Polen gewinnt OPAL-Gasleitungsstreit vor EU-Gericht
Warschau sieht das Verbot einer Auslastung zu hundert Prozent als Präzedenzentscheidung für Nord Stream 2 - Altmaier will niederländische Gasversorgungslücke auch mit "grünem Wasserstoff" schließen
Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hob gestern eine Entscheidung der EU-Kommission von 2016 auf, die es Gazprom erlaubte, die Kapazität der OPAL-Erdgasleitung zu 100 Prozent auszuschöpfen (Az: T-883/16). Diese OPAL-Erdgasleitung transportiert russisches Erdgas aus der bereits bestehenden und in Deutschland anlandenden Unterwasserpipeline Nord Stream 1 nach Tschechien. Vor der Entscheidung der EU-Kommission mussten 50 Prozent ihrer Kapazität für theoretische andere Anbieter reserviert werden, auch wenn es diese praktisch gar nicht gibt.
Die polnische Regierung hatte gegen den Brüsseler Beschluss mit dem Vorwurf geklagt, er gefährde die Versorgungssicherheit in Polen und anderen Ländern, weil dann potenziell weniger Gas durch die dortigen Pipelines fließe. Das Gericht gab dieser Klage statt und begründete seine Entscheidung mit einer seiner Ansicht nach nicht ausreichende Prüfung der Auswirkungen der Genehmigung auf diese Versorgungssicherheit und der "umfassenderen Aspekte des Grundsatzes der Solidarität im Energiesektor".
Folgen für Gastransit durch die Ukraine
Der polnische Energieminister Krzysztof Tchórzewski lobte das vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anfechtbare Urteil gestern als "Außerkraftsetzung des Gazprom-Monopols". Das sei vor allem "angesichts des bevorstehenden Endes des Vertrages über den Transit von russischem Gas durch die Ukraine von großer Bedeutung". "Zieht man in Betracht", so Tchórzewski, "dass die Möglichkeiten zur Nutzung der OPAL-Pipeline eingeschränkt sind", werde "Gazprom gezwungen sein, die Nutzung von Nord Stream zu reduzieren" - und das werde es dem russischen Staatsunternehmen "wahrscheinlich nicht erlauben, den Gastransit durch die Ukraine komplett einzustellen".
Deren Staatsführung verhandelt ab nächste Woche mit Russland und der EU-Kommission über einem "langfristigen Transitvertrag". Ende August schloss das Land außerdem ein Kooperationsabkommen mit Polen und den USA, das eine Weiterleitung von potenziell sechs Milliarden Kubikmeter Flüssigerdgas in die Ukraine vorsieht. Dazu sollen für 4,5 Milliarden Kubikmeter neue Gas-Konnektoren gebaut werden. Kurz vorher hatte der staatliche polnische Energiekonzern PGNiG einen bis 2042 laufenden neuen Liefervertrag geschlossen, der dem PGNiG-Manager Piotr Woźniak nach dafür sorgen soll, dass das amerikanische Flüssigerdgasgas trotz der hohen Förder- und Transportkosten preisgünstiger ist als russisches Erdgas.
Groninger L-Gas fällt bereits ab 2022 aus
Dafür wird eine andere außerrussische Gasquelle deutlich schneller versiegen als gedacht, wie heute bekannt wurde: Der niederländische Wirtschaftsministers Eric Wiebes hat dem dortigen Parlament nämlich brieflich zugesichert, die Erdgasförderung in Groningen nicht wie vorher geplant 2030, sondern schon Mitte 2022 einzustellen. Hintergrund ist ein Erdbeben im Januar letzten Jahres, das man mit der Erdgasförderung dort in Verbindung bringt.
Drei Millionen Haushalte mit etwa zehn Millionen Personen in Nord- und Westdeutschland müssen ihre Heizanlagen deshalb möglicherweise schneller als gedacht vom brennwertärmeren Groninger L-Gas auf das brennwertreichere norwegische oder russische H-Gas umstellen. Weil die Lieferverträge noch bis 2029 laufen, versprechen die Niederländer zwar, als Ersatz russisches H-Gas in L-Gas umzuwandeln - aber die Kapazitäten dafür fehlen bislang.
Altmaier will im Oktober Eckpunktepapier vorlegen
Während sich Stefan Dohler, der Vorstandschef des Oldenburger Energieversorger EWE, angesichts dieser Herausforderung eher besorgt zeigte, versuchte Peter Altmaiers Bundeswirtschaftsministerium das Handelsblatt mit dem Hinweis zu beruhigen, die "Gasversorgungssicherheit in Deutschland" sei "sehr hoch" und "die Gasmärkte […] derzeit sehr liquide". Im Oktober will Altmaier außerdem "Eckpunkte" dazu vorlegen, wie Erdgas "insbesondere nach 2030" durch "strombasierten Gase […] substituiert" werden soll.
Die Pläne dazu sehen vor, dass Strom aus Photovoltaikanlagen und Windrädern in Zeiten von Überkapazitäten dazu genutzt wird, über Elektrolyse Wasserstoff zu erzeugen. Aus diesem Wasserstoff lässt sich dann beispielsweise Methangas gewinnen, mit dem geheizt werden kann. Um den über lange Strecken eher schwierig zu transportierenden Wasserstoff ohne Umwandlung zur Wärmegewinnung einzusetzen, müsste man die Infrastruktur sehr aufwendig umbauen.
Wirtschaftlich sind solche effizienzverlustreichen Power-to-Gas-Verfahren bislang jedoch nicht. Die Unternehmensberatungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG) warnt deshalb in einer neuen Studie vor einem "gefährlichen Hype" und dem Ausgießen von Fördermilliarden mit der Kanne, anstatt sich auf Anwendungen zu konzentrieren, in denen sich "grüner Wasserstoff […] langfristig wirklich durchsetzen kann". Nach Ansicht des Studien-Mitautors Frank Klose finden sich letztere "vor allem in der Industrie, außerdem im Schwerlast- beziehungsweise Flug- und Schiffsverkehr". Anderer Meinung ist Nils Aldag, ein Mitgründer des Dresdner Power-To-X Start-Ups Sunfire. "Wo der Einsatz von grünem Wasserstoff sinnvoll ist", kann seiner Ansicht nach "nicht pauschal entschieden werden".
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