Pluriversum oder: Die Natur mit eigenen Verfassungsrechten

Seite 2: "Ökologische Gerechtigkeit geht immer Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit"

Die deutsche Bundesregierung möchte nun die Mittel für den Weltnaturerbefonds Legacy Landscapes Fund (LLF) aufstocken, und damit unter anderem ermöglichen, dass der Yasuní-Park unter Naturschutz gestellt wird. Was halten Sie von diesem Vorhaben?

Alberto Acosta: Grundsätzlich erscheint es positiv, mehr Ressourcen zu mobilisieren, um den Anforderungen des Umweltschutzes gerecht zu werden. Es ist offensichtlich, dass viele wirtschaftliche Ressourcen erforderlich sind, um den ökologischen Kollaps zu bewältigen. Das ist zwar wichtig, aber nicht genug.

Wir brauchen konkrete Maßnahmen, um uns mit der Natur neu zurechtzufinden, wobei ökologische Gerechtigkeit immer Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit geht.

Überdies kommen viele dieser Projekte, die mit der sogenannten Entwicklungshilfe finanziert werden, letztendlich einer reduzierten Gruppe von Beratern und Experten zugute, mit sehr geringem Nutzen für die indigenen Gemeinschaften und sogar für die Natur selbst.

Diese Art von Projekten dient fast immer eher dazu, das Gewissen der Spender zu beruhigen, als die großen Ziele zu erreichen, mit denen sie präsentiert werden. Diese Logik bewegt sich oft in der perversen Sphäre der Kommodifizierung der Natur. Ich bezahle, also habe ich das Recht zu zerstören, wäre eine Schlussfolgerung, die sich daraus ziehen ließe.

Die ecuadorianische Verfassung sieht auch vor, dass die Natur ein Recht darauf hat, wiederhergestellt zu werden. Aber selbst wenn die Ölförderung in Yasuní eingestellt würde – wäre eine Wiederherstellung des bereits zerstörten Regenwaldes überhaupt möglich?

Alberto Acosta: Eine Wiederherstellung ist in diesen Fällen unmöglich. Eine Ölförderung verursacht schwere und irreparable Schäden an der Natur. Eine Bergbauausbeutung ist wie eine Amputation von Mutter Erde.

Aus dieser Perspektive ist es unter Anwendung der Rechte der Natur notwendig, das bereits Zerstörte zumindest so weit zu reparieren wie möglich, und neue Zerstörungen zu unterlassen, alles im Rahmen postextraktivistischer Prozesse eines Umbaus der Wirtschaft.

Aber das ist nicht genug. Eine andere Welt ist unbedingt nötig. Wir können nicht weiter in die Sackgasse gehen, die uns die Moderne vorgibt, die die Natur als Objekt betrachtet. Dieses und andere Leitbilder der Moderne sind in der Krise.

Sie wurden als Leuchttürme präsentiert, um die Menschheit in Richtung "Entwicklung" zu mobilisieren, aber am Ende erwiesen sie sich für die ausgebeuteten und verarmten Gesellschaften der kapitalistischen Welt als unerreichbare Hirngespinste, während die reicheren Gesellschaften in ihrer eigenen Fehlentwicklung versinken.

Wenn die Natur und alle Lebewesen ebensolche Rechte haben wie wir Menschen, dann müsste doch beispielsweise die Massentierhaltung, letztlich jede Form der Tierhaltung und -nutzung verboten werden. Wie gehen Sie in Ecuador damit um?

Alberto Acosta: Diese Frage wurde in der Verfassunggebenden Versammlung in Ecuador angesprochen, aber es war nicht möglich, eine konkrete Bestimmung zu erlassen, die diese Formen der Tierquälerei verhindert. Die Massenproduktion von Fleisch oder Eiern stellt eine klare Verletzung der Tierrechte dar, also der Rechte der Natur selbst.

Wirtschaftsgruppen, die diese Praktiken vertreten und durchführen, sind sehr mächtig und schützen sich auch mit dem Argument, dass eine Änderung dieser Praxis der Fleischproduktion eine massive Verteuerung vieler Lebensmittel bedeuten würde.

Eine Lösung für diese Herausforderung erfordert nicht nur Gesetze, sondern tiefgreifende Änderungen im Rahmen der Ernährungssouveränität, die Veränderungen im Bereich der Produktion, insbesondere bei Kleinbauern, und auch im Bereich des Konsums beinhalten. Hier muss man viel im kulturellen Bereich arbeiten.

Errungenschaft: "Frei von Gentechnik"

Die ecuadorianische Verfassung verbietet das Einbringen von Organismen und Material, mit dem das genetische Erbgut verändert werden kann. Bedeutet das, dass in Ecuador keine Gentechnik eingesetzt wird?

Alberto Acosta: "Ecuador, ein Land frei von Gentechnik" ist eine der Errungenschaften der Verfassung. Diese Errungenschaft im Lebensmittelbereich wird zwar nicht respektiert, stellt jedoch ein Thema dar, das sogar den Applaus des Europäischen Parlaments im Jahr 2008 bekommen hat. Dort wurde die wirtschaftliche Bedeutung dieser Entscheidung hervorgehoben. Man kann sich leicht vorstellen, was das Potenzial gentechnikfreier Lebensmittelexporte bedeutet.

Dieses Thema ist immer noch Anlass für erneute Kämpfe und Konflikte. Trotz aller Widerstände haben wir einige Errungenschaften zu verzeichnen.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Alberto Acosta: Kurz nach der Verabschiedung der Verfassung wurde auf Druck großer Wirtschaftsgruppen, die vom Verkauf von transgenem Saatgut oder Lebensmitteln profitieren, nach Mechanismen gesucht, um die Einhaltung des Verfassungsauftrags zu umgehen. Im Jahr 2019 konnten die Versuche der Regierungen selbst, diese verfassungsmäßige Sperre zu durchbrechen, durch eine Klage gestoppt werden.

Nachdem an der ecuadorianischen Küste transgene Sojabohnen gefunden wurden, ordnete ein Gericht in der Stadt Quevedo die Überwachung, Beschlagnahme und Verbrennung aller transgenen Pflanzen an. Aber in der Gerichtsverhandlung über transgene Sojabohnen sagte das Landwirtschaftsministerium, dass es in Sachen Saatgutschmuggel nicht zuständig sei.

Auf die eine oder andere Weise kommt die offensichtliche Komplizenschaft zwischen Regierungen und großen Wirtschaftsgruppen zum Vorschein. Der Kampf ist komplex, aber er geht weiter.