Polen: Regierung hält an Justizreform fest
Präsident will zwei Gesetze nachbessern lassen
In Polen verabschiedeten Ober- und Unterhaus in den letzten Wochen mehrere Gesetze, die eine Reform der polnischen Justiz zum Ziel haben. In Brüssel, in Berlin und von der Opposition im polnischen Parlament wird dieser Umbau kritisiert: Ein zentraler Punkt dieser Kritik ist, dass der Sejm zukünftig über die personelle Bestückung eines Landesrichterrats entscheiden soll, der Richter ernennt. Damit, so die Kritiker, entscheide das Parlament indirekt auch über Richterposten, was ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei.
Gegen zwei der Gesetze, die den Obersten Gerichtshof und den Landesrichterrat betreffen, legte der polnische Staatspräsident Andrzej Duda gestern sein Veto ein. Duda war bis zu seinem (der Amtsannahme geschuldeten) Parteiaustritt Mitglied der regierenden Prawo i Sprawiedliwość (PiS), die im Europaparlament der von den britischen Tories geführten Fraktion der "Konservativen und Reformer" (EKR) angehört. Er hält eine Justizreform zwar für grundsätzlich notwendig, regt jedoch Änderungen an, zu denen er demnächst weitere Details bekannt geben will. Diese Änderungen sollen den Worten des promovierten Rechtswissenschaftlers nach sicherstellen, dass die Reform nicht gegen die polnische Verfassung verstößt und die Nation nicht spaltet.
Qualifizierte Mehrheiten
Beobachter vermuten, dass die Änderungsforderungen Dudas unter anderem die qualifizierten Mehrheiten betreffen könnten, die sicherstellen sollen, dass regierende Parteien den Landesrichterrat mit neutralen oder Konsenskandidaten bestücken. Dass sich die Judikative nicht ausschließlich selbst verwaltet, sondern von Entscheidungen der Ministerien und Parlamente abhängt, wäre keine polnische Besonderheit, sondern ist auch in Deutschland geltende Rechtslage (vgl. Kritik an polnischer Justizreform: Sitzt Deutschland im Glashaus?).
Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydło bedauerte gestern, dass Dudas Veto die Reform verlangsame, erklärte aber ihre Bereitschaft zu Diskussionen über Detailfragen. Diese dürften jedoch nicht zu einem "Stillstand" führen, weil man "dem Druck der Straße und aus dem Ausland nicht nachgeben" könne. Vorher hatten in Warschau und anderen Städten Gegner der Gesetze demonstriert, die unter anderem von Stanisław Gądecki, dem Vorsitzenden der katholischen polnischen Bischofskonferenz, und vom ebenfalls sehr katholischen Ex-Präsidenten Lech Wałęsa Rückendeckung erhielten.
EU droht mit Stimmrechtsentzug und Mittelkürzung
Szydło Hinweis auf Druck aus dem Ausland bezieht sich nicht nur auf die Kritik deutscher Regierungspolitiker wie Sigmar Gabriel und Heiko Maas, sondern auch auf Brüssel: Dort hatte EU-Rechtssetzungskommissar Frans Timmermans die polnische Staatsführung letzten Mittwoch vor einem Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages gewarnt, wenn sie die Justizreformgesetze in Kraft treten lässt. Zur Begründung führte Timmermanns eine "Gefahr für den Rechtsstaat" ins Feld.
Ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages kann - anders als ein reguläres Vertragsverletzungsverfahren - einen Stimmrechtsentzug zur Folge haben. Dafür müssten sich die anderen Länder aber einig sein, dass ein "schwerwiegender und anhaltender Verstoß" gegen EU-Grundwerte vorliegt - und die ungarische Staatsführung hat bereits durchblicken lassen, dass sie solch einen Verstoß nicht vorliegen sieht.
Ohne Einstimmigkeit könnte die EU die polnische Justizreform lediglich prüfen lassen, was - je nach Ergebnis - eventuell auch ungeplante Folgen für die Justizsysteme anderer Länder haben könnte, zum Beispiel für das deutsche (siehe oben). Einige EU-Politiker drohen deshalb mit negativen finanziellen Folgen für Polen, die keine solchen Risiken für die Regierungen anderer EU-Länder bergen.
Unterschiedliche Vorstellungen über Zukunft der EU
Hintergrund des schlechten Verhältnisses zwischen Brüssel und Warschau sind auch unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft der EU: Während Kommissar Jean-Claude Juncker eine "Vertiefung" der "Union" vorschwebt, plädiert Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS, für eine Beschränkung auf zentrale Bereiche wie den gemeinsamen Markt.
Während Junckers Position unter anderem von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron geteilt wird, gewannen Sichtweisen wie die Kaczyńskis in den letzten Jahren vor allem in den Gebieten der EU, die früher (ebenso wie das polnische Galizien) zur K.u.K-Monarchie gehörten, an Anhängern: In Tschechien, in Ungarn, in der Slowakei und in Österreich, wo der in den Umfragen klar führende Kanzlerkandidat Sebastian Kurz im März konkrete Vorschläge für eine EU-Verschlankung präsentierte (vgl. EU-Reform: Juncker vs. Kurz).
In der polnischen Parteienlandschaft und im polnischen Parlament vertritt Junckers Position vor allem die Platforma Obywatelska (PO) des kaschubischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Ihre 24,09 Prozent Stimmenanteil reichten bei der letzten Wahl nur für 138 der insgesamt 460 Sitze im Sejm. Drittstärkste Kraft wurde mit 8,81 Prozent und 42 Sitzen die vom Rockmusiker Paweł Kukiz neu gegründete Anti-Establishment-Bewegung Kukiz’15, die noch EU-kritischer ist als Kaczyńskis PiS. Einigt sie sich mit der PiS, könnten die beiden Parteien bei Richterwahlentscheidungen zusammen auf eine Drei-Fünftel-Mehrheit im Sejm kommen.