Polen und Österreich - zwei rechte Brüder?
Seite 3: Die "blauen" Wähler - Angst vor dem Abstieg
- Polen und Österreich - zwei rechte Brüder?
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Man könnte annehmen, dass auch in Österreich die gesellschaftlichen "Verlierer" für eine "blaue Wende" gestimmt hätten. Die österreichische Wirtschaft läuft im Gegensatz zur polnischen bereits seit einigen Jahren schlechter, die Arbeitslosigkeit erreicht mit über 6 Prozent (Eurostat-Berechnung) den höchsten Wert seit dem Zweiten Weltkrieg und die Voraussagen zeigen einen weiteren Anstieg.
Sieht man sich die Wähleranalysen genauer an, so ergibt sich ein paradoxes Bild. Norbert Hofer konnte vor allem im ländlichen Raum große Mehrheiten einfahren, in jenen Gegenden, in denen es nur relativ wenige Ausländer gibt und die Menschen einen überdurchschnittlich hohen Lebensstandard genießen. Wie der Eurostat vor wenigen Wochen bekanntgab, ist Österreichs Landbevölkerung EU-weit am wenigsten von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Dabei bekam der FPÖ-Kandidat gerade dort weit über 60 Prozent der Stimmen, während der ehemalige Grüne Van der Bellen in urbanen Ballungsräumen, etwa in Wien und Graz - beides Städte mit einem hohen Ausländeranteil und stark angestiegener Arbeitslosigkeit - punkten konnte.
Nicht nur Österreichs Landbevölkerung geht es gut, die Alpenrepublik gehört trotz Krise nach wie vor zu den wohlhabendsten Ländern der Erde. Das mittlere Jahreseinkommen liegt bei knapp 25.000 Euro und damit belegt Österreich auf der Liste der weltweit reichsten Länder den 12., in der EU gar den 2. Platz (Ranking des World Economic Forums 2015). Das Sozialnetz ist eng geknüpft, ein österreichischer Bezieher der sog. Mindestsicherung bekommt 838 Euro im Monat, das ist immerhin doppelt so viel wie eine polnische Krankenschwester im Monat verdient.
Während also die wirtschaftsliberale polnische Regierung für die soziale Blindheit, ihre Arroganz der Macht abgestraft wurde und das Land tatsächlich immer noch mit immensen Problemen sozialer und wirtschaftlicher Ausgrenzung zu kämpfen hat, hat fast die Hälfte der Österreicher gegen ein bisher offenbar erfolgreiches Model gestimmt. Wenn es den Österreichern so gut geht, wie konnte die Wählerschaft ihrer Regierung einen derart negativen Denkzettel verpassen?
Laut der Wahlforschung des Wiener Politikwissenschaftlers Fritz Plasser waren das mangelnde Vertrauen in die Politik sowie soziale und finanzielle Abstiegsängste bei der Stichwahl entscheidend. Dass man die Erlösung gerade in einer rechtsnationalen Politik erwartet, ist verwunderlich. Sowohl die PiS (2005-2007) als auch die FPÖ (2000-2005) waren bereits an nationalen und lokalen Regierungen beteiligt. Sowohl Kaczynskis Partei als auch die Freiheitlichen hinterließen ein politisches Chaos, welches gerade in Österreich bis heute schwer nachwirkt. Erinnert sei hier an die Skandale um die Bank Hypo Alpe-Adria oder um den FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der nun wegen Korruption angeklagt wurde. Das politische Gedächtnis ist in beiden Ländern offenbar sehr kurz.
"Flüchtlingskrise" war zuletzt Erfolgsfaktor für die FPÖ
Im Unterschied zu Polen, aber ähnlich wie im Falle des Front National in Frankreich oder der AfD in Deutschland, war der wohl größte Katalysator des Wahlerfolges der FPÖ die sog. "Flüchtlingskrise". Im Zuge der "Willkommenspolitik" Deutschlands und später als Folge von zunehmend restriktiver werdenden Grenzkontrollen kamen letztes und dieses Jahr weit über 100.000 Menschen aus den Krisengebieten des Nahen Ostens und dem Afghanistan in das nur 8 Millionen zählende Österreich.
Die Koalitionsregierung unter Kanzler Faymann von der SPÖ handelte oft ziel- und orientierungslos: Mal beschwor sie die Grundwerte der EU und die Menschenrechte und kritisierte osteuropäische Länder, allen voran Ungarn, scharf für die Grenzzäune und ihre "Inhumanität" den Flüchtlingen gegenüber, um wenige Wochen später überhastet selbst Mauern und Grenzkontrollen hochzuziehen. Viele Menschen reagierten auf diese Entwicklung mit Unverständnis und Ärger.
Ein weiterer Faktor, der für Angst und Unsicherheit sorgt, ist der Migrationsdruck innerhalb der EU. Laut der OECD ist Österreich das Land, in das, gemessen an der Bevölkerung, die meisten Menschen aus einem anderen EU-Land einwandern. Neben Deutschen sind es vor allem die billigen osteuropäischen Arbeitskräfte, die den Arbeitsmarkt unter Druck setzen. Die Politik ignorierte lange Zeit die daraus entstandenen Verwerfungen. Sogar die Österreichische Arbeiterkammer verlangt inzwischen eine Abschottung des Arbeitsmarktes.
Auch erscheint das verkrustete Proporzsystem, in dem seit der Erlangung der Unabhängigkeit Österreichs im Jahre 1955 beide Großparteien die Institutionen des Landes untereinander quasi aufgeteilt haben, für viele als überholt und korrupt. Die Präsidentschaftskandidaten der beiden etablierten Großparteien bekamen mit jeweils weniger als 10 Prozent der Stimmen in der ersten Stichwahl eine bisher nie gekannte Abfuhr.
Norbert Hofer sprach dem "kleinen Mann" aus dem Herzen, als er die vielen Ängste thematisierte: den Wirtschaftsabschwung, die Flüchtlingsproblematik, den Proporz. Gleichzeitig wurde seine "blaue Gesinnung" in den Hintergrund gerückt, das gekonnte Lächeln und das Meistern der NLP-Methoden im Umgang mit den Medien und den Kontrakandidaten erledigten den Rest. Damit wurden neue Wählerschichten, vor allem bisherige SPÖ und ÖVP-Wähler angesprochen.