französische Nuklearindustrie, sondern im Bereich der zivilen Nutzung der Kernkraft überhaupt und es stärkt die Führungsposition von Framatome im Kerntechnikmarkt damit entscheidend", erklärte man 2018 noch.
Angesichts der Serie von Pleiten, Pech und Pannen im finnischen Olkiluoto, wo bekanntlich der erste EPR schon 2009 ans Netz gehen sollte, und im französischen Flamanville, wo dies 2012 geschehen sollte, hatte man in Frankreich große Hoffnungen auf die Volksrepublik gesetzt. Denn China ist noch immer ein Wachstumsmarkt für Atomkraftwerke. Eigentlich gibt es nennenswerte Zuwächse beim Zubau von Atom-Kapazitäten aktuell nur noch in der Volksrepublik, wie auch der letzte "World Nuclear Industry Status Report" gezeigt hat.
Misslungener Befreiungsschlag in China
Trotz des angeblich "großen Erfolgs" in Taishan blieben Folgeaufträge für die Franzosen auf dem chinesischen Markt aus. Das hatte vermutlich gute Gründe, wie die Vorgänge in Flamanville, Olkiluoto und Taishan zeigen.
Wegen der "verfluchten" EPR-Baustellen in Finnland und Frankreich sollten die EPR-Meiler in China zum Muster-Atomkraftwerk und zum Aushängeschild der französischen Atomindustrie werden. Sie sollten ein dem Befreiungsschlag für Framatome, EDF und für die gesamte staatliche Atompolitik werden, doch auch das wird nun zum Rohrkrepierer.
In Europa ist es den Kraftwerksbauern bisher nirgends gelungen, einen EPR ans Netz zu bringen. Allerdings sind derweil die Kosten explodiert, in Flamanville von geplanten 3,3 Milliarden schon auf mehr als 19 Milliarden Euro. Damit explodiert die Verschuldung der EDF, die wiederum die Staatsverschuldung in die Höhe treibt. Nach dem Geschäftsbericht lag die Netto-Verschuldung der EDF 2020 schon bei mehr als 41 Milliarden Euro.
Alles spricht dafür, dass sich angesichts des krampfhaften Festhaltens der EDF und der Regierung am Atomkurs auch nichts daran ändern wird. Deshalb geht sogar das französische Wirtschaftsministerium in einem Bericht davon aus, dass im Jahr 2028 die EDF-Schulden auf rund 57 Milliarden Euro angewachsen sein dürften – was man aber als eher zurückhaltende Schätzung ansehen darf.
Denn bei seinem Rücktritt hatte der EDF-Finanzchef Thomas Piquemal schon 2016 davor gewarnt, dass das EPR-Projekt im englischen Hinkley Point dem Konzern das Genick brechen könne. Der Bau der zwei EPR-Reaktoren könnte den Konzern in "eine ähnliche Situation" wie den Kraftwerksbauer Areva bringen, sagte er. "Wer würde mit 60 bis 70 Prozent seines Vermögens auf eine Technologie wetten, von der man nicht weiß, ob sie funktioniert, obwohl man seit zehn Jahren versucht, sie zu konstruieren", erklärte Piquemal und zog die Konsequenzen aus seiner Kritik.
Dieser kleine Ausflug in die staatliche und hoch subventionierte französische Atomwirtschaft sei vorangestellt, um zu verstehen, warum der "Strahlemann", wie der französische Präsident Emmanuel Macron aus anderen Gründen gerne genannt wird, auf EU-Ebene mit viel Eifer daran arbeitet, dass die Atomkraft in die EU-Taxonomie aufgenommen wird, in der Kriterien für umweltfreundliche Energiegewinnung festgelegt werden.
Denn, das ist auch klar und wurde von Macron längst offen eingeräumt, es stehen hinter seinen Atomplänen starke militärische Interessen. "Ohne zivile Kernenergie, keine militärische Nuklearmacht", hatte Macron freimütig in der Framatome-Schmiede in Le Creusot (einst Creusot Forge) erklärt.
Tatsächlich wurde in der Nacht zu diesem Donnerstag ein Rechtsakt angenommen, der Details der sogenannten Taxonomie regelt. Die EU-Staaten ließen eine Frist verstreichen, in der sie ihn bis Mitternacht hätten ablehnen können.
Umweltorganisationen wie der WWF hatten angesichts der geplanten Kriterien von einer "verschenkten Chance" gesprochen, weil unter anderem auch die "Bioenergie" als nachhaltig eingestuft werden soll – und damit der "industrieller Holzeinschlag und die Nutzung von Holz und Nutzpflanzen als Brennstoff zur Energiegewinnung."
Dass die EU nun sogar die Atomenergie als nachhaltige Energiequelle einstufen will, hat die Kritik weiter angeheizt. So erinnerte der WWF zum Beispiel daran, dass die Bundesumweltministerin und frisch gebackene Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in einem gemeinsamen Statement mit den EU-Umweltminister:innen aus Dänemark, Luxemburg, Portugal und Österreich erst vor wenigen Wochen auf der Weltklimakonferenz in Glasgow erklärt hatte, die Atomkraftnutzung sei mit dem Grundsatz der EU-Taxonomieverordnung unvereinbar.
Denn das Kriterium dafür ist, dass kein nennenswerten Schaden für die Umwelt entstehen darf. "Eine glaubhafte EU-Taxonomie ist der Grundpfeiler für den European Green Deal und die nachhaltige Transformation der Wirtschaft – und zwar für die nächsten Jahrzehnte", erklärte nun der WWF. Die Aufnahme von Atomenergie würde ihrer grundsätzlichen Mechanik von Anfang an die Glaubwürdigkeit nehmen und die Taxonomie würde damit zu einem "beliebigen Instrument für Greenwashing".
Kurz vor der Klimakonferenz war das "Joint Research Centre" (JRC) in einem Bericht für die Europäische Kommission zu dem Schluss gekommen, dass die Atomenergie keinen "signifikanten Schaden" für Mensch und Umwelt anrichte und deshalb als nachhaltige Technologie finanziell gefördert werden könne.
Auswirkungen schwerer Unfälle nicht einbezogen
Mit diesem Bericht, der auch auf massive Kritik stieß, sollte der Weg für die Einstufung der Atomenergie als nachhaltig freigemacht werden und damit der Griff in die europäischen Subventionstöpfe für eine ruinöse Atompolitik.
In einer Untersuchung kamen das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) allerdings zu einem vernichtenden Ergebnis über den JRC-Bericht. Mit Blick auf diese Untersuchung hatten Schulze und andere Umweltminister:innen dem JRC "schwerwiegende methodische Mängel" vorgeworfen.
BASE und BfS resümieren, "dass im JRC-Bericht Schlussfolgerungen getroffen wurden, deren fachliche Herleitung an zahlreichen Stellen nicht nachvollzogen werden kann. Darüber hinaus wurden Themenbereiche mit hoher Umweltrelevanz im JRC-Bericht nur sehr reduziert dargestellt bzw. ausgespart. So werden die Auswirkungen schwerer Unfälle – die es in den vergangenen Jahrzehnten der Nutzung dieser Energieform bereits mehrfach gegeben hat – auf die Umwelt nicht in die Bewertung der Taxonomie-Fähigkeit der Kernenergienutzung einbezogen".
Kritisiert wird auch, dass die mögliche Verbreitung von Atomwaffen und die Risiken für nachfolgende Generationen, die der für hunderttausende Jahre strahlende Atommüll mit sich bringt, entweder nur nur "unvollständig" betrachtet oder bei der Bewertung sogar "ausgespart" worden seien: "Der JRC-Bericht liefert somit einen unvollständigen Beitrag, mit dem die Nachhaltigkeit der Kernenergienutzung nicht umfassend bewertet werden kann", lautet das Fazit.
Trotz allem hat Macron bisher recht erfolgreich an der Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie gearbeitet. Er hat mit der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Deal angerührt, demzufolge neben der Atomkraft auch Erdgas als nachhaltig eingestuft werden soll, was auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) offen unterstützt. Die EU-Kommission wird demnächst eine zweite delegierte Verordnung vorstellen, um beide Formen der Stromerzeugung in die Klimataxonomie aufzunehmen.
Festgelegt werden soll, "welche Wirtschaftsaktivitäten mit dem Übereinkommen von Paris in Einklang stehen", um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, hatte der Wirtschafts- und Währungskommissar Valdis Dombrovskis bei der Vorlage der ersten delegierten Verordnung erklärt. Auf einer Pressekonferenz nahm Dombrovskis nach der Tagung der EU-Finanzminister kürzlich schon vorweg: "Kernenergie und Erdgas sind in naher Zukunft abgedeckt", weil im Energiemix der EU nicht nur mehr saubere und erneuerbare, sondern auch stabile Energiequellen gebraucht würden.
Damit fügte der Lette ein weiteres Kriterium hinzu, das man in der Taxonomie-Verordnung erfolglos sucht. Man bereite gerade den Rechtsakt vor, sagte er. "Auf technischer Ebene laufen die Arbeiten, aber wir haben noch kein konkretes Datum zur Annahme des Vorschlags beschlossen."
Ob Gas und Atomkraft sowie bestimmte forst- und landwirtschaftliche Aktivitäten als nachhaltig eingestuft werden, ist bisher noch nicht festgelegt. Dafür will die EU‑Kommission angeblich bis Ende des Jahres einen weiteren Rechtsakt vorlegen.
Einstufung als klimafreundlich wohl nicht mehr in diesem Jahr
Allerdings wird in diesem Jahr nicht mehr mit der Einstufung der Atomkraft als klimafreundlich gerechnet. Es bleibt also noch etwas Zeit, um zu versuchen, diesen ruinösen Wahnsinn zu stoppen. Hier stellt sich die Frage, wie sich die neue Bundesregierung verhält und ob die bisherige Umweltministerin Schulze zu ihren Aussagen steht. Es ist zu vermuten, dass man in Brüssel schnell Fakten schaffen will, bevor die neue Bundesregierung handlungsfähig ist.
Allen, die nicht ideologisch verblendet an das Thema herangehen, müsste klar sein, dass die Atomkraft zum Klimaschutz praktisch nichts beitragen kann, auch wenn die Atomlobby gerade dieses Pferd populistisch reitet. Schließlich muss jetzt und schnell gehandelt werden. Das gilt auch für den Blackout, der Frankreich in jedem Winter droht. Vor dem hat gerade auch die große US-Nachrichtenagentur Bloomberg gewarnt, da die "Verfügbarkeit" der Atomenergie nun noch geringer ist, nachdem die Covid-Pandemie die Wartung einiger Reaktoren weiter verzögert hat.
Vorsorglich wurde deshalb gerade gestern vom Netzbetreiber bekanntgegeben, dass der Stromexport nach Spanien um 50 Prozent gesenkt wird, um die "nationale Versorgung" angesichts von ausgefallenen Reaktoren im Zentralmassiv zu senken.
Statt Blackout-Gefahren und dem Klimawandel im Land mit einem altersschwachen Atompark zu begegnen, können eigentlich nur Erneuerbare Energien schnell genug helfen. Notfalls könnte auch Erdgas als Übergangstechnologie genutzt werden, da auch Gaskraftwerke relativ schnell gebaut werden können.
Diesen drängenden Fragen geht Macron, auch wenn auch er nun mit der Klimakatastrophe argumentiert, bei seiner Atomstrategie aus dem Weg.
Er macht aber inzwischen – angesichts der riesigen Probleme mit dem EPR – sogar einen großen Bogen um die dritte Reaktorgeneration. Trotz allem präsentiert er weiterhin die Atomenergie als angeblichen Klimaretter.
Zwar spricht der Staatsbetrieb EDF noch vom Neubau von sechs EPR-Meilern in Frankreich, jeweils zwei in Penly (Dieppe), Gravelines (Calais) sowie Bugey (Lyon) oder Tricastin (Orange), doch in Macrons Strategie für einen "Neustart Frankreichs" bis 2030 kam der EPR nicht vor. Frankreich müsse sich dagegen "dringend auf bahnbrechende Technologien und tiefgreifende Veränderungen in der Kernenergie vorbereiten", erklärte er.
Die vierte Generation wird schon angepriesen
Da die dritte Generation längst vor die Wand gefahren ist, setzt der Präsidentschaftskandidat im Vorwahlkampf nun schon auf die vierte Generation und preist nun kleine modulare Reaktionen an. Die "Small Modular Reactors" (SMR) mit einer Leistung bis zu 300 Megawatt (MW) hält er für "vielversprechend".
Ein großes Problem mit diesen SMR ist aber, dass es keine kommerziell verfügbare Kleinreaktoren gibt. Pilotprojekte in Argentinien, China und Russland sind bisher eher enttäuschend verlaufen. Auch aus den Erfahrungen mit dem EPR ist zu schließen, dass kaum damit gerechnet werden kann, dass vor 2035 in Frankreich oder sonst irgendwo in Europa ein SMR ans Netz geht.
Und anders als Lobbyisten und Strahlemänner wie Macron der Öffentlichkeit gerne weismachen wollen, spielt die Atomkraft schon bisher nur eine untergeordnete Rolle. Sie galt auch bisher nicht als ernstzunehmende Alternative zu fossilen Energieträgern. Allerdings erhofft die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) eine Verdoppelung der Atom-Kapazität bis 2050.
Der IAEA-Direktor Rafael Mariano Grossi hatte im September angekündigt, persönlich auf der Klimakonferenz in Glasgow die Botschaft zu überbringen, "dass die Kernenergie Teil der Lösung für den Klimawandel ist und sein muss".
Weltweit eher ein Auslaufmodell
Allerdings zeichnet der neue "World Nuclear Industry Status Report" ein etwas anderes Bild. Es handelt sich dabei um den umfassendsten Bericht über den globalen Zustand der Kernenergie, zu dem der frühere japanische Premierminister Naoto Kan das Vorwort geschrieben hat.
Auch der einstige Verteidiger der Atomkraft kommt darin im Rückblick auf das Desaster vor zehn Jahren in Fukushima zum Ergebnis:
Als Premierminister Japans zum Zeitpunkt der Katastrophe bin ich heute der Meinung, dass die Zeit für Japan und die Welt gekommen ist, die Abhängigkeit von der Kernenergie zu beenden.
Naoto Kan
Neue Atomprojekte seien selten, selbst in Ländern wie Frankreich und den USA, die stark auf die Atomenergie setzten und die Zahl der in Betrieb befindlichen Reaktoren sei rückläufig. Es gäbe nur noch einige Länder, insbesondere China, die Neubauten aktiv vorantrieben.
Anders als die IAEA behauptet, sind nach dem neuen Statusbericht weltweit nicht 444 Atommeiler in Betrieb, sondern nur 415. Das sind schon 23 weniger als im Spitzenjahr 2002 mit 438. Zudem stellt der Bericht fest, dass die Kapazität zwar leicht um 0,4 Gigawatt etwas zugenommen habe, aber die reale Produktion dagegen deutlich abgenommen habe.
Das Durchschnittsalter der Reaktoren steigt
Da der Atompark weltweit immer älter wird, wird er zunehmend auch ineffizienter und gefährlicher. Das weltweite Durchschnittsalter der Atomreaktoren "hat sich seit 1984 stetig erhöht und liegt nun bei etwa 31 Jahren, wobei jeder fünfte Meiler 41 Jahre oder mehr" ausweist, heißt es im Statusbericht. Ein Fünftel aller Meiler haben schon die Betriebsdauer überschritten, für die Reaktoren einst ausgelegt wurden. 278 Reaktoren, zwei Drittel des gesamten Atomparks, sind mindestens seit 31 Jahren in Betrieb, 89 schon 41 oder mehr Jahre.
Der Statusbericht geht davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten deutlich mehr Atomreaktoren vom Netz gehen, als neue gebaut werden. Vermutet wird, dass deshalb Laufzeitverlängerung weltweit zur Regel werden dürfte. Frankreich will die Laufzeit auf 50 Jahre ausweiten, damit die Lichter nicht ausgehen.
In den USA wurden bei 85 von 93 Reaktoren die Laufzeiten schon um weitere 20 Betriebsjahre verlängert. Mycle Schneider ist Hauptautor des Berichts. Der unabhängige Energie‑ und Atompolitikberater und Koordinator des internationalen Teams, das den Statusberichts erarbeitet hat, meint insgesamt: "Wir beobachten einen langsam aussterbenden Sektor."
Da immer neue Reaktoren abgeschaltet werden müssen und man, anders als die IAEA behauptet, mit Neubauten wie aufgezeigt kaum vorankommt, ist die IAEA-Prognose mehr als zweifelhaft. Real ist die Atom-Stromerzeugung im vergangenen so stark zurückgegangen wie nie zuvor. Sie fiel erstmals seit 2012 wieder und nun gleich um fast vier Prozent und 104 Terawattstunden (TWh).
"Außerhalb Chinas fiel die Stromerzeugung aus Kernenergie um 5,1 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 1995", stellt der Bericht fest. China habe erstmals mehr Atomstrom als Frankreich produziert und sei weltweit auf den 2. Rang vorgerückt. Erneuerbaren Energien legten derweil um 13 Prozent zu, wobei die Wasserkraft dabei sogar herausgerechnet wurde.
Deshalb nimmt der Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion weltweit ab. Er betrug im vergangenen Jahr noch etwa 10,4 Prozent. Seit dem Spitzenwert 1996 von 17,5 Prozent hat sich der Anteil inzwischen fast halbiert. Mycle Schneider kommt deshalb zu dem Ergebnis: "Die Kernenergie ist auf dem heutigen Markt für den Neubau von Stromkapazitäten irrelevant."
Es sind eigentlich nur noch fünf Staaten, die massiv auf Atomkraft setzen. Zwar sind weiter in 33 Ländern Atommeiler in Betrieb, doch 72 Prozent des globalen Atomstroms produzieren die USA, China, Frankreich, Russland und Südkorea. Auch einige dieser Staaten zeigen eine rückläufige Entwicklung auf.
Auch in China verliert die Dynamik an Fahrt
Zwar erreichten die USA 2019 einen Produktionsrekord, doch 2020 ist die nukleare Stromproduktion wieder um knapp 2,5 Prozent gesunken. Vier Reaktoren wurden dort in den vergangenen beiden Jahren abgeschaltet. Auch auf dem Atom-Wachstumsmarkt China verliert die Dynamik an Fahrt. Nur noch knapp 4,5 Prozent hat 2020 die Atom-Stromproduktion zugenommen, das ist der tiefste Wert seit 2009.
Was den Klimaschutz angeht, kommt der Statusbericht auch zu keinem aussichtsreichen Ergebnis: "Kernkraftwerke sind anfällig für eine Reihe von direkten und indirekten klimabedingten Störungen", wird festgestellt. "Dies wird sich voraussichtlich noch verstärken, da die Häufigkeit und Intensität extremer Wetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und schwere Stürme aufgrund des Klimawandels zunehmen werden." In Frankreich, Deutschland und der Schweiz mussten zum Beispiel schon Atomkraftwerke heruntergefahren oder heruntergeregelt werden, weil Kühlwasser fehlte. Meiler mussten auch schon abgeschaltet werden, weil sie von großen Waldbränden bedroht waren.
Der Hauptautor Schneider meint deshalb: "Die Klimakrise müssen wir jetzt in den Griff bekommen, nicht in 15 Jahren." Er vermutet, dass mit einer Aufnahme in die EU-Taxonomie der Sektor "vielleicht noch ein bisschen länger" überleben könne. Über die SMR-Reaktoren werde derweil, wie von Macron angeschoben, "völlig faktenfrei" diskutiert.
Auch nach 15 Jahren Forschung gäbe es in der westlichen Welt kaum ein genehmigtes Design, keine Standorte und keine Finanzierung. Atomkraft sei im Kampf gegen den Klimanotstand – "zu teuer, zu langsam". Die SMR-Diskussion ist für ihn eine "orchestrierte Schaumschlägerei und ein Riesenhype."
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