Politiker planen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung
Merkel will EU-Kommission zur raschen Ausarbeitung einer neuen Richtlinie drängen
In Frankreich konnte die zwölfmonatige Vorratsdatenspeicherung, die es dort seit 2006 gibt, weder das Massaker an der Charlie-Hebdo-Redaktion noch die Morde an jüdischen Supermarktkunden und Polizeibeamten verhindern. Dank ihr weiß man jetzt lediglich, dass die flüchtige Hayat B. im letzten Jahr etwa 500 Mal mit der Ehefrau des Attentäters Cherif Kouachi telefonierte. Inwieweit das wesentlich zu Wahrheitsfindung beitragen kann, ist offen. Aber weil beide Personen als Extremisten bekannt waren, hatte man dazu in jedem Fall nicht die Telefon- und Internetverbindungen der gesamte Bevölkerung anlasslos überwachen müssen.
Trotzdem treten deutsche Politiker nach den Anschlägen mit Forderungen nach einer Wiedereinführung dieses vom Bundesverfassungsgerichten gestoppten Instruments an die Öffentlichkeit: Der baden-württembergische CDU-Abgeordnete Thomas Strobl (der bei einer Mitgliederbefragung zur Auswahl des Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2016 Ende letzten Jahres überraschend dem relativ unbekannten Guido Wolf unterlag) sagte dem Spiegel in diesem Zusammenhang, "jeder Tag ohne die Vorratsdatenspeicherung" sei "für die Sicherheit der Bürger ein verlorener Tag". Dabei geht es seinen Worten nach nicht um "Totalüberwachung" oder "Temposünder" [sic], sondern um "organisierte Kriminalität, Kinderpornografie und Terrorismus".
In den alten Vorratsdatenspeicherungsgesetzen hatten aber weder Deutschland noch Österreich die Verwendbarkeit der gespeicherten Daten auf diese Bereiche begrenzt. In der Praxis zeigte sich dann in der Alpenrepublik, dass von 354 Abfragen 2013 keine einzige zur Terrorismusbekämpfung erfolgte. Stattdessen ermittelten die Behörden damit wegen des Verdachts auf Diebstahl (113 Fälle), Drogen (59 Fälle), Raub (52 Fälle), Stalking (43 Fälle), Betrug (38 Fälle) und Bedrohung (16 Fälle).
In der SPD, wo der Kindernacktbildkonsument Sebastian Edathy bis Ende 2013 noch zu den eifrigsten Befürwortern einer Vorratsdatenspeicherung zählte, gibt sich der in der Affäre angeschlagene Bundestagsfraktionsvorsitzende Thomas Oppermann etwas zurückhaltender als früher. Er spricht nun von "Augenmaß" und von "hektischem Aktionismus", den er nicht wolle. Vor einer Wiedereinführung, so Oppermann, müsse die EU-Kommission einen Ersatz für ihre vom EuGH als grundrechtswidrig kassierte Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie vorlegen.
Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel fordert in der Süddeutsche Zeitung eine solche Abstimmung auf europäischer Ebene. Damit ist der Vizekanzler offenbar einer Meinung mit Angela Merkel, die gestern im Bundestag ankündigte, sie werde die EU-Kommission nun dazu drängen, die angekündigte Richtlinine "zügig vorzulegen". Weil sich die Innenminister von Bund und Ländern "parteiübergreifend einig" seien, könne man sie anschließend gleich in deutsches Recht umsetzen.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte dagegen am Montag in einem Interview mit dem Deutschlandfunk verlautbart, er halte eine Vorratsdatenspeicherung für "völlig kontraproduktiv", weil sie unter anderem zu "mehr Überwachung von Presse und Journalisten" führt. Mit ihrer Wiedereinführung würde man deshalb "genau das machen, was die Terroristen eigentlich wollen, nämlich unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat einzuschränken". Ob er nach den aktuellen Äußerungen der Kanzlerin und des SPD-Parteichefs bei dieser Meinung bleibt, ließ sich gestern nicht mehr klären. In seinem Ministerium hält man es jedoch für "kaum vorstellbar", dass sich nach dem Urteil des EuGH vom April 2014 eine "anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten" verwirklichen lässt.
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