Politisches Klima: Angst ist Chef der Gefühle
ARD-Deutschland-Trend: 81 Prozent der Deutschen sind beunruhigt. Großer Konsens bei Ängsten und Sorgen. Ist die AfD noch eine Protest-Partei?
Was für ein Land: Knapp drei Viertel der Deutschen haben, was ihre persönliche wirtschaftliche Lage betrifft, nichts zu klagen. 62 Prozent beurteilen sie als gut, 12 Prozent als sehr gut. Und doch sind sie sehr beunruhigt. 81 Prozent finden, dass die Verhältnisse derzeit in Deutschland eher Anlass zur Beunruhigung geben.
Die politische Stimmung in Deutschland im Herbst 2023 hat eine 26-seitige repräsentative Studie von Imap aufgezeichnet, ein aktuelles Extra zum ARD-DeutschlandTrend. Die Frage, die die Tagesschau dazu in ihrem Bericht stellt, lautet: "Wie rechts denkt Deutschland?"
Damit öffnet die Umfrage schon ein Raster. Beherrscht ist es von Sorge und Beunruhigung vor dem Aufwind, in dem sich die AfD befindet.
So richten sich auch die Fragen nach der Angst vor dem wachsenden Zuspruch für die rechtsnationalistische Partei. Interessant ist, was das zutage fördert: Dass nämlich viele die Sorgen und Beunruhigungen teilen, die die AfD-Anhänger nach vorne stellen.
Größte Sorge: Kriminalität
Als größte Sorge nennen die Befragten in ihrer Gesamtheit: Kriminalität, mit 65 Prozent (bei AfD-Anhängern sind es 96 Prozent). Als drittgrößte Sorge wird von 48 Prozent genannt, dass "zu viele Fremde nach Deutschland kommen" (bei den AfD-Anhängern sind es 85 Prozent).
Knapp gefolgt wird von 47 Prozent der Befragten als nächstgrößte Sorge genannt, dass man den Lebensstandard nicht mehr halten könne (bei der AfD sind es 78 Prozent).
Dem folgen Sorgen, die mit der Kultur zu tun haben, dass der Einfluss des Islam zu groß wird (46 Prozent generell, 81 Prozent bei der AfD), dass "wir einen Verlust der deutschen Sprache und Kultur erleben werden" (generell 45 Prozent, bei der AfD sind es 85 Prozent, gleichauf und passend zur Angst vor Überfremdung).
Insgesamt haben knapp 40 Prozent haben die Sorge, dass die "einseitige Unterstützung für die Ukraine Deutschland schwächt". Bei den AfD-Anhängern sind es 79 Prozent.
Der große Unterschied
Ausgelassen ist in dieser Aufzählung Platz 2 der Sorgen, der einzig einen eklatanten politischen Richtungsunterschied, eine grundsätzlich andere Einstellung, aufzeigt: Die Sorge, "dass der Klimawandel unsere Lebensgrundlage zerstört". Insgesamt äußern 65 Prozent der Befragten diese Sorge. Bei den AfD-Anhängern machen sich 65 Prozent diese Sorge eben nicht.
Bis auf diese deutliche Gegensätzlichkeit zeigt sich ein Trend, wenn es um Beunruhigung und Sorgen, Ängste geht, aus dem die AfD politisches Kapital schlagen kann. Müßig darauf zu verweisen, dass dies beim Thema Zuwanderung und Zuwanderungspolitik nicht anders aussieht.
Der Konsens
Mit Ausnahme der Anhänger der Grünen gibt es keine Anhänger einer Partei, die die Frage: "Kann Deutschland gegenwärtig die Aufnahme von Zuwanderern bewältigen?" mehrheitlich positiv beantwortet (bei den AfD-Anhängern beantworten 95 Prozent die Frage mit nein).
Bei der Frage danach, ob dem es "dem Staat die Kontrolle darüber gelingt, welche und wie viele Zuwanderer in die Bundesrepublik kommen", ist die Mehrheit, 81 Prozent, davon überzeugt, dass ihm dies nicht gelingt. Darüber herrscht auch Einigkeit der Anhänger aller Parteien.
Wobei auch hier die AfD-Anhänger wieder die ausgeprägtesten Werte haben: 94 Prozent von ihnen sind davon überzeugt, dass dem Staat die Kontrolle nur "weniger gut oder schlecht" gelingt.
So entsteht im großen Umfrage-Bild der Eindruck, dass die AfD auf einen Konsens aufbauen kann, der in allen Parteien gegenwärtig ist. Kann sie denn da noch als pure Protest-Partei abgehandelt werden?
Sie hat sich verfestigt, das geht aus dem ARD-DeutschlandTrend hervor. Das rechte politische Milieu habe sich zwar in der Größe nicht verändert, es werde aber von der AfD "deutlich stärker gebunden als bisher", so die Analyse von Jörg Schöneborn. Die Anhängerschaft fühle sich durch rechtsextreme Strömungen "wenig abgeschreckt".
In der Umfrage stimmten 80 Prozent der befragten AfD-Anhänger der Aussage zu: "Es ist mir egal, dass die AfD in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht."
Dazu gibt es die Feststellung: "Mehr als die Hälfte der AfD-Anhängerschaft (55 Prozent) kann sich vorstellen, künftig auch eine andere der Bundestagsparteien zu wählen, im Westen ist der Anteil etwas höher, im Osten niedriger."
Die Rechten prägen die politische Stimmung
Ist das eine Basis für Merz und Co., dass man die Anhänger mit bodenlosen Kracher-Aussagen, wie etwa zum leicht erworbenen kostenlosen neuen Gebiss für Migranten, auf die Unionsseite ziehen kann? Weil das Diktum vom Original, das trotz solcher Anbiederungen gewählt wird, in Zeiten der Unsicherheit nicht mehr ganz stimmt? Weil Wähler in der bürgerlichen Mitte zwar in der gleichen politischen Unterströmung stehen, aber mehrheitlich kein Kreuz bei der extremen rechtsnationalistischen Partei machen?
Die Rechten prägen die politische Stimmung, die Linke hat keinen Ansatz, dem etwas entgegenzusetzen. Wie sich Debatten gerade zugunsten der AfD ausrichten, die dort die krassen Pflöcke setzt, zeigt auch die Umfrage.
Vieles, was das tägliche Leben ausmacht, Arbeit, Arbeitsverhältnisse, Arbeitsdauer, Einkommen, Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung, Leben und Arbeit auf dem Land im Unterschied zur Stadt, die Lebensunterhaltskosten, das soziale Gefälle, wie sich Produktion und Erwerbstätigkeit ändern, was dort mitzugestalten wäre: Wirtschaftsfragen - all' dies kommt in der Umfrage nicht vor oder einzig nur als Frage nach der Angst vor einer Veränderung des Lebensstandards.
Dass dies nicht angesprochen wird, entspricht ganz dem politischen Repertoire der AfD, mit dem sie Kasse bei Diskussionen und in Umfragen macht.