Polizei gegen Dokumentarfilm: Wie weit darf Kritik an der Justiz gehen?
In Braunschweig beendete die Polizei eine Filmvorführung mit justizkritischem Inhalt. Der Filmemacher fühlt sich bestätigt. Auch wegen der Rolle einer lokalen Richterin.
Wie viel darf Kritik an der Justiz gehen, wie weit reicht Pressefreiheit? In Braunschweig in beiden Fällen offenbar nicht weit. Das liegt an der örtlichen Polizei und an einer Richterin. Doch der Reihe nach.
Die Polizei hat in Braunschweig die Vorführung eines aktivistischen und justizkritischen Films unterbunden. Weil dies auf Anweisung einer Richterin geschah, die in dem Dokumentarstreifen selbst Gegenstand von Kritik ist, spricht Filmemacher Jörg Bergstedt von Rechtsbeugung. Das nun folgende Verfahren dürfte spannend werden.
Eine angekündigte Open-Air-Vorführung des deutlich aktivistischen Dokumentarfilms auf dem Braunschweiger Domplatz am vergangenen Donnerstagnachmittag war bereits nach wenigen Minuten beendet. Dabei hat der dort Film "Unter Paragraphen II" eigentlich eine Länge von fast zwei Stunden. Im Braunschweiger Polizeibericht heißt es dazu:
Der stationären Kundgebung mit dem Motto "Wer Macht hat, braucht sich um das Recht nicht zu scheren. Für eine Welt ohne Justiz und Strafe" folgten in der Spitze 25 Personen. Im Verlauf der Versammlung wurde auf einer eigens aufgestellten Leinwand ein Film dargestellt, dessen Inhalt einer strafrechtlichen Relevanz unterlag.
Polizeibericht Braunschweig
Wie weit darf Justizkritik gehen?
Der beanstandete Film kann als Dokumentation einer Justizposse am Amtsgericht Braunschweig verstanden werden. Er zeigt den Umgang einer Richterin mit angeklagten Klimaaktivisten, die in Wolfsburg Aktionen gegen den Automobilkonzern VW ausgeführt haben. Es ist der zweite entsprechende Streifen des Filmemachers Bergstedt nach einem nicht minder kultur- und justizkritischen Beitrag unter dem Titel "Unter Paragraph I".
Darin wird gezeigt, wie ein Richter am Amtsgericht Kerpen einer Angeklagten elementare Rechte verweigert. Die Frau war wegen Hausfriedensbruchs angeklagt, weil sie im Kontext des Widerstandes gegen die Rodung des Hambacher Forstes durch den Energiekonzern RWE an einem Workshop in einem kurzzeitig besetzten Gebäude teilgenommen hatte.
Statt eines Anwalts hatte sie einen Laienbeistand hinzugezogen, was rechtlich nicht zulässig ist. Der Richter hatte ihn aber wegen Störung der Verhandlung aus dem Prozess ausgeschlossen, so dass die Angeklagte ohne Verteidigung dastand.
Trotzdem versuchte sie, für ihre Rechte im Prozess zu kämpfen, wie im Film zu sehen ist. Der Richter verweigerte ihr jedoch Anträge, am Ende sollte ihr auch das letzte Wort vor der Urteilsverkündung unterbunden werden.
Als die Angeklagte um eine Pause bat, um sich auf ihr Schlusswort vorzubereiten, lehnte der Richter dies mit der Begründung ab, dass sie nach der Urteilsverkündung noch ausreichend Pause habe.
Dies ist nicht das einzige Beispiel, das Zweifel an der Unabhängigkeit des Richters aufkommen lässt. So sprach der Richter die Angeklagte einmal als "ihre Wenigkeit" an.
Vor der nächsten Instanz hatte dieses Kerpener Landrecht allerdings keinen Bestand. Doch eine Wiederaufnahme, womöglich wieder mit dem Laienanwalt, wollte sich das Gericht nicht zumuten. Der Prozess wurde eingestellt.
Ein Nachspiel hatte diese Prozessführung für den Richter. Denn der hatte gegen den Laienanwalt Strafanzeige wegen Beleidigung erstattet, weil dieser, nachdem er vom Richter ausgeschlossen worden war, von Rechtsbeugung gesprochen hatte.
In der Hauptverhandlung war der Richter als Zeuge geladen und wurde vom Laienanwalt ins Kreuzverhör genommen.
Besonders verärgert war der Richter darüber, dass ihm auch die Frage gestellt wurde, ob er den Inhalt bestimmter Paragraphen kenne. Als sich der Richter gegen diese Frage mit dem Argument wehrte, er habe Jura studiert, belehrte ihn der Laienanwalt, dass diese Frage für die Beurteilung, ob hier eine Rechtsbeugung vorliege, wichtig sei. Davon könne nur ausgegangen werden, wenn der Richter den entsprechenden Paragraphen kenne.
Bei dem Laienanwalt und Regisseur des inkriminierten Films handelt es sich um Jörg Bergstedt, der als Umweltaktivist und Publizist bekannt ist und auch mehrere Monate Jura studiert hat.
Er propagiert eine offensive Prozessführung, bei der Angeklagte alle Feinheiten des Rechts ausnutzen könnten. Dazu sei ein Laienanwalt mit juristischen Grundkenntnissen natürlich hilfreich.
Bergstedt hat in der Vergangenheit bereits Rechtsgeschichte geschrieben, indem er unter anderem durchsetzte, dass in bestimmten Fällen Menschen ohne Fahrschein nicht strafrechtlich verfolgt werden dürfen.
Wann sind Filmaufnahmen vor Gericht zulässig?
Anders als der Kerpener Amtsrichter hat die Braunschweiger Richterin durch die justizkritische Beobachtung nicht die Lust am Verhandeln verloren. Weil sie am Anfang des Films zu sehen ist, klagt sie wegen Urheberrechtsverletzung und löste damit den Polizeieinsatz auf dem Braunschweiger Domplatz aus.
Bergstedt behauptet, der Streifen enthalte keine strafrechtlich relevanten Szenen. "Der Film enthält drei Arten von Aufnahmen aus den beiden Gerichtsverhandlungen: Die Videoaufnahmen (mit Ton) zu Beginn der Verhandlung am 6.2.2023, dann die Tonaufnahmen während der beiden Verhandlungen und schließlich Auszüge aus Protokollen und anderen Dokumenten des Gerichtsverfahrens. Alle drei Materialien im Film "Unter Paragraph II" werden legal verwendet", versichert er.
Am Ende werden sich wieder die Gerichte mit der Frage beschäftigen müssen. Denn Bergstedt will juristisch gegen den Polizeieinsatz gegen die Filmvorführung vorgehen und sich auch selbst verteidigen.
Ein Alptraum für die Justiz, denn Bergstedt kennt die Rechtslage genau und beruft sich auch auf höchstrichterliche Urteile. Vielleicht reicht allein die Angst, dass der Justizschreck Jörg Bergstedt den Prozess kippen könnte, um die Anklage doch noch fallen zu lassen.
Am Ende des Films Unter Paragraphen II heißt es, der Kerpener Richter habe nach seiner Niederlage kein großes Interesse an weiteren Prozessen mit politischem Hintergrund gezeigt.
Der Fall zeigt aber, wie schnell Justizkritik unterbunden werden kann, wenn die Sache auf kein größeres Medienecho stößt.